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Uri

Süditalienische Fruchtsuppe

Da die Kantonsbibliothek dieses Jahr ihr 50. Jubiläum feiert, schreiben Urner Autoren für die beiden lokalen Zeitungen. Der Anfang ist derselbe, aber es entwickeln sich zwei unterschiedliche Geschichten. Heute: Teil 12.

Emilio? Sohn von Ugo? Sind Esmeralda und Emilio eventuell Geschwister? An der Krebsriedgasse drehten sich Sefas Gedanken schnell und endlos. Dabei half ihr der «Luma Rosso» nicht wirklich. Diese rotweinartige, alkoholische Flüssigkeit sorgte aber zu immer langsameren Gedankengängen bis hin zum baldigen Tiefschlaf auf dem Landskrona-Sofa.

Den morgendlichen Blick in den Spiegel ersparte sich Sefa. Die bedauernden Blicke Latzis waren deutlicher als jedes Spiegelbild.

An diesem Morgen ging gar nichts, ausser ein Katerbummel mit Hund und Sonnenbrille. Am Giessen entlang Richtung See wurden die Gedanken wieder ein bisschen klarer.

Sie bedauerte, wie sie gestern Emilio Tenebroso verbal angegangen war.

«Sind Sie sicher, dass das ein Buch für Sie ist?»

Sie hätte ebenso gut sagen können: «Wir hätten aber auch unterhaltende SJW-Heftchen für Sie im Angebot.»

Überhaupt: Es könnte ja sein, dass diese Working Class Heros mehr Werke von Stephan Hermlin gelesen hatten als eine Bibliothekarin mit 35 Jahren Berufserfahrung. Beschämend, ihr Verhalten.

Die Gedanken vom Vorabend brodelten erneut auf. Keine Frage; sollte Emilio Tenebroso tatsächlich der leibliche Sohn von Ugo Tenebroso sein, dann wäre er ja der Bruder oder Halbbruder von Esmeralda. Führten die beiden gemeinsam etwas im Schilde? War der geplante Kauf eines Grundstücks von Ugo Tenebroso in Altdorf der Grund ihrer Aktivitäten?

Die Bahnhofsuhr in Flüelen holte Sefa augenblicklich in die Realität zurück. Nach all ihren Dienstjahren würde sie zum ersten Mal nicht pünktlich zur Arbeit erscheinen. Aber dieser Morgen erlaubte keinen Laufschritt, allerhöchstens behutsames Schleichen. So blieb ihr nichts anderes übrig, als auf den nächsten Bus nach Altdorf zu warten.

Endlich auf dem Weg, begann ab dem Kreisel mit Kunst-Toggeli die volkseigene Staatstrasse Richtung Altdorf mit Rüttel-Schüttel-Effekt. «Luma Rosso», diese elendigliche schwere süditalienische Fruchtsuppe vom Vorabend meldete sich umgehend in Sefas Kopf und Magen.

Den bemitleidenden Blicken fügte Latzi ein raunziges «Bluff» an.

Sefa wähnte sich wie bei ihrer ersten Dienstreise zur Buchmesse nach Leipzig, anno 1986. Die Strassenqualität war vergleichbar mit der Transitautobahn Hirschberg–Leibzig DDR.

An der Haltestelle Ringli verliessen die beiden fluchtartig den rumpelnden Hess-Wagen der Auto AG. Wenn schon zu spät zur Arbeit, dann darf‘s auch ein bisschen mehr sein. Sefa wollte sich zu Hause ein bisschen auffrischen, und Latzi sollte bei dieser Gelegenheit sein tägliches Trockenfutter für futtersensible Hunde bekommen.

An Ihrem Briefkasten klebte ein pinkfarbenes Post-it-Zettelchen mit der Handnotiz: «Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!» Gruss Alex.

«Sollte dieser heranpupertierende Rotzlöffel sich wirklich darüber lustig machen wollen, wenn Frau Schuler ein einziges Mal im Leben nicht pünktlich in der Bibliothek erscheint? Falls ja, will ich ihm Hausi Leuteneggers Autobiografie zwangsverordnen.»

Der erste Mensch in der Bibliothek, der sie ansprach, hatte Gucci Loafers an den Füssen.

«Excuse me Mrs., gibt es hier auch Huch?»

«Wir sind hier eine richtige Bibliothek und haben nicht nur ein Buch, wir haben sehr viele Bücher.»

«Exactly, Huch, Ricarda Huch?»

In diesem Moment stürmte Alex in die Bibliothek. «Sefa ich hab’s, ich bin ganz nahe dran …»

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