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Obwalden

Türkische Performance in der Giswiler Turbine

Bei der 21. Ausgabe der «International Performance Art» Giswil war die Türkei Gastland. Was man zu sehen bekam, war allerfeinste Kunst.
Eindrückliche türkische Performance. Im Bild von links Kurator Benjamin Sunarjo und die Performer Gülay Chay und Mustafa Boga. (Bild: Romano Cuonz (Giswil, 10. September 2022))

Romano Cuonz

Die gähnende Leere der riesigen früheren Werkhalle «Turbine» und mittendrin, fast ein bisschen verloren, ein Performer und eine Performerin aus dem Gastland Türkei. Wohl genau das richtige Ambiente für die gleichsam bedrückende wie tröstliche Geschichte, die Mustafa Boga und Gülay Chay dem Publikum erzählen wollen. An die kahle, weiss getünchte Wand hängen die beiden eine Art Brezel. Befestigen diese mit roten Bändeln. «Simit» heisst das türkische Gebäck. Besucherinnen und Besuchern, die sich nähern, stecken sie davon Bissen um Bissen in den Mund. Man geniesst den süssen Geschmack und fragt sich, was hinter diesem Ritual steckt. Als Schweizer würde man den Grund dafür kaum erraten. Mustafa Boga erzählt: In seiner Heimat Adana würden die «Simit» immer dann gebacken, wenn ein junger Mann zum Militär eingezogen werde. Bevor er gehe, nehme er einen Bissen. Die restliche Brezel werde dann an die Wand gehängt. «Ein Objekt, das zu Hause für den Soldaten steht und Hoffnung macht, dass er wieder gesund zurückkehrt», sagt Mustafa Boga. Komme der Soldat jedoch nicht mehr zurück, bleibe die Brezel dort hängen. Als Andenken an den Verstorbenen.

Diese Performance, in ihrer ganzen unspektakulären Feinheit, mit der Anspielung auf die eigene Biografie, ist typisch für die heurige Ausgabe des Giswiler Festivals. Es trägt den Titel: «Layers of Home – Schichten von Heimat». Gastkurator Benjamin Sunarjo aus Biel – Sohn einer Emmentaler Mutter und eines Indonesiers und selbst Performancekünstler – sagt: «Der heurige Anlass soll mögliche Gefühle von Heimat, aber auch von der Suche nach einem Halt andeuten.» Performerinnen und Performer würden ihre eigene Biografie erforschen. «Dabei öffnen sie Schichtungen von Kultur, Gewohnheit, Essen, Kleidung, Sprache», erklärt Sunarjo. Neben türkischen Performerinnen und Performern treten an diesem Samstag auch solche mit Migrationshintergrund auf. Im Ganzen sind acht Kunstschaffende angereist. Einen Fuss haben sie in ihrem Heimatland Türkei, den andern irgendwo in Europa.

Der Obwaldner Adrian Hossli (seit Beginn Mitglied des Produktionsteams) ist begeistert. «Der Gastkurator hat der Veranstaltung einen eigenen Stempel aufgedrückt, sehr feine rituelle, sehr persönliche, fast intime Elemente herrschen dieses Jahr vor», anerkennt er. Und er nennt ein weiteres Beispiel: Pinar Derin Gençer lebt in Istanbul und Stockholm, ist Performancekünstlerin und Ärztin. Man beobachtet sie beim mühsamen Versuch, an einem Strick hochzuhangeln. Der Hintergrund: Ihre türkische Mutter musste dies auf Anweisung einer Schamanin tun, um einen Sohn gebären zu können. Zur Welt kam dann aber Pinar Derin! «Ich mache dies zum Andenken an meine Mutter, die kürzlich an Covid verstorben ist», sagt die Künstlerin.

Begeisterte Stimmen von Einheimischen

Im Publikum dabei sind auch zwei bekannte einheimische Performance-Kunstschaffende. Aufmerksam verfolgen sie die oft seltsamen, aber samt und sonders eindrücklichen Darbietungen. Die Horwerin Claudia Bucher sagt: «Wir Zuschauerinnen haben zwar eigene Geschichten, dennoch sind die sehr persönlichen Berichte Spiegel, in denen wir uns wieder erkennen.» Auch Rochus Lussi aus Stans ist beeindruckt. Sagt: «Hier spürt man deutlich, wie verschieden mit Performance umgegangen werden kann, wie riesig das Potenzial dieses Mediums ist, wenn Emotionen, Geschichten und Requisiten aus fremden Ländern dazukommen.» Diese internationalen Gäste, so Lussi, seien ein Geschenk, das man geniessen müsse.

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