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Nidwalden

Studie entkräftet Jäger-Diskussion: Der Einfluss des Luchses auf Gamsbestand ist beschränkt

Viele Jäger glauben, dass vor allem der Luchs Gämsen dezimiert. Eine Studie belegt, dass sie damit höchstens teilweise recht haben.
Der Luchs zählt zu den heimischen Tierarten in Nid- und Obwalden.  (Bild: Archiv Romano Cuonz)
Vor allem im Waldgebiet der Voralpen lauern Luchse gerne auch Gämsen auf. (Bild: Romano Cuonz / Archivbild)
(Bild: Romano Cuonz / Archivbild)

Romano Cuonz

Romano Cuonz

Romano Cuonz

«Ich ärgere mich masslos, wenn Wissenschafter und Jagdbehörden behaupten, dass vor allem Jäger, Gleitschirmflieger, Biker und Bergwanderer am Rückgang der Gämsbestände schuld seien», moniert der Entlebucher Revierjäger Willi Zemp. Im gleichen Atemzug nennt der Luzerner Jäger auch einen seiner Ansicht nach massgeblich Mitschuldigen: den Luchs.

Seit dieser im Beichlengebiet sei, hätten Jäger dort immer weniger Gämsen gezählt. Zemps Rat ist denn auch unmissverständlich: «Wenn es, wie zurzeit im Entlebuch, viel zu viele Luchse gibt, müssen die Verantwortlichen unbedingt dafür sorgen, dass ihre Zahl reduziert wird.»

Um Wolf gibt es grösseren Wirbel

Wie reagiert der höchste Nidwaldner Patentjäger, Werner Zumbühl, auf solche Ratschläge aus dem Luzernbiet? «Eigentlich wissen auch wir in Ob- und Nidwalden, dass die Anzahl der Luchse zu gross geworden ist», sagt der Jägerpräsident. Ebenso klar sei, dass die Raubkatze neben Rehen auch eine «unheimliche Zahl» vor allem von Gämskitzen reisse. Zumbühls Erfahrung: «Während es bei Wolfsrissen stets einen grossen Wirbel gibt, lässt man den Luchs still und heimlich gewähren, wenn er Schafe tötet oder Gämsen jagt.» Obschon dies auch in Nidwalden wenig gefalle, seien die Jäger hier bis heute diszipliniert geblieben. «Wir wissen eben, dass es nicht an uns ist, da Entscheide zu fällen oder regulierend einzugreifen», sagt Zumbühl.

Luchs geniesst Heimatrecht

Fabian Bieri (Leiter der Nidwaldner Abteilung Jagd und Fischerei) zeigt sich neutral zu dieser Sache. «Seit der Obwaldner Oberförster Leo Lienert 1971 – mit dem Einverständnis des Bundes – im Melchtal wieder Luchse ausgesetzt hat, geniesst dieses Tier auch in unserem Lebensraum Heimatrecht», hält er fest. Nidwalden betreibe genau wie Obwalden, Luzern oder Bern zusammen mit der Stiftung Kora (Raubtierökologie und Wildtiermanagement) einiges, um die Bestände zu überwachen. Alle zwei bis drei Jahre würden Fotofallen aufgestellt und Monitorings durchgeführt. «In den letzten Jahrzehnten stiegen und sanken die Luchsbestände immer wieder, sicher war das Tier bei uns immer vorhanden», weiss Bieri. Luchse würden sich, daran bestehe kein Zweifel, ihren Anteil an Rehen und Gämsen nehmen.

Dennoch lautet Bieris Fazit: «Die Raubkatze mit den Pinselohren gehört zu unserer Biodiversität wie Hirsch, Reh und Fuchs, auch wenn sie keine Tannzapfen frisst.» Der Mehrzahl der heimischen Jäger stellt er ein gutes Zeugnis aus. «Sie wollen Heger und Pfleger sein», sagt er. So habe er gar ein wunderschönes Foto erhalten, das eine Luchsin mit Jungtier zeige. Der Jäger selber hätte sich darüber genauso gefreut wie er. Luchse halten sich nicht an Kantonsgrenzen. Wie das Monitoring zeigt, können sich einzelne Tiere zwischen dem Berneroberland, Nidwalden, Obwalden und Luzern bewegen. Fabian Bieri geht, aufgrund der Monitoring-Erhebungen, davon aus, dass es zurzeit in Ob- und Nidwalden rund sieben bis acht Luchse gibt. Die Obwaldner Wildhüter schätzten die Zahl auf Anfrage etwas höher.

Umfangreiche Studie – erstaunliches Resultat

Durch den sinkenden Gamsbestand gerät der Luchs ins Visier. Ein wissenschaftliches Projekt von Kora sollte, unterstützt vom Jagdinspektorat und der Wildhut des Kantons Bern, für mehr Klarheit sorgen. Zwischen 2015 und 2018 suchte man eine Antwort auf die entscheidende Frage: Welchen Einfluss hat beim Gämsrückgang der Luchs im Vergleich zu andern Faktoren wie etwa Tourismus oder Jagd? Projektleiterin waren die Wildbiologin Kristina Vogt und Christian Willisch.

Kristina Vogt sagt: «Für unser Projekt rüsteten wir zehn Luchse im Berner Oberland mit GPS-Sendehalsbändern aus, um zu untersuchen, wie viele und welche Gämsen sie erbeuteten.» Gleichzeitig habe man im gleichen Gebiet mehrmals pro Jahr die Bestände von 14 Gämsvorkommen erfasst. Vor allem wurde festgehalten, wie viele Jungtiere geboren wurden und wie viele den ersten Winter überlebten. «Ausserdem führten wir eine Verhaltensstudie durch, bei der wir die Reaktion von Gämsgeissen auf die Anwesenheit der sendermarkierten Luchse untersuchten», hält Vogt im Bericht fest. Die Studie bestätigte tatsächlich, dass die Jagd und der Luchs, gemeinsam mit verschiedenen andern Faktoren wie etwa Winterhärte oder Ausbreitung des Rotwilds die Bestandesgrösse von Gämspopulationen limitieren können. «Wie sich Populationen entwickeln, ist immer von mehreren Faktoren abhängig – der Luchs ist nur einer davon.»

Am meisten Gämsen würde die heimische Wildkatze dort erbeuten, wo es auch am meisten von ihnen gebe. Wo eben die Bestände am produktivsten seien. Eine Erkenntnis, die Luchsgegnern unter den Jägern weniger gefallen dürfte: Weil der Luchs vornehmlich junge oder alte Tiere reisst, wirkt sich sein Eingriff weniger stark auf das Überleben der erwachsenen, fortpflanzungsfähigen Gämsen aus als jener der Jagd. Vogt betont: «Insbesondere das Überleben der erwachsenen Gämsgeissen ist entscheidend für die Populationsentwicklung.» Und so lässt sich das Wachstum der Gämsbestände am direktesten tatsächlich über die Steuerung der Abschüsse beeinflussen. Die Studie zeigt aber auch auf, wie wichtig eine langfristige und einheitliche Datenerhebung ist. Nur damit könne man die Entwicklung der Gämspopulation im Alpenbogen nachverfolgen. Vogts Überzeugung ist: «Eine zentrale Rolle spielen dabei die Bestandeserhebungen der Wildhüter und die Datenerhebung aus der jeweiligen Jagdstrecke.»

In der Statistik wird Luchs weiter fehlen

Wie wichtig und aussagekräftig umfangreiche und möglichst genaue Wildzählungen sind, wie offen man Abschüsse, etwa auch an Trophäenschauen, ausweisen muss, weiss man in Ob- und Nidwalden seit Jahr und Tag. Nur: Den Luchs wird man bei Zählungen kaum je und in Jagdstatistiken wohl auch in den kommenden Jahren noch nicht erfassen. Da ist man auf die sorgfältige Arbeit von Kora angewiesen.

Die Studie «Einfluss von Luchsprädation und Jagd auf die Gämse in Zusammenarbeit mit dem Jagdinspektorat des Kantons Bern» findet man unter www.kora.ch unter Publikationen.

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