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Hearing Forum in Andermatt: Hörprobleme werden zur Hypothek

Am ersten Hearing Forum in Andermatt sprachen namhafte Forscher rund ums Hören – und brachten wichtige Punkte zur Sprache.
Die neue Konzerthalle macht aus Andermatt auch einen Ort für internationale Konferenzen. Bild: Florian Arnold (Andermatt, 20. September 2019)

Florian Arnold

Mit der neuen Konzerthalle in Andermatt wird das Tourismusresort vermehrt auch zum Konferenzort. Der gleichnamige Verein lud zum ersten Hearing Forum Andermatt. Den Vorträgen von gewichtigen Forschern lauschten vorwiegend Hals-, Nasen-, Ohrenärzte, Betroffene von Höreinschränkungen und Interessierte. 150 Personen nahmen teil.

Das Eröffnungsreferat hielt der US-amerikanische HNO-Professor Frank Lin. Er hat in einer gross angelegten Studie nachgewiesen, dass bei Menschen mit einem starken Hörschaden eine fünfmal höhere Gefahr besteht, an Demenz zu erkranken, als bei gleichaltrigen Menschen, bei denen das Gehör «normal» altert. Lin ist nun daran, herausfinden, ob mit dem frühzeitigen Einsatz von Hörgeräten die Demenz aufgehalten werden kann.

Schlechtes Hören kann zu Depression führen

Die österreichische Sozialpsychiaterin Gabriele Fischer, die unter anderem für die WHO tätig ist, zeigte auf, dass Schwerhörigkeit einen grossen Einfluss auf die psychische Gesundheit hat. Die Schwierigkeiten reichen von Kommunikationsproblemen mit Partnern und Kindern bis hin zu einer Gefahr, die Arbeitsstelle zu verlieren. Schwerhörige vereinsamen im Alter oft. Als ein prominentes Beispiel nannte sie den Komponisten Ludwig van Beethoven, der zum Ende seines Lebens ertaubte und zunehmend gesellschaftsunfähiger wurde. Studien zufolge ist bei Schwerhörigen eine erhöhte Gefahr von Depressionen und Angstzuständen festzustellen. «Es muss noch mehr Prävention stattfinden», so die klare Botschaft der Expertin. Eine weitere Studie habe gezeigt, dass bei schwerhörigen Menschen ohne Hörgerät ebenfalls eine grössere Gefahr für Depression besteht.

Die Referenten sind sich einig, dass das Problem der Schwerhörigkeit in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen wird. Dies hängt mit der demografischen Entwicklung zusammen. Und das hat auch einen gewichtigen wirtschaftlichen Effekt.

Gehirn erledigt Aufgaben im Alter anders

Der Neurowissenschaftler Martin Meyer sagte: «Hören ist nicht gleich Sprache verstehen.» Er forscht an der Universität Zürich unter anderem daran, wie sich das Gehirn im Verlauf des Lebens verändert und legt dabei ein Augenmerk auf die Sprachverständlichkeit. Das Gehirn beginne schon im Alter von 20 Jahren zu schrumpfen. Festgestellt hat er, dass mit der Zeit andere Gehirnregionen die Aufgabe des Sprachverständnisses übernehmen. Doch das genügt nicht, um im Alter noch alles verstehen zu können. Hilfe kann die visuelle Unterstützung der gesprochenen Sprache liefern, so Meyer. «Das beste Training ist einfach der Alltag», sagte Meyer, Sprachverständlichkeit könne nur durch den Gebrauch in Schwung gehalten werden. Er rät älteren Menschen, noch mehr mit anderen in Kontakt zu treten: «Suchen Sie so viele soziale Interaktionen wie möglich.» Und auch Meyer stellte nicht in Abrede, dass ein Hörgerät sinnvoll sein kann.

Professor Daniel Bodmer versucht, die Hörgeräte auf anderem Weg zu umgehen. Er forscht an der Universität Basel, ob der Gehörverlust mit dem Einsatz von Medikamenten gestoppt werden kann. Die Forscherin Soledad Levano vertrat Bodmer in Andermatt. Sie zeigte auf, dass die Schwierigkeit in der Medikamentenbehandlung darin besteht, dass der Hörverlust durch verschiedene Ursachen entstehen kann. In der Medikamentenforschung gibt es zurzeit mehrere Ansätze.

Hörgeräte werden mehr Funktionen übernehmen

Der erste Teil des Nachmittags war den Hörimplantaten und Hörgeräten gewidmet. Die Hörhilfen sind mittlerweile so gestaltet, dass man sie als Aussenstehender nicht mehr sehen kann. Wie Christof Röösli vom Luzerner Kantonsspital erläuterte, stellen vor allem die Mikrofone eine grosse Herausforderung bei der Weiterentwicklung dar. Wie Stefan Launer der Sonova AG sagte, feilt man in der Industrie zurzeit stark daran, welche Zusatzfunktionen Hörgeräte künftig übernehmen sollen. Das geht etwa so weit, dass in Zukunft über das Hörgerät die Herzfrequenz oder die Körpertemperatur gemessen werden soll, die dann übers Smartphone ablesbar ist.

Aufklärung und Thematisierung gefordert

Beim Podium, geleitet von Thomas Linder vom Kantonsspital Luzern und Andreas Möck­li, Leiter der Wirtschaftsredaktion von CH Media, wurde vertieft darüber gesprochen, dass Hörgeräte noch immer stigmatisieren würden. Die Lösung sehen die Referenten in der Aufklärung und Thematisierung. Gefordert wird von Ohrenärzten künftig aber auch immer mehr ein interdisziplinäres Denken, gerade auch mit dem Wissen um den Einfluss von Hörschäden auf Demenz.

Der erste Referent Frank Lin ist ein Verfechter davon, dass die grosse Masse der Bevölkerung Zugang zu Hörhilfen erhalten soll – dies etwa auch mit Produkten, die man im Supermarkt erhält. Noch ist dies in der Schweiz nicht möglich, doch die Industrie kann sich vorstellen, künftig Produkte bei Grossverteilern wie Migros oder Coop anzubieten. Die Referenten sehen darin aber auch eine Chance, dass derselbe Effekt festzustellen ist wie bei Lesebrillen: Wem das günstige Produkt nicht hilft, geht zur Beratung bei einer Fachperson.

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