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Uri

Aufhören ist für sie kein Thema

Hannes und Raphael Bissig haben nach einem Wolfsriss drei Zuchtschafe notschlachten müssen. Sie erklären, weshalb sie ihre Tiere trotzdem weiter auf eine Alp treiben wollen.
Hannes (links) und Raphael Bissig mussten ihre Schafe wegen des Wolfs fünf bis sechs Wochen früher von der Alp holen. (Bild: Boris Bürgisser (Seedorf, 17. August 2018))

Bruno Arnold

Hannes (33) und Raphael Bissig (26) sind passionierte Schafhalter und -züchter – seit ihrer frühen Jugendzeit. «Andere Leute erholen sich nach Feierabend beim Biken, im Garten oder bei einem Bier am Stammtisch», sagt Agrotechniker Raphael Bissig. «Für mich sind die Stunden bei den Tieren die beste Erholung.»

Auch der gelernte Schreiner und angehende Landwirt Hannes Bissig sieht den Umgang mit den Schafen mehr als Vergnügen denn als Arbeit. «Die Schafe geben einem sehr viel. Man freut sich, wenn junge Lämmer auf die Welt kommen, wenn die Tiere gesund sind und wenn man mit ihnen Zuchterfolge feiern kann. Sie wachsen einem so richtig ans Herz, gehören irgendwie zur Familie.»

Alp Ochsenbördli ist nicht schützbar»

Seit 2007 treiben die beiden Brüder aus Seedorf zusammen mit Tobias und Josef Loretz aus Silenen ihre Zuchtschafe jeweils auf die Alp Ochsenbördli auf der südlichen Seite des Göscheneralptals. In diesem Jahr umfasste die Herde rund 50 Tiere. Die Alp an der rechten Talflanke ist allerdings von Experten offiziell als «nicht schützbar» eingestuft worden. Das heisst: Sie ist nicht herdenschutztauglich. «Wegen der vielen Steine und Felsen können wir das über 60 Hektaren grosse Alpgebiet unmöglich wolfssicher einzäunen», erklärt Agrotechniker Raphael Bissig. «Der Einsatz von Herdenschutzhunden und die damit verbundene Anstellung eines Hirts wären für die nur gerade 50 gesömmerten Tiere nicht angemessen», betont er weiter. Und Hannes Bissig ergänzt: «Ein Herdenschutzhund in einem viel bewanderten Weidegebiet führt zu Problemen und Einschränkungen für die Bevölkerung. Der Herdenschutz, der eigentlich als Problemlösung gedacht wäre, bringt diesbezüglich also höchstens neue Probleme.»

Bis auf eine einzige Ausnahme konnten die Bissigs seit 2007 alle Tiere jeweils nach der Alpzeit wieder gesund in den Heimbetrieb zurücknehmen. «Weder Steinschlag noch Krankheiten oder Raubtiere haben Probleme verursacht», freut sich Raphael Bissig. Und Hannes Bissig weiss auch: «Wir haben bisher immer sehr viel Glück gehabt.» Bis vor wenigen Tagen. In der Nacht vom 10. auf den 11. August hat ein Wolf zwei Tiere getötet, drei weitere hatten offene Fleischwunden und mussten notgeschlachtet werden (siehe unsere Zeitung vom 13. August).

Steuerzahler muss für Risse aufkommen

Der Anblick der toten und verletzten Tiere bricht einem wirklich fast das Herz», sagt der ältere der beiden Brüder. Und der Jüngere betont: «Solche Verluste kann man nicht mit finanziellen Entschädigungen wiedergutmachen (siehe Box). Zudem müssen die Steuerzahler dafür aufkommen. Das ist den meisten Leuten gar nicht bewusst. Die getöteten Schafe sind auch nicht einfach durch andere Schafe gleichwertig ersetzbar.»

Noch etwas erwähnen die beiden Seedorfer: «Wenn Züchter aufgeben, fehlen nicht nur Kontakte und der Austausch von Fachwissen. Auch Bekanntschaften und Know-how gehen verloren, weil gegenseitige Besuche auf den Betrieben unterlassen werden.

Auch in Zukunft auf Alpen sömmern

Für die Bissigs ist Aufhören trotz des Rückschlags vom 11. August kein Thema. Und die beiden wollen ihre Tiere auch in Zukunft auf Alpweiden sömmern. «Auf 1600 bis über 2000 Meter über Meer treffen unsere Tiere fast paradiesische Zustände an», betont Raphael Bissig. «Dort hat es genügend Gras und Wasser, zudem macht die Hitze den Schafen bedeutend weniger zu schaffen als unten im Talboden.» Die Bestossung solcher Flächen ist für Raphael Bissig aber auch aus ökologischer Sicht sehr nachhaltig. Die Verbuschung könne minimiert werden, und nicht zuletzt bleibe den Touristen ein gepflegtes Naherholungsgebiet erhalten. «Die Schweiz wirbt mit gepflegten, artenreichen und offenen Grünflächen», hält Raphael Bissig fest. «Die wunderbare Biodiversität und Landschaft, die wir heute geniessen dürfen, hat sich durch aktive und gezielte Landschaftspflege und ohne Grossraubtiere entwickelt.»

Risiko wäre für Züchter zu gross gewesen

Den Züchtern blieb am 11. August nichts anderes, als die gesömmerten Tiere wieder nach Hause zu holen – fünf bis sechs Wochen früher als normal. «Das Risiko eines weiteren Angriffs wäre einfach zu gross gewesen», begründet Raphael Bissig den Entscheid. «Die fünf Tiere, die dem Wolf zum Opfer gefallen sind, sind eh schon fünf zu viel.»

Im Heimbetrieb fehlen zwar aktuell die nötigen Weidegebiete für die Tiere, die früher von der Alp getrieben wurden. Sie werden als Reservoir für das Generieren von Winterfutter genutzt. «Mit Blick auf den Winter können wir auch nicht ausschliessen, dass wir Futter zukaufen und ein paar Tiere mehr als üblich schlachten müssen», erklärt Hannes Bissig. «Aber mehrere Berufskollegen haben uns Unterstützung zugesichert, und auch die Korporation Uri hat sich bei der Suche nach möglichen Weidegebieten engagiert.»

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