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Das machen die Flüchtlinge aus dem Dok-Film «Auf euch hat hier niemand gewartet» heute

Zum SRF-Dok-Film «Auf euch hat hier niemand gewartet» mit dem Flüeler Heinz Gerig gibt es eine Fortsetzung.
Heinz Gerig trifft seinen einstigen Schüler Moses Kigozi, der heute ein Personalrestaurant in einem Innerschweizer Luxushotel leitet. (Bild: Ausschnitt aus dem SRF-Dok-Film «Auf euch hat hier niemand gewartet»)
Heinz Gerig an seinem Arbeitsplatz in Weggis, dem Sitz von Hotel & Gastro Formation: Immer wieder macht er Telefone, um Praktikumsplätze für die Flüchtlinge zu beschaffen. (Pd, Urner Zeitung)
Im Wallis hat Heinz Gerig eine besondere Herausforderung angetreten: Flüchtlinge als Pflegehelfende auszubilden. (Pd, Urner Zeitung)

Christian Tschümperlin

Christian Tschümperlin

Christian Tschümperlin

Es war ein einziger Satz des Flüelers Heinz Gerig, der 2016 in der Schweiz für Furore sorgte. Sogar der SRF-Dokumentarfilm, in dem dieser Satz fiel, wurde danach benannt: «Auf euch hat hier niemand gewartet», sagte der ehemalige Spitzenkoch Gerig in die überraschten Gesichter einer Gruppe Flüchtlinge. Diese hatten sich soeben für den Gastro-Basiskurs Riesco qualifiziert. Gerig verlieh damit einer unausgesprochenen Realität in unserem Land Ausdruck. Später begründete er:

«Ehrlichkeit ist das A und O. Leute kommen mit Träumen und Fantasien in die Schweiz und werden noch lange genährt mit diesen Fantasien. Die Realität aber ist kalt und brutal.»

Inzwischen sind vier Jahre vergangen. Was ist eigentlich aus Heinz Gerig und den Flüchtlingen geworden? Der Luzerner Filmemacher Beat Bieri hat bei den damaligen Absolventen des Riesco-Kurses nachgefragt. Er verrät bereits ein paar Details über den neuen Film «Auf euch hat hier niemand gewartet – Die Jahre danach»: «Das Fazit darf sich sehen lassen.» Der Afghane Isa Villayaty, dessen Eltern in der Heimat von den Taliban ermordet worden sind, ist stolz, denn heute bezahlt er all seine Rechnungen selber. Und der Ugander Moses Kigozi, der das Personalrestaurant in einem Innerschweizer Luxushotel leitet, meint rückblickend auf den Kurs:

«Mein Gott, wir mussten lernen, dass die Pünktlichkeit in der Schweiz eine zentrale Sache ist. Ich wandelte mich also von einem, der zu spät kommt, zu einem, der pünktlich erscheint. Und ich bin froh darüber.»

Mit Blick auf die Ausstrahlung traf die Urner Zeitung den umtriebigen Flüeler Gerig. «Ich bin reifer und abgeklärter geworden», sagt er zu Beginn unseres Gesprächs. Das Herz scheint er aber immer noch am rechten Fleck zu haben. «Das muss so sein, wenn man meinen Job macht», sagt er.

Die Gastronomie als Türöffner in unsere Gesellschaft

Gerig kam zum Zeitpunkt des Treffens gerade aus Bern zurück, wo er den Durchführungsort für einen neuen Gastro-Kurs besichtigte. Dieser wird in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Arbeiterhilfswerk Bern aufgebaut. Das Angebot richtet sich an erwerbslose vorläufig Aufgenommene und anerkannte Flüchtlinge mit Ausweis B oder F. «Die Kursteilnehmer benötigen eine fundierte berufliche Basisqualifikation, um ihre Chancen für den Einstieg in die Arbeitswelt zu erhöhen», sagt Gerig. Der neue Fachkurs ist auf eine Dauer von 9 Monaten angelegt und wird geleitet von der Hotel & Gastro Formation Schweiz.

Der neue Kurs in Bern ist nur ein Beispiel dafür, dass sich in den letzten vier Jahren in der Integration viel getan hat. Gerig hat inzwischen mehrere verschiedene Kurse entwickelt. Es fallen Namen wie Perfecto, Progresso oder die Fide-Kurse. Sie alle stehen unter der Leitung der Hotel & Gastro Formation Schweiz in Weggis, bei der Heinz Gerig arbeitet. Finanziert werden die Kurse aus unterschiedlichen Quellen – auch mit öffentlichen Geldern. Stolz berichtet Gerig von den neuen Fide-Sprachkursen im Gastrobereich, die auf szenenbasierten, berufsspezifischen Sprachunterricht setzen. «Die Nachfrage ist sehr gross, so haben sich zwischen Weihnachten und Neujahr über 140 Personen angemeldet.» Der Fide-Sprachkurs ermöglicht den ausländischen Arbeitskräften eine kostenlose Teilnahme.

Einziger Wermutstropfen: Der Kanton Luzern hat Gerigs Kurs aus Kostengründen eingestellt. Dafür sind Baselland, Baselstadt, Wallis und Zürich auf den Zug aufgesprungen. Noch immer liegt die Arbeitsmarkt-Vermittlungsquote für Flüchtlinge bei etwa 85 Prozent, nachdem sie den Riesco-Kurs absolviert haben. Sogar die EU wurde daher auf das Modell aufmerksam. Gerig hielt Vorträge in Brüssel. Inzwischen sind einige EU-Länder daran, Teile seines Konzeptes in eigene Kurse zu integrieren.

«Werte und Normen»: Ein nicht zu unterschätzendes Fach

Insbesondere der Kursteil «Werte und Normen» erfreut sich grosser Beliebtheit. «Wenn ich die Flüchtlinge am Ende des Jahres frage, was ihnen am meisten gebracht habe, nennen alle dieses Fach.» Die Flüchtlinge merkten, dass die Schweizer plötzlich ganz anders auf sie reagierten, wenn sie sich anders verhielten.

Das Unterrichten in den verschiedenen Riesco-Kursen hat Gerig inzwischen weitgehend in die Hände fähiger Lehrer übergeben. Er selbst versteht sich als begleitender Coach und verantwortlicher Ansprechpartner im Hintergrund. Auf die Reaktionen zum letzten Film angesprochen, zeigt sich Gerig positiv überrascht. Beim Thema Flüchtlinge gehen schnell einmal die Wogen hoch. Häufig zeugen Kommentare in den sozialen Medien von Wut. Das weiss auch Gerig. Doch: «Ich habe sehr viele, grösstenteils positive Reaktionen erhalten. Nur ein paar wenige waren unter der Gürtellinie», lässt er durchblicken. Sogar auf der Strasse sei er auf den Film angesprochen worden. «Das hat mich verblüfft.»

Regisseur Beat Bieri vermutet, dass dies auf den harten Umgangston Gerigs mit den Flüchtlingen zurückzuführen sei. «Anfangs hat mich das sehr irritiert. Dann habe ich aber erkannt, dass Heinz Gerig damit die unerbittliche Realität in der Schweiz aufnimmt.» Gerig sei nicht nur hart in den Forderungen, er gehe auch in der Förderung sehr weit. «Er ist oft am Telefon und sucht Praktikumsplätze für die Flüchtlinge.» Diese Verbindlichkeit, dieses grosse Engagement von Gerig hätten die Flüchtlinge schliesslich sehr geschätzt, so Bieri.

Die Flüchtlinge und das SVP-nahe Gewerbe

Im SRF-Dok-Film wird die Debatte um die Flüchtlingsintegration nicht in schwarz-weiss geführt. Dazu eine Schlüsselszene von 2016: Der Gastronom und Zürcher SVP-Politiker Ernst Bachmann stellt mit strahlendem Gesicht seine Küchenmannschaft vor: allesamt Ausländer, darunter Riesco-Kursteilnehmer. Laut Beat Bieri handelt es sich dabei um ein typisches Phänomen im SVP-nahen Gewerbe:

«Wenn die Ausländer einen guten Job machen und sich einen Namen geschaffen haben, werden aus bösen Ausländern plötzlich gute Ausländer.»

Gerig hatte einmal ein ähnliches Erlebnis, als er für eine Flüchtlingsfrau einen Praktikumsplatz im Kanton Schwyz suchte. «Der Chef sagte mir alle Schande. Er betonte, noch nie einen Ausländer eingestellt zu haben», erinnert sich Gerig.

Zwei Tage später habe er von dem Chef einen Anruf erhalten, ob das Angebot immer noch gelte. Gerig habe dies bestätigt aber auch klargemacht, dass er erkannt habe, dass es sich wohl um den falschen Betrieb handle. Der Küchenchef habe daraufhin erzählt, dass ein Mitarbeiter kurzfristig ausgefallen sei und er jetzt froh wäre um die Praktikantin. Der Küchenchef entschuldigte sich für seine deftige Wortwahl und nach längerem Hin und Her willigte Gerig ein, die Praktikantin zu ihm zu schicken. «Ich rufe die Dame aber immer wieder an und sollte ich hören, dass sie schlecht behandelt wird, hole ich sie sofort wieder ab», unterstrich Gerig. Die Frau sei nach dem Praktikum ganz begeistert gewesen über den lieben Chef aus Schwyz.

Einst war Gerig selber ein Flüchtling

Dass sich Heinz Gerig für die Flüchtlinge einsetzt, hat mit seiner Lebensgeschichte zu tun. «Ich bin ein schulgeplagtes Kind. Ich habe immer gesagt, wenn ich einmal Lehrer bin, mache ich das anders.» Als er sein höchstes berufliches Ziel, Spitzenkoch zu werden, erreicht hatte, kam er auf diese Idee zurück. «Schnell habe ich gemerkt, dass ich gut bei den Leuten ankomme, weil ich viel gereist bin.»

Gerig war auf allen Kontinenten als Koch tätig und hat viel Lehrgeld gezahlt, wie er sagt. 1981 verschlug es ihn auf die sagenumwobenen Bermuda-Inseln. Das Zimmer übernahm er damals von ein paar Auslandschweizern. «Sie verkauften mir den Kühlschrank und das Fernsehgerät. Kurze Zeit tauchten die Besitzer auf und holten beides ab. Die Schweizer hatten die Einrichtungen nur gemietet.»

1983 ging er nach Südafrika, wo er selber zum Flüchtling wurde. Und das ging so: Gerig beantragte den südafrikanischen Pass und war im Hotel Sun City in Südafrika als Spitzenkoch tätig. Der Haken: Mit dem Bürgerrecht war er automatisch militärdienstpflichtig geworden. «Als ich 20 war, kam der Marschbefehl.» Es war die Zeit des Rhodesien-Konfliktes. «Wir konnten doch nicht ins Militär einrücken.» Der Chef der Küche gab dem Team 24 Stunden Zeit abzuhauen, bevor er die Fahnenflüchtigen der Regierung meldet. «Wir hatten schwere Motorräder, Fernsehen und andere Geräte. Die konnten wir nicht mitnehmen. Kein Schweizer Kollege hätte uns etwas abgekauft. Weil sie wussten, dass sie diese Dinge am nächsten Tag eh abholen würden.» Da es nicht die erste schlechte Erfahrung mit Auslandschweizern war, machte Gerig von da an einen grossen Bogen um alle Auslandschweizer und mischte sich unter die lokale Bevölkerung.

Die Ausreise über den Flughafen war Gerig versperrt. «Da hätten sie uns sofort gepackt und eingezogen.» So flohen er und seine Kollegen in einer Nacht- und Nebelaktion über die grüne Grenze nach Mosambik. Dort arbeiteten sie ein halbes Jahr lang in einem Restaurant. Als sie die nötigen 500 Dollar zusammenhatten, setzten sie mit einem Chiquita-Frachter nach Südamerika über.

«Weil ich damals selber ein Flüchtling war, kann ich mich heute sehr gut in die Flüchtlinge hineinversetzen.» Als «Schweizermacher» versteht sich Gerig aber nicht:

«Ich möchte, dass die Leute ihre Wurzeln behalten. Ich möchte nicht aus einem Mohammed einen Fritz oder Franz machen. Dort wo man die Wurzeln hat, bleibt das Heimatland. Aber sie müssen einige Dinge von uns übernehmen, wenn sie im Schweizer Arbeitsmarkt Fuss fassen wollen.»

Der Dok-Film «Auf euch hat hier niemand gewartet – Die Jahre danach» von Beat Bieri über Heinz Gerig und die Flüchtlinge wird am Donnerstag, 13. Februar, um 20 Uhr auf SRF 1 zu sehen sein.

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