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Uri

«Ürner Asichtä»: Frau Stierli in Milano

Stephanie Walker stellt sich in ihrer Kolumne vor, wie es wäre, wenn der Uristier eine Frau hätte.
Stephanie Walker

Stephanie Walker

Herr Stier ist Modell für den Kanton Uri. Er ziert alle wichtigen Dokumente, Gebäude, Kennschilder, einfach alles, was mit dem Kanton zu tun hat. Demzufolge ist er eher konservativ. Normalerweise kennt er nur ein Gesicht. Streckt er die Zunge raus, was er immer tut, zeigt er, dass er es so will. Das ist sein Markenzeichen, auf das die Urner stolz sind. Und das die Fotografen lieben.

Hätte er eine Frau, würde sie Frau Stierli genannt. Sie wäre ganz anders. Sie würde die Mode lieben, Reisen, gutes Essen und die Gesellschaft unter gut aussehenden Menschen.

Stellen wir uns Frau Stierli auf einer Reise nach Milano vor. Frau Stierli liebt das Wandern, aber nur, wenn es sich um einen Bummel von Geschäft zu Geschäft in der Grossstadt handelt. Da kommt ihr die Metropole ennet dem Gotthard mit zirka 1,3 Millionen Einwohnern gerade recht. Mailand war schon im Mittelalter und ist auch heute noch ein Zentrum für Fashion, Design, Architektur und Kunst und deren Existenzen allgegenwärtig.

Frau Stierli liebt es, chauffiert zu werden. Da Herr Stier jedoch des Fahrens nicht tüchtig ist, reist sie mit dem Zug. Und auch gerne allein. Zwar ist das Umsteigen in Lugano wegen des neuen Fahrplans umständlicher und erfordert auch mehr Zeit, aber sie nimmt das in Kauf. Und letztlich kann sie sich in Mailand mit dem günstigen Abonnement den ganzen Tag lang mit Bus, Tram und Metro flexibel in der Stadt bewegen.

Angekommen in der Station Milano Centrale beschleicht Frau Stierli ein kleines Hungergefühl. Sie macht sich auf den Weg in die Osteria Binari. Ihr gelüstet nach einer kleinen Köstlichkeit. Natürlich geht sie nicht wegen des Essens dahin. Frau Stierli liebt die Grösse des Restaurants, das in einem früheren Bahnhof untergebracht ist, die gediegene Eleganz vergangener Zeiten, welche das Interieur ausstrahlt, und die stilvoll gekleideten anderen Gäste, die ihren Augen schmeicheln. Frau Stierli bestellt ein Glas Prosecco und für dieses eine Mal nicht das Risotto, sondern die Tortellini all zucca con amaretti, olio e salvia. Sie ist glücklich, lehnt sich zurück und lässt ihren Blick genüsslich im Lokal umherschweifen.

Nach diesem Abstecher in die Welt der Gelüste begibt sie sich auf die grosse Wanderung: Dolce & Gabbana, Prada, Moschino, Versace, Alba Moda und so weiter. Frau Stierli guckt in alle Schaufenster und verliebt sich auf Anhieb in die schönen Auslagen. Liesse Mode ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen, die Modekennerin würde darin ertrinken. So aber ging sie, wenn auch mit leicht schmollendem Mund, von einem Modezar zum andern, ohne sich ins Innere der namhaften Häuser zu trauen. Sie wusste nur zu genau: Zu viel Eleganz würde in der Welt des Herrn Stier nicht funktionieren.

So freut sich Frau Stierli auf das Abendessen, auf die Nacht im exquisiten Hotel und auf den neuen Tag. Ihr würde erneut einen Blick in die Welt der Schönen und Reichen gegönnt. Und zu Hause würde sie sich an die Augenblicke erinnern, in denen sie, wenn auch nur für einen kurzen Moment, ein Teil davon war. Und dieses Gefühl auch hinaustragen kann.

Stephanie Walker, Coiffeuse

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