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Uri

Zuhören ist Pflicht, Erzählen freiwillig: Urner Erzählcafés lanciert

Im Kulturkloster Altdorf gingen am Wochenende erstmals die Erzählcafé-Tage über die Bühne – ein Projekt, das seinen Ursprung in Deutschland nach dem Mauerfall findet. Im Herbst sind weitere Erzählcafés geplant.
Moderatorin Andrea Schnüriger freut sich über die gelungene Veranstaltung. (Bild: Claudia Naujoks (Altdorf, 12. Juni 2021) )
Der Weg aus dem Alltagstrubel hinauf in die Ruhe des Kulturklosters Altdorf. (Bild: Claudia Naujoks (Altdorf, 12. Juni 2021))

Claudia Naujoks

Claudia Naujoks

Geschichten könnten die altehrwürdigen Mauern des ehemaligen Kapuzinerklosters in Altdorf sicher auch erzählen, wenn sie sprechen könnten – einen geeigneteren Ort für ein Erzählcafé als das Kulturkloster Altdorf kann man sich kaum vorstellen. Und so fanden sich am Samstag, dem 12. Juni, im Rahmen der Nationalen Erzähl-Tage unter der Schirmherrschaft des Netzwerks Erzählcafé, ein Projekt der Migros Kulturprozent, der Fachhochschule Nordwestschweiz/Hochschule für Soziale Arbeit und der Gesundheitsförderung Schweiz, neun Erzählende respektive Zuhörende auf der Anhöhe über Altdorf ein. Sie stiegen für anderthalb Stunden aus dem Alltag und dem Treiben im Tal aus und auf den Berg in die Abgeschiedenheit und Ruhe hinauf, um sich auf ein Experiment einzulassen.

Im Kanton Uri wurde es an diesem Wochenende zum ersten Mal in Eigenregie von Andrea Schnüriger durchgeführt, die auch als Moderatorin aufgetreten ist. Nach einer Einführung über die Entstehung und Aufgabe der Erzählcafés, der Vermittlung der Gesprächsregeln und einem kleinen Aufwärmen mittels einer Geschichte begann die Erzählzeit. Im zweiten Teil wurde dann dem zweiten Wort im Veranstaltungsnamen Rechnung getragen und es konnten bei einer Tasse Kaffee den Geschichten noch nachgegangen werden oder andere Unterhaltungen geführt werden.

Verloren gehende Gesprächskultur wieder mehr etablieren

Ihren Ursprung nahmen die Erzählcafé-Tage in Deutschland nach dem Mauerfall, als sich Menschen aus Ost- und Westdeutschland trafen, um einander kennen zu lernen und die Vergangenheit zu verarbeiten. Heute sind sie auch in Österreich und in der Schweiz etabliert. Sie sollen den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken und einen Beitrag zur psychischen Gesundheit leisten. Ausserdem fördern sie die Sprache und das Erzählen, auch die verloren gehende Gesprächskultur soll sich dadurch wieder mehr etablieren. Es sind Alltagsthemen, eher nachdenkliche, aber auch heitere wie «Mein Lieblingslehrer in der Kindheit», «Bücher, die mein Leben prägen», «Meine Handtasche», «Generationen-Café», «Reich sein, arm sein», «Meine erste Armbanduhr», die hier zum Besten gegeben werden – aber nicht im Sinne eines Kaffeekränzchens oder einer Diskussion. Vielmehr soll einfach nur erzählt und zugehört werden, ohne zu werten oder zu therapieren.

Diesmal ging es um «Lebensereignisse». Andrea Schnüriger steckte den thematischen Rahmen mit der Geschichte am Beginn sowie einigen Stichwörtern ab und bot so Gelegenheiten für Assoziationen und Anknüpfungspunkte für die Erzählenden.

«Es braucht Mut, aber es tut auch gut»

Aber wie ist das, wildfremden Menschen solch private Dinge mitzuteilen? Kann man sich wirklich trauen, etwas von sich preiszugeben? Was werden die anderen denken? «Es braucht Mut, etwas zu erzählen, das war meine ganz persönliche Herausforderung», meint Marlis Imhof aus Schattdorf. «Aber es tut auch gut! Das Schöne ist, das man erzählen darf, aber nicht muss. Ich dachte, ich höre erst mal zu und warte ab, was da mit mir passiert.» Und da passiert erstaunlicherweise ganz viel, denn durch die Geschichten der anderen kommen auch die eigenen Geschichten ins Bewusstsein. Egal, ob man sie mit den anderen in der Runde teilt oder nicht, allein der ausgelöste Erinnerungsprozess sei schon eine intensive Erfahrung.

Und so tauchten die Teilnehmer am Ende wieder auf aus der Welt der Geschichten und wieder ein in ihren Alltagstrubel, aber ein Stück reicher an anderen Geschichten und einer neuen Erfahrung.

Im Herbst sind weitere Erzählcafés geplant.

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