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Neuer Skiarena-Chef in Andermatt: «Wir sind ein Start-up-Unternehmen»

Rainer Flaig hat seine erste Skisaison als CEO der Andermatt-Sedrun Sport AG hinter sich. Sein Fazit ist trotz schwerer Momente positiv.
Rainer Flaig hat viele Ideen im Köcher: «Es gibt noch Potenzial.» (Bild: Florian Arnold (Andermatt, 10. März 2020))
Rainer Flaig ist CEO der Andermatt-Sedrun Sport AG, Skiarena Andermatt. In den Gängen des neuen Bahnhofs Andermatt (Florian Arnold (urner Zeitung) / Urner Zeitung)

Florian Arnold

Florian Arnold

Rainer Flaig, die Skisaison war abrupt zu Ende. Was bedeutet die Coronakrise für die Skiarena Andermatt-Sedrun?Wir mussten den Ski- und Gastrobetrieb innerhalb von 12 Stunden von 100 auf 0 runterfahren. Nebst der organisatorischen Herausforderung ist es vor allem eine gewaltige Einbusse bezüglich Umsatz und Erfolg der gesamten Destination. Dieser Shutdown schmerzt uns finanziell ganz extrem und fordert die gesamte Unternehmungsgruppe. Erwähnt sein sollen aber auch die Mitarbeitenden, die innert kürzester Zeit keine Arbeit mehr haben. Wenigstens hilft ihnen die Kurzarbeitsversicherung.Das war nicht der einzige Schock dieser Saison. Am Stephanstag ging eine Lawine auf die Piste nieder. Wie sind Sie mit dem Schreckmoment umgegangen?Es tut weh, wenn man dem Gast keine hundertprozentige Sicherheit bieten kann, aber das ist nie möglich, da man es mit Naturgewalten zu tun hat. Wir haben jegliche Massnahmen so getroffen, dass das eigentlich nicht mehr passieren sollte.Haben Sie Schuldgefühle?Ich stehe vor meinen Leuten und übernehme die Verantwortung. Aber Natur ist Natur und da gibt es keine hundertprozentige Sicherheit. Vor allem sind Gleitschneelawinen in den vergangenen 10 Jahren ein neues Phänomen. Das möchten wir mit dem Schweizerischen Lawinenforschungsinstitut SLF vertieft untersuchen und in Andermatt ein Kompetenzzentrum werden. Die neuralgischen Punkte werden noch besser begutachtet.Muss man nach dem Ereignis nun viel Geld in die Hand nehmen?Aktuell ist das noch schwierig abzuschätzen. Wenn man die Sicherheit verbessern will, geht es nicht nur ums Geld, sondern es ist vor allem eine Management-Aufgabe. Es gibt technische und mechanische Möglichkeiten wie Befestigungen oder Spanngewichte. Aber an neuralgischen Punkten kann man den Gast mit Signaletik auch bewusster lenken. Die Pisten werden noch intensiver überwacht und auch nötigenfalls gesperrt. Wir sind mit Hochdruck daran, schauen nicht nur Prozesse an, sondern auch wie die ganze Topografie beschaffen ist.Ansonsten lief es bis zum Lockdown ordentlich. Wie fällt ihr Fazit nach Ihrer ersten Saison aus?Es war eine sehr spannende, aber auch sehr anspruchsvolle Saison. Der grosse Vorteil von Andermatt ist, dass wir alles aus einer Destinationsoptik betrachten können. Die Jahresdestination wird aus einer Hand gelenkt, es gibt viel weniger Schnittstellen, denn von Andermatt Reuss, den Hotels The Chedi Andermatt und Radisson Blu Reussen über die Skiarena, Infrastrukturprojekte bis zu Schneesportschulen und Golfanlagen ist alles unter einem Dach. Das führt dazu, dass man schnell und konzis entscheiden kann. So haben wir in der Skiarena etwa die Qualitätsoffensive «15 Minutes» gestartet.Was muss man sich darunter vorstellen?Unser Ziel ist es, dass es an jedem Touchpoint, an dem sich der Gast aufhält, maximal 15 Minuten dauert, bis er bedient wird. Sonst wird es unangenehm. Dazu zählen Parking, Shuttle, Ticketautomat, die Fahrt am Berg und die Verpflegung. Das Ziel haben wir natürlich noch lange nicht erreicht, aber wir konnten uns merklich verbessern.Wie geht man diese Probleme an?Wir setzen vor allem auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie müssen gut geschult sein: Etwa wie man ins Parking einweist oder wie die Kapazitäten der Bahn ausgeschöpft werden können. Bei uns sind rund 500 Personen beschäftigt, davon sind nur 100 Jahresmitarbeiter. Das heisst, man muss Schulungen immer wieder durchführen und sensibilisieren. Die vorwiegend jungen Mitarbeiter sollen in Andermatt Spass haben, aber auch den Spirit des Unternehmens spüren. Die Schulungen haben merkliche Erfolge gebracht, aber ich will nichts beschönigen und wir haben noch viel Arbeit vor uns. Beim Einstieg zum Nätschen hatten wir in Einzelfällen Wartezeiten von über einer Stunde. Das geht nicht.Der Spielraum dürfte beschränkt sein, oder können Sie die Bahn schneller fahren lassen?Man kann die Kapazität erweitern, zum Beispiel bei den Gondelbahnen. Die Anlage wurde auf 20 Prozent mehr Kabinen ausgerichtet. Allein das wird aber nicht ausreichen, sodass wir noch weitere Massnahmen anschauen werden müssen. Wir sind ein Start-up-Unternehmen, das in einer Geschwindigkeit entstanden ist, wie es europaweit einzigartig ist: eine Planungszeit von sechs Jahren und eine Bauzeit von drei Jahren. Es braucht Toleranz, Sensibilität aber auch Know-how, wie wir uns kontinuierlich verbessern.Deshalb hat man Sie geholt. Als innovatives Produkt haben Sie das Halbpreis-Abo eingeführt – und damit langjährige Saison-Abo-Besitzer verärgert, die sich damit hinters Licht geführt fühlten.Die Reaktion haben wir etwas unterschätzt. Es sind zwei verschiedene Zielgruppen. Im Jahres-Abo haben wir zusätzliche Produkte eingebaut, sodass man einen Mehrwert hat. So ist die MGB vollumfänglich im Ticket drin, sodass man spontan nach Disentis fahren kann. Das erhalten wir nicht gratis, aber es ist eine gute Partnerschaft. Unser Ziel ist es, den Abo-Besitzern wertige und nachhaltige Inhalte zur Verfügung zu stellen. Die Kampagne mit dem Halbtax richtet sich an eine andere Zielgruppe. Der Halbpreis ist eine Kundenbindung, die auf den Tagesgast ausgerichtet ist.Hat sich die Aktion ausgezahlt?Wir sind 50 Prozent über unserem internen Ziel von 20000 Karten, wir kamen auf über 30000. Ein Tagesgast kommt im Durchschnitt zirka 2-mal ins gleiche Skigebiet, bei uns kam dieser 2,6-mal. Das Produkt ist einfach zu verstehen und für den Kunden transparent. Dynamic Pricing ist passée?Genau. Wir setzen auf Kontinuität. «Keep it simple and stupid.» Der Gast soll nicht denken müssen, sondern sich wohlfühlen. Stressfaktoren, ob man nun den besten Preis erhält, dürfen nicht sein.Das Wetter kam Andermatt entgegen, während andere Gebiete zu wenig Schnee hatten.Die geografische Lage begünstigt uns. Wir sind nicht im Südtirol, wo 95 Prozent der Pisten beschneit werden müssen. Da werden die Kosten exorbitant. Wir können 40 Prozent der Pisten beschneien, es ist eine Symbiose mit der Natur. Diese Kombination ist uns wichtig. Andermatt Swiss Alps gibt sich ökologisch. Welchen Beitrag leistet Sie ausserdem?Wir gehen respektvoll mit dem Berg und der Destination um und haben ein gutes Einvernehmen mit den Umweltverbänden. Wir setzen stark auf den öffentlichen Verkehr, indem wir Direktzüge von Zürich aus angeboten haben. Die Gebäude werden CO2-neutral beheizt, die elektrische Energie stammt aus erneuerbarer Energie aus der Region. Und hinzu kommt ganz viel Eigeninitiative. In der Gastronomie wird Wasser gratis zur Verfügung gestellt, und es werden Produkte aus der Region angeboten. Am Berg heisst das Motto «No plastic». Vor diesen Dingen ziehe ich meinen Hut, denn wo gibt es das schon?Sie haben in diesem Jahr Uri kennen gelernt. Wie sehen Sie den Urner heute?Ich finde ihn sehr fortschrittlich. Er nutzt die Chance. Die Symbiose zwischen dem neuen Andermatt und dem wunderschönen «Old-style-Dorf» finde ich eine spannende Geschichte. Die Eigenheiten müssen bewahrt werden. Der Urner gibt nicht schnell auf, er hat das Herz am rechten Fleck, er sagt nicht immer Nein – aber auch nicht immer Ja.Und wie oft sind Sie selber auf der Piste?Ich habe eine Hüftoperation hinter mir, deshalb habe ich es nur etwa knapp 10-mal geschafft, was zu wenig ist. Am liebsten gehe ich mit Leuten aus dem Team auf die Piste, so kann man sich austauschen und sukzessive weiterentwickeln, da wir noch einiges Verbesserungspotenzial haben.Was sind nun die grossen Ziele, die Sie verfolgen?Sicher, dass wir eine Ganzjahresdestination sind. In Andermatt soll man nicht nur Skifahren, sondern auch Golfspielen, oder für drei, vier Tage abschalten können. Es muss einen Blumenstrauss an Aktivitäten geben. Deshalb gibt es auch eine Konzerthalle. Das ist der wesentliche Unterschied gegenüber allen sonstigen Destinationen. Wir wollen Produkte schaffen, die erlebbar und authentisch sind über die vier Jahreszeiten hinweg.Woran arbeiten Sie konkret?Die Kapazitätsplanung mit den Systemgrenzen ist ein grosses Thema. Vor allem müssen wir im Bereich des Residenzgastes die Bettenkapazität weiter ausbauen. Nicht nur für den Gast im obersten Segment, sondern massenfähig in einer hohen Qualität. Wir haben 470000 Skierdays, aber im Sommer sind wir noch sehr bescheiden unterwegs. Wir machen 3 Prozent Umsatz im Sommer. Aber es ist eine grosse Chance. Wichtig ist mir auch Freundlichkeit. Jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin soll den Gästen einen schönen Tag wünschen. Und es gibt Herausforderungen bei der Gastronomie. Wir wollen noch besser werden etwa in Richtung vegetarisches oder veganes Essen.Ist die Nachfrage genügend gross dafür?Ja, schauen Sie sich nur an den Universitäten oder in den Städten um. Solche Positionierungen finde ich gut. Es heisst aber nicht, dass gleich die ganze Destination vegetarisch wird. Es braucht auch hier einen Blumenstrauss an Angeboten.Und welche Innovationen haben Sie sonst noch im Köcher?Wir versuchen, Mehrwert für die Halbtax- und Jahresabonnenten zu schaffen. Vorstellbar ist, dass man seine Skis gratis wachsen oder sich in der Werkstatt Fachwissen aneignen oder sich gewisse Dinge zeigen lassen kann. Zudem entwickeln wir eine App, auf der zugeschnittene Produkte abgerufen werden können, die bisher zu kompliziert im Buchungsprozess waren. Wir machen einiges Interessantes, und lehnen uns sicher nicht zurück.
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