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Uri

Über Gewalt im Kanton Uri soll tabufrei gesprochen werden

An der diesjährigen Urner Sozialkonferenz zeigte sich, dass Gewalttäter nach aussen oftmals unscheinbar sind.
Samuel Bissig ist für ein tabufreies Sprechen über Gewalt. (Bild: Lucien Rahm, Erstfeld, 6. November 2019)
Evelyne Marciante, Leiterin der Opferhilfeberatungsstelle Uri/Schwyz. (Bild: Lucien Rahm, Erstfeld, 6. November 2019)
Gewaltberater Roland Reisewitz. (Bild: Lucien Rahm, Erstfeld, 6. November 2019)

Lucien Rahm

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Mit drastischen Worten schilderte Samuel Bissig, Vorsteher des Amtes für Soziales, wie einer seiner Klienten ihm vom sexuellen Missbrauch erzählte, den dieser bereits in jungen Jahren erlebte. «In den Arsch gefickt hat mich dieser Sauhund.» Man sei hier zusammengekommen, um Tabus zu brechen, begründete Bissig seine Wortwahl. Hier heisst: An der diesjährigen Urner Sozialkonferenz in Erstfeld, an der sich am Mittwoch Vertreter diverser Institutionen mit dem Thema Gewalt und dem Umgang damit beschäftigten. Man solle so über Gewalt reden, wie sie auch passiert. «Sie ist ‹grusig›, verstörend und traumatisierend für jene, denen sie widerfährt.»

Gemäss der Polizeistatistik, die Bissig präsentierte, kam es im Kanton Uri im vergangenen Jahr dreimal zu sexuellen Handlungen mit Kindern. Daneben unter anderem dreimal zu einfacher Körperverletzung, zu sieben Drohungen und vier Tätlichkeiten. «Die Dunkelziffer wird aber deutlich grösser sein.»

Das Problem: Nicht allen Opfern sei klar, an wen sie sich diesbezüglich wenden können. Auch bei seinem Klienten sei das so gewesen. «Sein erster Versuch, sich jemanden anzuvertrauen, scheiterte.» Als er den Schulkollegen von seinem Missbrauch erzählt habe, hätten ihn diese ausgelacht. «Da hat er sich zurückgezogen, nicht mehr darüber geredet und wurde aggressiv.» Daher sei es wichtig, eine betroffene Person darauf anzusprechen, wenn man etwas Verdächtiges höre oder ahne, sagte Bissig.

Opfer melden sich nach Ablauf von Frist

Dass die Geschädigten oftmals nichts von ihren Möglichkeiten wissen, zeigte auch Referentin Evelyne Marciante auf. Die Leiterin der Opferhilfeberatungsstelle Uri/Schwyz berichtete, dass sich immer noch Personen bei ihnen melden würden, die Opfer von Zwangsmassnahmen wurden. «Es melden sich pro Monat eine bis zwei Personen bei uns, die bislang nichts von der Möglichkeit wussten», einen finanziellen Beitrag für das erlebte Leid zu beantragen. An sich sei die Frist dafür aber bereits abgelaufen. Nun schaue man, unter welchen Umständen man diese Opfer dennoch finanziell berücksichtigen könnte.

Einsicht ins Denken der Täter gab Gewaltberater Roland Reisewitz, Co-Präsident der Zentralschweizer Beratungsstelle Agredis. Er hielt fest:

«Drei Viertel der beschuldigten Täter sind Männer – vielleicht auch noch mehr.»

Dass darüber zu reden wichtig sei, hielt auch Reisewitz fest. Was jedoch nicht einfach sei: «Sehr schnell geht es dabei um Scham.»

In kleinen Schritten zu anderer Denkweise

Das Gespräch mit dem Täter, das auch als Opferschutz zu verstehen sei, könne jedoch Erfolg zeigen. An einen Täter erinnerte sich Reisewitz, der sehr überzeugt von seinem Weltbild gewesen sei und Gewalt als eine legitime Lösung angesehen habe. «Dem konnte ich sogar beipflichten: Eine Lösung ist es bestimmt. Aber ob er mit den Konsequenzen dieser Lösung auch leben könne?» In kleinen Schritten habe man sich in den Gesprächen dann einer anderen Denkweise angenähert. «Letztlich hat sich der Mann dann einmal bei mir gemeldet und erzählt, dass er nun nicht mehr gewalttätig sei.» Das habe ihn wirklich fasziniert, dass eine derartige Wandlung gelungen sei.

Nicht immer müsse das Äussere des Täters dabei dem Klischee des muskulösen, tätowierten Mannes entsprechen, sagte Reisewitz. Der durchschnittliche Gewalttätige sei oft unauffällig. Gewalt trete bei allen sozialen Gruppen und Bildungsgraden auf. «Daher müssen wir wachsam sein.»

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