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Urner Firma sorgt für eine Weltpremiere

Wie transportiert man ein 132 Tonnen schweres Seil über Strassen, die nur 70 Tonnen aushalten? Eine Flüeler Firma fand die Lösung.
Projektleiter Peter Wipfli von der Flüeler Firma Wipfli Transporte hat hat den Seiltransport von Romanshorn nach Grindelwald organisiert. (Bild: PD)

Bruno Arnold

Total 213 Tonnen schwer, 56 Meter lang, maximal 3,5 Meter breit und bis zu 4,2 Meter hoch: Das sind die Kennzahlen eines Lastwagenkonvois, der sich aus drei Fahrzeugen zusammensetzt, die sich auf total 21 Achsen bewegen. Verbunden durch zwei 3,5 Meter respektive 5 Meter lange Abschleppstangen, sind in diesem Jahr vier solche Ausnahmetransporte von Romanshorn ins Berner Oberland unterwegs.

Am Abend des 15. August warten diese Fahrzeuge des Flüeler Unternehmens Wipfli Transporte (www.wipfli-transporte.ch) in Zweilütschinen auf grünes Licht für die Weiterfahrt ans Ziel in Grindelwald Grund. Beladen sind sie mit drei Bobinen, auf denen ein insgesamt 6,96 Kilometer langes und 132 Tonnen schweres Tragseil mit einem Durchmesser von 58 Millimetern für die neue 3S-Bahn Grindelwald Grund–Eigergletscher aufgewickelt ist.

Wegen des Gewichts über Brünigpass ausgewichen

Gestartet war der ausserordentliche Schwertransport am Vortag auf dem Areal des Drahtseilwerks Fatzer AG in Romanshorn. Nach einer Fahrt über knapp 220 Kilometer durch acht Kantone trafen die Lastwagen sowie die Begleitfahrzeuge in Zweilütschinen ein. «Eigentlich wollten wir auf der Autobahn via St.Gallen, Zürich und Bern nach Grindelwald fahren», erklärt Peter Wipfli junior. Er ist im Flüeler Familienunternehmen für die Disposition verantwortlich und der Organisator und Projektleiter des Spezialtransports. «Einige Autobahnbrücken sind aber zu schwach für einen solchen Konvoi. Deshalb mussten wir via Luzern und Brünigpass ausweichen», so Wipfli. «Das war für die Chauffeure fahrtechnisch sicher etwas anspruchsvoller und hat auch deutlich länger gedauert.»

Die Flüeler Firma gilt schweizweit als Nummer 1 für Drahtseiltransporte. Firmengründer Josef Wipfli hat mit der nach seinen Ideen gebauten Seitenträgerbrücke zum Transport von Bobinen den Grundstein dafür gelegt. «Im Normalfall transportieren wir pro Jahr 15 bis 20 Seile mit einem Gewicht zwischen 20 und 70 Tonnen», erklärt Peter Wipfli. «Das läuft fast schon routinemässig ab, mit einem einzelnen Lastwagen, manchmal auch mit zwei Fahrzeugen, die mit einer Abschleppstange verbunden werden.» Beim Grindel- wald-Projekt stellte sich für Wipfli aber die grosse Frage: «Wie transportieren wir ein 132 Tonnen schweres Seil über Strassen, die nur 70 Tonnen aushalten?» Die Lösung: Das Seil wird im Fatzer-Werk von der Originalbobine ab- und auf zwei Einzel- und eine Doppelbobine aufgewickelt. Diese werden danach auf drei Fahrzeuge verteilt. «Die Abschleppstangen dienen eigentlich nur als Distanzhalter, damit der Abstand gleich bleibt», erklärt Wipfli. «So können wir verhindern, dass das über die drei Laster laufende Seil bei Bremsmanövern nicht gespannt und dadurch beschädigt werden kann.»

Nicht nur ein Novum in der Firmengeschichte

Der Transport eines auf drei Lastwagen verteilten Seils war nicht nur ein Novum in der Firmengeschichte, sondern auch eine Weltpremiere – und ein Schweizer Rekord. Wipfli sagt:

«Bei den vier Tragseilen, die von der Tal- zur Bergstation der 3S-Bahn in Grindelwald gespannt werden, handelt es sich um die bisher schwersten in der Schweiz.»

Sogar das Tragseil der Schwerlast-Seilbahn für den Bau des Kraftwerks Linth-Limmern in Linthal war leichter. Europaweit brachten nur die Tragseile für die neue Zugspitzbahn in Garmisch mehr Gewicht auf die Waage. Jedes wog 153 Tonnen.» Transportiert wurden diese Seile ebenfalls von der Firma Wipfli.

Von Romanshorn bis nach Zweilütschinen waren die drei Lastwagen mit bis zu 50 km/h unterwegs, ohne die Abschleppstangen je entfernen zu müssen. Chauffeur Jost Walker schmunzelt. «Es braucht einfach ein bisschen Gefühl beim Fahren», sagt er – als ob die Fahrt im Trio-Pack die einfachste Sache der Welt wäre. Walker hatte beim Seiltransport am Steuer eines 500 PS starken Scania ein Gesamtgewicht von rund 71 Tonnen zu bändigen. In der Mitte war der von Arbeitskollege Adrian Ziegler gesteuerte Mercedes (540 PS, 69 Tonnen) eingespannt, und an der Spitze des Konvois fuhr Peter Wipflis Bruder Philipp mit einem LKW der Marke MAN (540 PS, 72 Tonnen).

Die grösste Herausforderung hatte der total acht Leute zählende Transport-Tross auf der rund 12 Kilometer langen Strecke von Zweilütschinen hinauf ins knapp 400 Meter höher gelegene Grindelwald zu bewältigen. Die Strasse führt dort über 25 Kunstbauten, wobei sechs Brücken mit höchstens rund 72 Tonnen befahren werden dürfen. Das bedeutete, dass jeder der drei Lastwagen diese «Hindernisse» einzeln überqueren musste.

Seil muss sechsmal ab- und wieder aufgewickelt werden

Während die Chauffeure ihre Giganten auf Achsen im Schritttempo und gemäss Funkanweisungen von Peter Wipfli über die Brücke bewegten, wickelten die Maschinisten Alexander Flüeler und Hannes Briker das Seil jeweils von den beiden Bobinen auf dem vordersten und hintersten LKW ab und wieder auf – mit Hilfe eines hydraulischen Kettenantriebs. Damit das abgewickelte Seil nicht beschädigt respektive mit dem Strassenbelag in Berührung kam, wurde es über Rollen und Holzkonstruktionen geführt, die während der Fahrt von den Helfern auf dem Asphalt platziert und wieder auf die Begleitfahrzeuge geladen wurden. Dauerte der Transport von Romanshorn ins gut 200 Kilometer entfernte Zweilütschinen rund 8 Stunden, mussten für die letzten 12 Kilometer wegen der Wickelmanöver rund 3 Stunden eingerechnet werden.

Eine Alternative zum Strassentransport ab Zweilütschinen hätte einzig und allein darin bestanden, das Seil über Rollen nach Grindelwald zu ziehen. Diese wären an Telefon- und Strommasten befestigt worden. «Das wäre nicht nur viel teurer geworden, sondern hätte auch das Einverständnis sämtlicher Betreibergesellschaften und der einzelnen Grundeigentümer benötigt.

Die erste Anfrage für den Transport hatte die Firma Wipfli bereits 2012 erhalten. «Wir haben in der Folge technische Lösungen gesucht und bei den Strassenverkehrsämtern der Kantone und beim Bundesamt für Strassen erste Abklärungen zu den nötigen Fahrbewilligungen getroffen», erinnert sich Wipfli.

«Die effektive Planung und Vorbereitung erstreckte sich danach über einen Zeitraum von rund zwei Jahren.»

Insgesamt mussten rund 270’000 Franken in Spezialauflieger, Kettenantriebe und Leichtbauzugmaschinen investiert werden. Zudem prüfte und berechnete ein Ingenieur im Auftrag der Flüeler Firma die maximale Tragkraft sämtlicher Kunstbauten zwischen Zweilütschinen und Grindelwald (Kostenpunkt: 60’000 Franken). Der Ingenieur war übrigens bei sämtlichen Fahrten dabei und gab vor, an welcher Stelle der Konvoi die Strasse befahren durfte.

Insgesamt achtmal im Konvoi nach Grindelwald gefahren

Zwei je 64 Tonnen schwere Litzenseile für die neue Gondelbahn Grindelwald-Männlichen sowie zwei Zugseile für die 3S-Bahn der Jungfraubahnen wurden im Mai und Juli mit je zwei Lastwagen in 36 Meter langen Konvois nach Grindelwald Grund transportiert. Gestern ist das dritte Tragseil für die 3S-Bahn dort angekommen, im November folgt dann noch das vierte und letzte. Dann hat die Firma Wipfli den Auftrag erfüllt: «Es war sicher der bisher aufwendigste, aber auch interessanteste», betont Peter Wipfli. «Solche Projekte machen das Leben richtig interessant. Ich warte gerne auf die nächsten.»

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