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Integration in Uri: Den Kulturschock überwindet Fithi Berhane nur langsam

In der Schweiz ist er zwar in Sicherheit. Doch für den Eritreer Fithi Berhane ist die Integration nicht so einfach – trotz Arbeit, besser werdenden Deutschkenntnissen und der Tatsache, dass er schon ein paar Leute kennt.
Fithi Berhane vor dem Eingang des multikulturellen «Treffpunkts 26» in Altdorf. (Bild: Claudia Naujoks. Altdorf, 9. Juni 2019)

Claudia Naujoks

Fithi Berhane war in Eritrea ein erfolgreicher Goldschmied. Das änderte sich schlagartig, als er von der Regierung zwangsweise in den unbefristeten Militärdienst eingezogen wurde. Schweren Herzens fasst er einen aus der Verzweiflung geborenen Entschluss. Drei seiner sechs Geschwister sind bereits im Kriegsdienst ums Leben gekommen und er selber durfte nur 20 Tage im Jahr bei seiner Familie verbringen. So wollte er nicht mehr leben. Schweren Herzens lässt er den damals fünf Jahre alten Sohn und seine Frau Mihret Mihreteab zurück und bricht in einer Nacht- und Nebel-Aktion auf in die Ungewissheit.

Er schläft tagsüber und läuft nachts. Und die Angst vor Entdeckung verfolgt ihn auch noch, als er schon in vermeintlicher Sicherheit die Grenze zum Sudan, an der ein Schiessbefehl besteht, überwunden hat. Deshalb zieht es ihn auch aus dem Flüchtlingscamp in die anonyme Hauptstadt Karthum, in der er besser untertauchen kann. Ein briefliches Einreisegesuch an die Schweizer Botschaft wurde anerkannt.

Sexuelle Gewalt und Folter sind an der Tagesordnung

Das war 2012. Damals wie heute herrscht in Eritrea Repression. Laut der UNO-Menschenrechtskommission sind sexuelle Gewalt, Folter und Zwangsarbeit im Rahmen des Nationaldienstes immer noch an der Tagesordnung. Trotz des Friedensschlusses mit Äthiopien 2018 hat sich die Situation für die Eritreer nicht verändert, ausser dass sie das Land legal nach Äthiopien verlassen können. So konnte auch der inzwischen 12-jährige Sohn zusammen mit dem 16-jährigen Neffen Fithi Berhanes über die Botschaft der Schweiz in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba im Rahmen des Familiennachzugs ein Visum erhalten und zur Familie in die Schweiz reisen. Zwar war der Prozess mit erheblichen finanziellen Opfern verbunden, aber die Eltern von noch zwei weiteren in der Schweiz geborenen Kindern im Kleinkindalter sind überglücklich, dass beide jungen Männer gesund angekommen sind.

In den sechs Jahren, in denen der mittlerweile 35-jährige Fithi Berhane im Kanton Uri lebt und arbeitet, erlebt er einen Kulturschock und eine einsame Zeit. Als Eritreer ist er es gewohnt, gastfreundlich zu sein, viele Kontakte zu pflegen, rauszugehen auf die Strasse und sich mit den Menschen zu unterhalten, sich gegenseitig zu helfen, miteinander den Feiertag zu verbringen, miteinander zu kochen und zu essen. Schon allein die Sprachbarriere bremst ihn in dieser Hinsicht anfangs völlig aus. Wie ein Auto im Rückwärtsgang fühlt er sich, wie ein kleines Kind, das von anderen gesagt bekommt, was es machen muss, das alles von vorne lernen muss.

Aber er packt sein Schicksal und lernt sehr ehrgeizig Deutsch, absolviert einen Altenpflegehelfer-Lehrgang und arbeitet seitdem im Pflegezentrum Urnersee in Flüelen. Er sei gerne dort und schätze seine Chefin Katja Uhrig sehr, die ihn im beruflichen Bereich ausserordentlich unterstütze, sagt er.

Dankbar für die Hilfe von vielen Seiten

Auch von anderen Stellen haben Fithi Berhane und seine Familie in den vergangenen Jahren viel Hilfe erfahren, für die sie dankbar sind. Sei es der ehemalige Diakon von Bruder Klaus und jetzige Vorstand im Hilfswerk der Kirchen Uri Bruno Tresch-Philipp, sei es Erika Florin, die sich um Fithi Berhanes Frau kümmert. Diese fühlt sich seitdem nicht mehr so isoliert, sondern sogar in der Lage, zum Beispiel allein Einkäufe zu erledigen. Aus Angst und Scham hatte sie sich zunächst nicht nach draussen getraut, obwohl sie auch schon einen Deutschkurs absolviert hatte. Auch dem SRK dankt Fithi Berhane unter anderem für die Vermittlung der Arbeitsstelle.

Fithi Berhane ist froh, mit seiner Familie in Sicherheit zu sein, und er weiss inzwischen, dass alles Zeit und Geduld braucht:

«Schritt für Schritt komme ich meinem Ziel näher.»

Er empfinde seine Situation jetzt als viel besser als am Anfang: «Ich habe Arbeit, ich spreche ein wenig Deutsch und ich kenne schon ein paar Leute.» Aber das sei noch nicht genug, die Integration sei ihm sehr wichtig, deshalb strebe er eine Ausbildung im Pflegebereich an.

Er hofft, bald das ihm in Aussicht gestellte EBA (Eidgenössisches Berufsattest) absolvieren zu können. Das just am Tag dieses Interviews erworbene Deutschzertifikat befähigt ihn, die ersehnte Ausbildung beginnen zu können. Darüber hinaus möchte er sein Deutsch kontinuierlich noch wesentlich verbessern, denn sein ältester Sohn komme in die Schule, sobald seine Aufenthaltsbewilligung erteilt ist, die kleinen Geschwister folgen dann in ein paar Jahren. Spätestens bis dahin möchte er in der Lage sein, sie zu unterstützen.

«Ich habe noch nicht alles erzählt, was ich im Kopf und im Herzen habe, wegen der Sprache – vielleicht schreibe ich später, wenn ich gut Deutsch kann, ein Buch ...», meint er scherzend und mit einem Augenzwinkern. Aber heute Samstag will er vor allem eines: mit allen zusammen am Flüchtlingstag im «Winkel» in Altdorf feiern.

Weitere Informationen und das Programm zum Flüchtlingstag sind zu finden unter redcross.ch/de/veranstaltungen.

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