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Obwalden

Überrascht durch Überraschung

Kolumnist Romano Cuonz schreibt in seinem «Ich meinti» über einen nicht erwarteten Ausflug ins Wallis.
Romano Cuonz

Romano Cuonz

«Stets finden Überraschungen statt, da, wo man’s nicht erwartet hat», lautet eine berühmte Spruchweisheit von Wilhelm Busch. In der Tat: Das eigentliche Geheimnis im Leben ist die Überraschung. Namentlich in einer Zeit, in der man fast alles prophezeit, prognostiziert und plant, ja, im besten Fall sogar haargenau berechnet. Derlei Gedanken müssen meiner Frau durch den Kopf gegangen sein, als sie bemerkte, womit meine Agenda übervoll ist: mit lauter Terminen für Sitzungen und Veranstaltungen und alle mit genau definierten Inhalten. Und so beschloss sie, für eine Überraschung zu sorgen. Eines Morgens waren in der Agenda – rund um meinen Geburtstag herum – zwei Daten mit einem fetten Balken blockiert. Zu lesen nur noch ein Wort: ÜBERRASCHUNG! Wie sehr ich auch wollte: mehr kriegte ich aus ihr nicht heraus. Und auch die Kinder, ja sogar die Grosskinder hüllten sich für einmal in eisernes Schweigen.

Mit Pyjama, Zahnbürste und Ersatzwäsche ausgerüstet stand ich an jenem Sommermorgen zeitig bereit. Hatte keine Ahnung, wohin die Reise gehen sollte. Dies änderte sich auch nicht, als wir in Horw bei einem grossen Car-Terminal vorfuhren. Selbst der Chauffeur machte nämlich bei der amüsanten Geheimniskrämerei vorerst noch mit. Bevor beim Luzerner «Inseli» die letzten Reisenden zugestiegen waren, sagte er kein Wort. Geht es nun nach Süden? Oder doch nach Norden? Zu einem Konzert oder zu einer der vielen Freilichtaufführungen rundum? «werweisste» ich. Meine Frau empfand spitzbübische Freude, als sie sah, wie ich nicht die leiseste Ahnung hatte. Das ging so weiter, bis der Buschauffeur endlich zum Mikrofon griff, die Reisenden begrüsste und dann der Überraschung einen Namen und schillernde Farben gab.

«Ich war noch niemals in Zermatt», hatte ich – in Anlehnung an Udo Jürgens New-York-Hit – vor geraumer Zeit einmal gesagt. Diesen Seufzer hatte sich meine Frau gemerkt und mir – weil sich an dieser Tatsache bis dato nichts geändert hat – als wortwörtlich «riesige» Überraschung den berühmten «Toblerone-Berg» samt anschliessender Fahrt mit dem Glacier-Express nach St. Moritz geschenkt. Nun: So ganz und gar alleiniger Besitzer dieser Überraschung war ich dann doch wieder nicht. Zu meiner – na ja, sagen wir mal «Überraschung» – warteten auf dem berühmten Brücklein unterhalb der Kirche bereits Hunderte Japaner. Alle bewaffnet mit Handys und Kameras samt Selfie-Sticks. Genau wie ich erpicht darauf, dass das Matterhorn sein greises Haupt wenigstens für einige Sekunden aus den dicken Nebelschwaden erhebe. Damit allerdings war dann am einzigen Regentag dieses Sommers nichts. Jedoch: Selbst wenn ich mich mit dem Matterhorn auf Hunderten Ansichtskarten, Plakaten, Fotos und Gemälden an Hotelwänden begnügen musste, die Zahl der Überraschungen, die ich in Zermatt an diesem einen Tag erleben durfte, war auch so noch unglaublich gross.

Überaus positiv überraschte mich – jedenfalls, wenn ich einen Vergleich zu Obwalden anstellte – wie ruhig so eine wuselnde Tourismusmetropole nachts und sogar bei Tag sein kann. Nur weil der fast unerträgliche Lärm von Motorrädern, Mofas, Flugzeugen – ja selbst der Autos – für einmal fast ganz wegbleibt. Oder: wie wenig so hässliche Jekami- Architektur-Häuser man in Zermatt – und in den umliegenden Walliser Dörfern – antrifft. Noch heute! Natürlich gibt es auf so einer Reise nicht nur positive Überraschungen. Wie lautet doch die eher seltener zitierte Fortsetzung der eingangs erwähnten Wilhelm Busch Weisheit zur «stets stattfindenden Überraschung»? «Doch dass dieselbe überall grad angenehm, ist nicht der Fall.» Befremdlich für mich war etwa die Tatsache, dass wir in Zermatter Lokalen und Läden oft «abstossend freundlich» in Englisch, Hochdeutsch oder mit südländischem Akzent, nur nicht mit der heimeligen, landesweit einmaligen Sprachmelodie des Walliser Dialekts, angesprochen wurden. Dies, obwohl doch die Fernseh-Werbung – und diesen Schlusspunkt setze ich für einmal «überraschenderweise» nicht in meiner Obwaldner Mundart – hoch und heilig verspricht: «Wollis, d schönschti Zit vum Jahr!»

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