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Uri

Heidi Z’graggen setzt sich für die Souveränität der Kantone und individuelle Lösungen ein

Nach 16 Jahren im Regierungsratsamt verlässt Heidi Z’graggen die Urner Politbühne – und überlegt, wieder im Lehrbereich tätig zu werden.
Die 54-jährige Heidi Z’graggen überlegt sich auch, wieder im Lehrbereich tätig zu sein. (Bild: Urs Hanhart (Altdorf, 18. Mai 2020))

Lucien Rahm

Die 16 Jahre seien «wie im Flug» an ihr vorbeigezogen, sagt Heidi Z’graggen. Am 31. Mai endete offiziell ihr Amt als Urner Justizdirektorin, das sie vier Legislaturen lang bekleidete. «Es scheint lang, aber für mich ging diese Zeit schnell vorbei.» Weil sie sich täglich mit neuen Herausforderungen oder auch anspruchsvollen Fragen auseinandersetzen durfte, sei die Arbeit immer interessant und bereichernd gewesen.

Dass ihre Regierungszeit dereinst vier Amtsperioden umfassen würde, habe sie damals nicht geplant, sagt die heute 54-Jährige. «Ich habe aber schon gehofft, dass es eine längere Zeit würde.» Ideal war auch der Zeitpunkt ihres Eintritts, wie sie rückblickend sagt. «Ich durfte in einer Zeit starten, als in Uri Aufbruchstimmung herrschte.» Die damals mehrheitlich neue Regierung – der unter anderem auch Josef Dittli angehörte, der in Bern nun ihr Ständeratskollege ist – habe viel Vertrauen in den Gemeinden und dem Landrat genossen. Zugleich seien auch grosse Erwartungen an den neuen Regierungsrat vorhanden gewesen. «Wir wussten, es muss nun ein Aufschwung kommen», sagt Z’graggen. Denn der Kanton befand sich damals in einer schwierigen finanziellen Lage. Dank Erlösen aus dem Verkauf des Nationalbankgoldes entstand für die Regierung jedoch unverhoffter Spielraum. «Uns bot sich die einmalige Chance, auch Wege zu gehen, die nicht selbstverständlich waren.»

Auf Spaziergängen lässt sie ihren Gedanken freien Lauf

Zu den grössten Erfolgen ihrer Regierungszeit zählt Z’graggen die Testplanung für das untere Reusstal, worauf die West-Ost-Verbindung oder den Kantonsbahnhof gründen. «Das sind Beispiele dafür, dass die Politik, wenn sie genug weit vorausdenkt, etwas erreichen kann.» Vorausdenkend habe sie auch ihre Direktion geführt. «Ich arbeite zielorientiert und plante die Vorlagen langfristig.» Diese Ziele habe sie sich in Ein- bis Vierjahreszielen vorgegeben. Viele Themen würden viel Zeit in Anspruch nehmen, bis sie sich umsetzen lassen. Das erfordere auch einiges an Denkarbeit. Für diese nimmt sich Z’graggen gerne auf Spaziergängen Zeit, wo ihr viele ihrer Ideen kämen.

In guter Erinnerung bleibt Z’graggen nebst dem neuen Planungs- und Baugesetz oder dem erneuerten Einbürgerungsgesetz auch die touristische Aufwertung von Andermatt. Samih Sawiris’ Projekt sei in einer Phase gekommen, in welcher es dem Urserntal nicht gut gegangen sei. «Das Projekt brachte Aufschwung und katapultierte die Region in eine neue Ära.»

Nicht wunschgemäss lief es für Z’graggen hingegen mit der angestrebten Gemeindereform. Das Gemeindefusionsgesetz, welches die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für Gemeindefusionen im Kanton Uri hätte verbessern sollen, scheiterte 2013 an der Urne. «Das war ein Geschäft, das wohl noch nicht zur richtigen Zeit kam.» Nicht vollständig überzeugt war das Stimmvolk in Flüelen an der Gemeindeversammlung auch, als man 2006 das Industriegebiet in Flüelen verschieben wollte, um Platz für eine neue Wohnzone zu schaffen. «Anschliessend hatte man Klarheit und die künftige Generation braucht ja auch noch Spielraum.»

In Z’graggens Amtszeit fällt auch der Fall Walker, der deutschschweizweit auf grosses mediales Echo stiess. «Das war für die Gerichte, für die Staatsanwaltschaft und den ganzen Kanton eine herausfordernde Zeit.» Für die Regierung sei die Situation anspruchsvoll gewesen, weil sie «in den Fall der dritten Gewalt hineingezogen zu werden drohte», wie Z’graggen sagt. «Es war aber kein Geschäft der Regierung, sondern ein Gerichtsfall, der nun rechtskräftig abgeschlossen ist.» Das habe auch Kraft erfordert, sich als Regierungsrat zurückzuhalten und die Gewaltenteilung immer wieder zu betonen. Die anschliessende Aufarbeitung habe gezeigt, dass sich der Regierungsrat richtig verhalten habe. Auch ihrem Nachfolger Daniel Furrer, welcher die Justizdirektion ab Juni weiterführt, werde sich eine «interessante und vielfältige Arbeit» bieten. Im Zentrum stehe in der kommenden Legislatur zum Beispiel die Raumentwicklung im oberen Reusstal.

In den Kommissionen begegnet sie vertrauten Themen

Heidi Z’graggen wird sich fortan ihrem Ständeratsmandat widmen, das sie bereits seit Dezember innehat. Durch den Wegfall des Doppelmandats kann sie dafür nun auch die notwendige Zeit aufwenden. «Es ist schon ein zeitintensives Amt, in das ich mich jetzt sicher noch stärker einbringen will.» Ihr gefalle die Arbeit in Bern bislang aber sehr gut. «Ich habe nun eine andere Funktion in der Legislative gegenüber dem Bundesrat und der Verwaltung.» Doch auch die Rolle der Parlamentarierin sei für sie «hochinteressant». Dies auch, weil sie Einsitz hat in der Geschäftsprüfungskommission, der Staatspolitischen Kommission sowie der Kommission für Rechtsfragen, wo sie sich mit ihr vertrauten Themen beschäftigt.

Dass sie nun als Parlamentsmitglied nicht mehr den gleichen direkten Einfluss auf die Geschäfte hat wie als Regierungsrat, empfindet sie nicht als störend. Im Gegenteil sieht sie es als Bereicherung, von einer Kantonsregierung ins nationale Parlament zu wechseln. «Ich merke, dass dort ehemalige Regierungsmitglieder auch oft mehr Verständnis für die Position des Bundesrats haben. Denn sie kennen die Aufgabe der Exekutive aus eigener Erfahrung.» So könne man das Handeln der Bundesräte besser nachvollziehen.

Eigene Geschäfte einzubringen, habe sie derzeit noch nicht geplant. «Ein Vorstoss muss reflektiert sein.» Das Instrument werde sie aber nutzen, um insbesondere die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Kantonen zu thematisieren. Es sei ihr ein Anliegen, sich als Ständerätin für die Souveränität der Kantone einzusetzen und für individuelle Lösungen zu werben, sagt Z’graggen. Bereits während der ständerätlichen Coronasession Anfang Mai hat sie die Frage aufgeworfen, wie sinnvoll es ist, dass die Kantone in einer Situation wie der aktuellen ihre Hoheit an den Bund abtreten. «Das Epidemiengesetz muss man sicher überprüfen.»

Zufrieden mit der Krisenarbeit des Bundesrats

Dass der Bundesrat zum Beispiel die Ausgangsbeschränkung, die der Kanton Uri für seine Bevölkerung über 65 erlassen hatte, nachträglich als unzulässig erklärte, sei für die Urner Regierung zu akzeptieren gewesen, obwohl die rechtliche Zulässigkeit für diese Massnahme vor der Verordnung des Bundesrates gegeben war, wie auch das Bundesamt für Justiz bestätigte. Grundsätzlich sei sie aber dennoch zufrieden mit der bundesrätlichen Krisenarbeit, so Z’graggen. «Der Bundesrat hat in der Anfangsphase der Krise unter hohem Druck gut gearbeitet.»

Ob sie selber nochmals einen Anlauf nehmen wird, Mitglied des Bundesrates zu werden, diese Frage stelle sich momentan nicht. «Er ist derzeit gut besetzt.» Und obwohl ihre Kandidatur sie 2018 nicht in die Landesregierung beförderte, habe sie dabei wertvolle Erfahrungen machen können. «Das hat mir gezeigt, dass ich mit dem Druck und dem Stress umgehen kann.» Sie könne nun noch stärker auf Leute zugehen und habe zudem ein intensives Medientraining erhalten. Ausserdem werde ihr nun der Einstieg in Bundesbern erleichtert. «Ich kenne bereits viele Parlamentarier aus verschiedenen Fraktionen, mit denen ich während meiner Kandidatur schon zu tun hatte.»

Tätigkeit im Lehrbereich ist für Z’graggen eine Option

Noch hat Z’graggen nicht entschieden, wozu sie die Zeit, die ihr neben ihrem Ständeratsamt künftig bleiben wird, nutzen möchte. Die meisten ihrer Stiftungsratssitze sind an ihr Regierungsratsmandat geknüpft und enden daher mit dem Amt. Einzig als Präsidentin der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission wird sie auch weiterhin aktiv sein. Weitere Mandate seien denkbar. «Das müsste ich im Einzelfall prüfen und schauen, ob das in meinem Interessengebiet liegt.» Die frühere Politikwissenschafterin überlegt sich auch, wieder im Lehrbereich tätig zu sein, wenn sich etwas Passendes findet.

Ob sie ihrem Studium der Politologie, in der sie 2008 promovierte, auch Wissen zu verdanken hat, das für ihre Karriere nützlich war? Sie sei schon froh um diesen Hintergrund, dank dem sie die zahlreichen Texte, die sie in ihrem Beruf zu bewältigen hat, schnell lesen und zusammenfassen könne. «Aber was man in einem Politologiestudium nicht lernen kann, ist, dass Politik von Menschen gemacht wird, die alle unterschiedliche Motive, Gefühle und auch Ängste haben.» Reale Politik verlaufe selten lehrbuchmässig.

Keinen konkreten Plan hat sie, wie lange sie als Ständerätin wirken will. «Um gut und fruchtbar wirken zu können, braucht es aber schon eine längere Zeit.» Gute Gesundheit vorausgesetzt, strebe sie daher mehr als eine Legislatur an. Was Z’graggen aber bereits weiss: «Ich werde meine Mitarbeiter der Justizdirektion vermissen, den fachlichen Austausch mit ihnen sowie die Teamanlässe.» Gleiches gelte für die Zusammenarbeit mit den Regierungsräten. Was sie weniger vermissen werde: «Als Regierungsrat ist man 24 Stunden lang an 365 Tagen im Jahr im Einsatz, man muss jeden Moment voll da sein.» Diese Verantwortung nach 16 Jahren in andere Hände geben zu dürfen, sei etwas, worauf sie sich freue.

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