Roman Hodel
Die Luzerner Fasnacht ist abgesagt! Als ich dies vor ein paar Monaten einem Freund aus Zürich verkündete, hatte der nur ein müdes Lächeln übrig und meinte: «Na und? Wir mussten auch aufs Sechseläuten und die Streetparade verzichten.» Also gut. Unrecht hat er nicht. Zumal es durchaus Parallelen gibt. Das Sechseläuten soll ja ebenfalls den Winter vertreiben und Zünfte spielen eine wichtige Rolle, die Streetparade wiederum wird wegen der teils verkleideten Teilnehmer als Technofasnacht verspottet.
Trotzdem gibt es markante Unterschiede. Zum Beispiel diesen: Während das Sechseläuten primär den Zünftern vorbehalten ist und die restliche Bevölkerung vor allem zuschauen darf, ist die Luzerner Fasnacht für alle da. Jede(r) ist willkommen, jede(r) darf mitfeiern. Man muss nirgends dabei sein. Einzige Bedingung: Bitte verkleidet! Und noch besser trägst du eine Maske, respektive einen «Grend». Idealerweise selbst gebastelt.
Und da sind wir beim nächsten Punkt: Für Tausende Fasnächtler beginnt die fünfte Jahreszeit schon im Sommer davor. Egal ob Guuggenmusig, Wagengruppe oder Einzelmaske – es gibt viele Fragen zu klären. Zum Beispiel: Welches Sujet wählen wir? Welches Gwändli passt am besten? Was kaufen wir zu, was basteln wir selber? Das ist ein Prozess, der fix zum Leben eines Fasnächtlers gehört. Unzählige Stunden werden ins Umsetzen der Sujets investiert.
Je näher dann der Schmutzige Donnerstag rückt, desto grösser wird die Spannung. Zwar gibt es ab dem 2. Januar kein Wochenende, an dem nicht zig grosse und kleine Vorfasnachtsanlässe stattfinden. Doch wirklich los geht’s eben erst am Schmudo. Dieses Gefühl, wenn der Urknall um 5 Uhr übers Luzerner Seebecken schallt und die Guuggenmusigen die Rathaustreppe zum Beben bringen. Das ist einfach unbeschreiblich.
Hinzu kommt die Vielfalt. Es gibt nicht die Fasnacht. Da sind etwa die Kult-Ur-Fasnächtler mit ihren riesigen Wagen und Figuren, die mitunter aussehen, als stammen sie von einem anderen Planeten. Oder es existieren unzählige Strassentheater, die witzige Geschichten erzählen. Ganz zu schweigen von den vielen Einzelmasken. Kurz: Es gibt so viel zu sehen.
Was schliesslich ebenfalls eine Rolle spielt: Luzern ist zwar ein schönes, aber manchmal etwas langweiliges Städtchen; «mit sittsamen Bürgern, die sich ihren Lebensunterhalt mit Uhren verdienen», wie es in einer Reportage eines Deutschen TV-Senders einst hiess. Einmal im Jahr aber dreht dieses Städtchen durch. Und wie! Fast eine Woche lang. Sie können, wenn Sie das schaffen, im Prinzip mehrere Tage durchfeiern. Wobei sich die Fasnacht nicht bloss auf ein paar Beizen oder Säle beschränkt. Nein. Nahezu die ganze Innenstadt ist in Beschlag genommen. Das beginnt schon im Bahnhof, der für ein paar Tage quasi Kopf steht.
Denn selbstverständlich ist Fasnacht auch Exzess, ein Ventil. Der Duft von Kafi Zwätschge oder Holdrio hängt überall in der Luft. Einmal im Jahr ausbrechen, einmal im Jahr eine Kunstfigur sein. Das muss Platz haben. Ich glaube sogar: Luzern braucht das. Dafür benehmen wir uns nachher für den Rest des Jahres, sicherlich während der Fastenzeit. Ich schwöre es.
Und jetzt? Seit Donnerstag wäre Fasnacht. Doch es gibt kein Sujet, kein Ausbrechen, einfach nichts. Sicher, man kann daheim ein Holdrio trinken und Guuggenmusig ab Konserve hören. Ich kann sogar allein durch die Altstadt streifen, den Kafi Zwätschge im Anschlag, und mir ausmalen, wie schön es jetzt wäre. Doch will ich das? Nein. Ich mag die Fasnacht so, wie sie sonst ist. Alles andere kann mir gestohlen bleiben. Kompensieren? Kannst du vergessen! Ich wüsste nicht womit. Und so bleibt uns Fasnächtlern nichts anderes übrig, als die Vorfreude auf 2022. Das mit dem Plangen haben wir ja mittlerweile drauf. Wehe, das wird wieder nix!