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Uri

«Ürner Asichtä»: «Numä ä chli kirmä»

Regula Waldmeier beschreibt in ihrer Kolumne, weshalb sie an keinem anderen Ort der Welt leben möchte.
Regula Waldmeier (Bild: PD)

«Warum bist du eigentlich nach eurer Scheidung im Kanton Uri geblieben und nicht nach Aarau zurückgekehrt?», wollte meine Tochter neulich von mir wissen. Die Antwort fiel mir leicht, «weil ich an keinem anderen Ort leben möchte, weil ich Land und Leute liebe und weil ich merke, dass sie mich auch mögen, so wie ich bin.»

«Numä ä chli kirmä» wollte die betagte Mutter unseres Vermieters, als ich sie im Hausgang vor unserer Wohnung auf dem Schuhkästchen sitzend antraf. Das war vor etwas über 40 Jahren. Ich, in Aarau aufgewachsen, zuletzt in Basel wohnhaft gewesen, lebte noch nicht lange in Uri und hatte keine Ahnung, was die alte Dame brauchte. Ob sie einen Kaffee oder ein Glas Wasser möchte, ob ihr schlecht sei? Nein, «numä ä chli kirmä». Vom Cabaret «Chyybääderli» hatte ich schon in Basel gehört und ich war sofort Fan davon. Das «Alpärosä, Edelwyss» kannte ich bald auswendig, aber dass das «Chyybääderli» das Narrenbein ist, fand ich erst später heraus. Bei Kuchen dachte ich an süsse Torten, es waren jedoch unsere Wähen gemeint. Das «Rings um ds ürner Chuchigänterli» wurde mein Begleiter: «Magronä» waren bei uns zu Hause «Hörndli», «Beenälisuppä» kannte ich nicht, «Paläntä» hiess Mais und was zum Kuckuck war «Pohr»? Ganz zu schweigen von den Süssigkeiten: «Zigerchrapfä», «Chnywplätz», «Iberlitzli» und noch ganz viele. Heute geniesse ich das typisch urnerische Essen, einfach und mit einheimischen Zutaten gekocht.

Die Menschen in Uri, hörte ich sagen, seien wortkarg. Das kam und kommt schon vor, dass man ihnen jedes Wort aus der Nase ziehen muss. Bei uns zu Hause war man munter und schwatzhaft. Zugegeben, es hörte nicht immer jede jedem zu. Andere Länder andere Sitten. Heute wird mir warm ums Herz, wenn mich die Bergler im «Bähndli» grüssen oder mir gar etwas aus ihrem Leben anvertrauen, wenn sich das so Liebenswerte hinter dem vordergründigen Rauen zeigt.

Anders als in der Stadt leben wir hier in Uri bekanntlich noch heute im Wissen um Naturgefahren: Lawinen donnern ins Tal, am Axen gibt es Steinschlag, ich selbst habe schon drei beängstigende Hochwasser erlebt. Der verstorbene Vater meiner Freundin pflegte, nach seinen Plänen für den kommenden Tag gefragt, stets anzufügen: «Wenn wir dann noch leben.» Mittlerweilen verstehe ich diese Aussage gut.

Ich begegne vielem, das anders ist als in der Stadt: Stirbt jemand, kann man in der Zeitung seinen Nachruf lesen, nackte Schafe weiden, auch wenn es kalt ist, draussen, «Zoggä-n-am Boogä» heisst die Urner Landeshymne, «Kafe» und Gastfreundschaft werden mit Inbrunst gelebt, Skifahren gehört zum Winter, man ist Ambri-Fan und über den «Ürner Feen» kann man klagen, aber man gewöhnt sich an ihn.

Doch es gibt hierzulande keine Sonnenuntergänge zu bestaunen. Rot und prächtig ging die Sonne beim Aabach am Hallwilersee unter. Das fehlte mir anfänglich sehr. Heute bewundere ich die tiefdunklen Bergspitzen, wie riesige Scherenschnitte sehen sie aus, wenn die Sonne hinter ihnen verschwindet.

Wie bereits gesagt, ich möchte an keinem anderen Ort der Welt leben. Das mit der Fasnacht gab mir anfänglich allerdings schon zu denken, also konkret die «Chatzämüüsig». Sprachen Leute aus Uri von ihrer «Chatzämüüsig» leuchteten ihre Augen. Ich stellte mir dann eine mitreissende, rassige Strassenmusik vor. Zu hören bekam ich aber stundenlang, tagelang, wochenlang von morgens bis abends einen monotonen Marsch, gespielt lediglich auf Trommel, Pauke und der Trompete. Nichts mit fröhlichen Tönen, dumpf hallt’s durch die Gassen, schaurig, wie einer Frühzeit angehörend. Und jetzt freue ich mich genau auf diese Zeit, wenn es wieder «gheerig chlotteeret» und «toosät», und jede und jeder mitgehen kann, meine Grosskinder als Einhorn und Hexe mitmarschieren – aber psst, nicht verraten – bis sie in all dem Trubel und Lärm, überglücklich auf der Stelle einschlafen.

Ich wünsche Ihnen eine herrliche, lange, unvergessliche Fasnacht.

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