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Uri

Das Loch

Da die Kantonsbibliothek dieses Jahr ihr 50. Jubiläum feiert, schreiben Urner Autoren zwei Geschichten mit demselben Anfang. Heute: Teil 3.

«Mist! So ein Mist!» Sefa stürmte zusammen mit Alex in den Lesesaal. Als sie den Raum erreichten, trauten sie ihren Augen kaum. «Das darf doch wohl nicht wahr sein!», schrie Sefa.

Einer der Handwerker war doch tatsächlich mit dem Presslufthammer durch die Decke gebrochen. Es klaffte ein Loch inmitten des Saals, und eine Menge Staub lag überall verteilt. Sefa lief auf die Stelle zu und schaute hoch. Von oben blickte ihr ein kreidebleicher Mann mit aufgerissenen Augen entgegen. «Das …, das ist mir wirklich noch nie passiert», stammelte er. «Sie bringen das in Ordnung! Haben Sie das verstanden?!», gab Sefa harsch zurück. «Zum Glück sind heute keine Besucher da. Um den Schaden soll sich der unfähige Arbeiter kümmern.» Sie hatte das beim Weglaufen etwas lauter gesagt, als sie beabsichtigt hatte und hoffte insgeheim, dass er es nicht gehört hatte.

«Ich sollte jetzt wohl nach Hause», ertönte es ganz leise neben ihr. Ja, das war wohl das Beste. Sefa zog sich zeitgleich wie Alex ihre Jacke an, ging mit ihm zur Tür und schloss ab. Heute würde sowieso niemand mehr kommen, schliesslich war die Bibliothek schon seit einer Viertelstunde offiziell geschlossen.

Als Sefa am darauffolgenden Tag dabei war, zurückgebrachte Bücher einzusortieren, hörte sie, wie jemand die Bibliothek betrat. Sie drehte sich um und sah einen Mann, der mit einer kleinen Pflanze auf sie zu lief. «Ich wollte mich wegen gestern entschuldigen.»

In den Alltagskleidern und mit normalem Gesichtsausdruck hatte Sefa ihn im ersten Moment gar nicht erkannt – den Arbeiter, der für das Loch verantwortlich war. «Ich weiss nicht, ob sie Pflanzen mögen, aber ich hoffe, dass sie Ihnen gefällt.» «Ja, danke», gab sie von sich und nahm die Pflanze entgegen. Jetzt nur nicht zeigen, wie sehr du dich darüber freust, sonst denkt er noch, du würdest ihm deswegen verzeihen. «Hier ist meine Nummer …», er stockte kurz, «falls Sie mich bezüglich der Baustelle mal kontaktieren möchten.» «Danke, ich werde es mir merken», gab Sefa zurück und widmete sich wieder den Büchern. Vielleicht war es auch, um ihre Verlegenheit zu verstecken. Sie konnte hören, wie sich der Mann entfernte und atmete erleichtert auf.

Nach einigen Stunden regen Betriebs, wurde es langsam wieder ruhig in der Bibliothek. Sefa war gerade dabei, die Post zu öffnen, als sie aus dem Augenwinkel sah, wie Alex eintrat.

«Sefa, der Zettel – du wolltest mir sagen, was es damit auf sich hat ..., die Kritzeleien und der Fleck!» Alex war ganz aufgeregt. Ach ja, der Zettel, den hatte sie völlig verdrängt. «Die Kritzeleien, was haben sie zu bedeuten? Und der Fleck? Du hast mir noch nicht gesagt, was das für ein Fleck ist.»

«Die Kritzeleien, das ist ein Code», fing Sefa langsam an. «Ein Code? Wofür denn?» «Es ist ein Code, der sich mit Hilfe gewisser Bücher aus der Bibliothek entziffern lässt.» «Was heisst er, wenn man ihn entschlüsselt? Und wieso hast du ihn denn nicht entschlüsselt hingeschrieben?» Alex Stimme überschlug sich fast.

Weil es zu gefährlich gewesen wäre, dachte Sefa für sich. Weil seit jeher die Gefahr bestand, dass Esmeralda den Zettel irgendwann finden würde. Weil der Fleck leider keine Tinte war. Aber das konnte sie Alex nicht einfach so sagen, oder etwa doch? Und was, wenn die Frau von gestern doch Esmeralda gewesen war? Was würden sie dann machen?

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