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Uri

Ein Tal inspiriert die Künstler

Am vergangenen Sonntag öffneten Irmgard Walker und ihr Onkel Alois Gisler zum letzten Mal die Türe des Bauernhauses, das eng mit dem Namen der Künstlerfamilie Gubler verbunden ist.
Alois und Hans Gisler (rechts) vor dem «Haus In der Weid» (heute Oberwiler), dem ehemaligen Atelierhaus der Künstlerfamilie Gubler und ab 1928 das Wohnhaus der Familie Gisler. (Bild: Christof Hirtler, Bürglen, 15. Juli 2018)

Christof Hirtler

Entlang des Wegs ins Riedertal führen sieben Informationstafeln zur Künstlerfamilie Gubler zum Haus «In der Weid». Die Gubler-Stiftung zeigte dort vom Monat Mai an eine kleine Ausstellung zum Leben und Werk der Familie Gubler. Von 1905 bis 1928 verbrachte die Familie von Berta und Eduard Gubler aus Zürich im Riedertal ihre Sommerferien und lebte wie ihre bäuerlichen Nachbarn. Sie waren fasziniert von der kargen Bergwelt und vom archaischen Leben ihrer Bewohner.

Der Vater restaurierte die Riedertal-Kapelle, die Söhne Eduard, Ernst und Max erhielten im Riedertal zwischen 1917 bis 1922 entscheidende Impulse für ihr künstlerisches Schaffen. Ernst Gubler schuf im Riedertal seine ersten wichtigen Plastiken, Porträtköpfe von Talbewohnern. Max Gubler malte in der Stube des Hauses «In der Weid» grossformatige Bilder mit Motiven aus dem Tal, darunter das Schlüsselwerk «Sterbezimmer». Eduard Gublers malerisches Frühwerk ist ganz dem Riedertal gewidmet. Er gilt als einer der bedeutendsten und frühesten Vertreter des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit in der Schweiz.

«Dem Tal völlig verfallen»

Um 1922/23 trennten sich dann aber die Wege der drei Gubler-Brüder. Ernst studierte in München, Max reiste nach Italien und Eduard arbeitete als Zeichnungslehrer an Zürcher Sekundarschulen. «Eduard Gubler (1891–1971) aber blieb dem Tal völlig verfallen», schrieb Karl Iten 1982 im Katalog zur Gubler-Ausstellung in der «Höfli»-Kaserne. «158 Gemälde seiner 1190 Werke sind Riedertal-Bilder.»

47 Jahre lang, von 1905 bis 1952, kam Eduard Gubler ins Riedertal. Als Zeichnungslehrer verbrachte er die Frühlings- und Herbstferien oft allein im Tal. Im Sommer kam er mit seiner Familie. Gemalt hat er in Zürich in seinem Atelier, aus der Erinnerung. Was in seinem Frühwerk leidende Menschen im Bann eines unerbittlichen Lebensraums waren, sind im Spätwerk selige Bewohner in einer paradiesischen Landschaft. Nach einem Oberschenkelbruch und seiner vorzeitigen Pensionierung 1953 reiste er nicht mehr ins Riedertal. Als 1964 die Strasse bis zur Kapelle gebaut und das Riedertal mit Strom erschlossen wurde, weigerte sich Eduard Gubler, das Tal nochmals zu besuchen. Er wollte das Riedertal, wie er es aus seiner Jugendzeit kannte, als unberührte Landschaft in Erinnerung behalten.

Hans und Alois Gisler erinnern sich

Der 88-jährige Hans Gisler lebte mit seinem Bruder Alois und weiteren vier Geschwistern im Haus «In der Weid». Gerne erinnert er sich an die Familie Gubler: «Sie kamen jeden Sommer ins Riedertal. Sie hatten zwei Töchter, das Maria und das Vreneli. Der Maria sagten wir Meieli. Sie war gleich alt wie ich. Als Kinder spielten wir viel zusammen. Später gingen wir zusammen ‹z Berg›, zum Beispiel auf die Burg.» Sie hätten nie den Weg übers Wängi genommen, sondern gingen immer gerade hinauf, sie seien frech gewesen.

«Ausser den Nachbarn, sahen wir monatelang keinen Menschen», berichtet Hans Gisler. Wenn die Familie Gubler zu uns auf Besuch kam, war das für uns ein Fest. Wir sassen alle in der Stube, Eduard Gubler zündete seine Pfeife an, redete mit meinen Eltern, und wir hörten gebannt zu.» Manchmal traf man die Gublers beim Posten nach der Kirche in Bürglen beim Restaurant Kinzigpass, dort war ein kleines «Lädeli». Im Sommer unternahm die Familie Gisler bei schönem Wetter jeden Sonntag einen Ausflug auf die Burg. Die Kinder badeten in den beiden Bergseeli.

Zum «Zmorgä» gab es Schokoladenwasser

Alois Gisler, geboren 1943, erzählt von der Lawine von 1917: «Im April brach eine aussergewöhnlich grosse Lawine von der Burg her ins Tal. Sie riss den Stall des Nachbarn David Planzer mitsamt dem Vieh mit.» Dieses Ereignis wurde daheim und bei den Besuchen der Familie Gubler immer wieder besprochen. Eduard Gubler, der damals aus der Zeitung vom Unglück erfahren hatte, reiste unverzüglich in den Kanton Uri. Er war erschüttert, was er dort sah. Seine Lawinenbilder gehen auf diesen Eindruck zurück. «Die Eltern hatten nur eine Kuh und ein Rind, das sie im Herbst verkauften. Ziegen wie die Nachbarn im ‹Mätteli› hatten wir keine», sagt Hans Gisler. «Im Winter, wenn die Kuh galt war, hatten wir während zwei Monaten keine Milch. Zum ‹Zmorgä› machte uns die Mutter Schokoladenwasser – heisses Wasser mit Schokoladenpulver, dazu Polenta. Danach mussten wir zur Schule», erzählt Hans Gisler. Etwas Geld verdiente sein Vater beim Holzen. Das Holz wurde im Herbst ersteigert, im Winter gefällt und durch die Gasse bis zur Säge nach Loreto gereistet.

Bis zur Pensionierung bei der «Gummi»

Hans Gisler erzählt vom Kartoffelpflanzen in den Allmeinigärten Anfang der 1940er-Jahre und vom Krieg: «Vater war im Dienst, ein ganzes Jahr. Er kam nur zwischendurch für zwei bis drei Tage heim. Meine fünf Geschwister und ich halfen der Mutter beim Heuen und im Haushalt, besorgten die Tiere. Nach dem Aktivdienst bekam Vater Arbeit im damaligen ‹Schächäwald›. Mit sechzehn Jahren begann Hans Gisler bei der «Gummi» und arbeitete dort bis zu seiner Pensionierung.

Auf dem Weg ins Riedertal entlang der Schrannenstrasse bis zum Bauernhaus Vorderer Talberg befindet sich ein Stationenweg zum Leben und Werk der Familie Gubler.

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