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Luzern

Stiftung für Schwerbehinderte Luzern: Diese Rolle will der neue Chef spielen

Pius Bernet ist seit 100 Tagen Direktor der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern. In dieser Zeit hat sich der Finanzchef des Jahres 2016 aus Egolzwil nicht nur mit Zahlen befasst, wie ein Besuch zeigt.
SSBL-Direktor Pius Bernet zwischen den Bewohnern Stefan Villiger (links) und Thomas Bühlmann (rechts) am Mittagstisch. (Bild: Roger Grütter, Rathausen, 4. Oktober 2018)
Pius Bernet zwischen Kloster und Amtshaus. (Bild: Roger Grütter, Rathausen, 4. Oktober 2018)

Alexander von Däniken

Alexander von Däniken

Mit federndem Schritt betritt Pius Bernet den Empfangsbereich der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern (SSBL) im Kloster Rathausen. Blazer, Jeans, Turnschuhe, alles dunkelblau. Wacher Blick, der zur Uhr geht: 12.10 Uhr. Hinter ihm liegt eine Geschäftsleitungssitzung, um 13.30 Uhr folgt der nächste Termin. Das Mittagessen opfert Bernet für eine erste Bilanz nach 100 Tagen als Direktor der SSBL, als operativer Verantwortlicher von über 400 Menschen mit mehrfachen körperlichen, geistigen und psychischen Beeinträchtigungen, als Chef von knapp 850 Angestellten, und damit einem der grössten Arbeitgeber im Kanton Luzern.

Der 61-jährige Egolzwiler betritt für ein Foto das Esszimmer einer der 40 Wohngruppen – und setzt sich gleich neben Thomas Bühlmann, einen Bewohner mit Trisomie 21. Es ist ein Gespräch unter Bekannten. Der Teller von Thomas ist schon leer, während seine Mitbewohner, mal mit Kopfschutz, mal mit Prothese, immer mit einem Lächeln, ihr Risotto geniessen. Es wirkt, wie wenn der Patron einer Grossfamilie das Esszimmer betritt.

Ateliers mit Rückzugsmöglichkeit

Nach dem Fototermin führt Bernet nun durch Ateliers, in denen Gemälde der Bewohner hängen. Gleich neben den Ateliers gibt es kleine Schlafräume, die erschöpften Bewohnern zur Verfügung stehen. Je nach Grad der Behinderung liegen mehr oder weniger anspruchsvolle Arbeiten drin. «Wir leben nach dem sogenannten Normalisierungsprinzip», sagt der Direktor. Heisst: Die Bewohner werden nicht als behindert oder minderwertig betrachtet, sondern sie sind einfach anders. Die Bedürfnisse sind dabei gleich wie individuell: Betreuung und Beschäftigung brauchen alle, deren Ausprägung ist aber je nach psychischen und motorischen Fähigkeiten unterschiedlich.

Das ist entsprechend personalintensiv. In den Ateliers kommt in der Regel auf fünf Bewohner oder Tagesbeschäftigte eine Betreuungsperson. Das gilt auch für einfache Hausarbeiten wie Abfall einsammeln oder Blumen aus der eigenen Gärtnerei zur Dekoration herrichten.

Auf dem Weg zur Klosterkirche begrüsst Bernet einen Bewohner mit den Worten: «Da kommt unser Tenor. Er ist ein super Sänger.» Der Bewohner fühlt sich geschmeichelt, grüsst zurück. In der Kirche setzt sich das Künstlerische fort. Schon jetzt hängen einzelne Gemälde von Bewohnern an den Wänden. Und einzelne Werke des Schötzer Künstlers Hanspeter Hunkeler. Das Laienauge braucht einige Momente, um zwischen «Profi»- und Bewohnerbildern zu unterscheiden. Bernet schwärmt von einem Bewohnerbild, «leider ist es schon verkauft», sagt er schmunzelnd. Unter anderem mit der Ausstellung will die SSBL die Renovation der Klosterkirche finanzieren. Von den rund zwei Millionen Franken hat die Stiftung bereits 750 000 Franken an Spenden gesammelt. Bis Herbst 2019 soll alles zusammen sein.

Budget von 70 Millionen Franken

Bei sozialen Einrichtungen wie der SSBL sind die Finanzen ein wichtiges Thema – besonders im Kanton Luzern. Zur Erinnerung: Der Kanton hat aus Spargründen mehrfach die Beiträge an die Institutionen gekürzt. Bei der SSBL stammten letztes Jahr 66 Prozent der Einnahmen von Kanton und Gemeinden. Trotzdem konnte 2017 bei einem Budget von rund 70 Millionen Franken dank Sondereffekte ein Ertragsüberschuss von 1,2 Millionen Franken generiert werden. Laut Pius Bernet sieht es auch für das laufende Jahr, wiederum dank Sondereffekte, gut aus. Zwar können die Kürzungen kurzzeitig verkraftet werden. Bernet mahnt jedoch vor den langfristigen Folgen einer «rigorosen Sparpolitik auf dem Buckel der Schwächsten. Ich habe Mühe, wenn in der kantonalen Politik die Opfersymmetrie verkauft wird, dann aber doch der Finanzierungskuchen nach der Lautstärke der grössten Schreihälse verteilt wird.»

Bernet weiss, wovon er spricht. Er ist Finanzspezialist, war von 2009 bis Ende Juni dieses Jahres Finanzverantwortlicher der Schweizer Paraplegiker-Gruppe in Nottwil, wurde 2016 vom Verband CFO Forum Schweiz zum CFO of the Year gekürt. Bernet will sich dafür einsetzen, «dass jeder Steuerfranken bei der SSBL weiterhin sehr effizient und wirkungsvoll eingesetzt wird». Dafür brauche es einfach «gesunden Menschenverstand» der Verantwortlichen.

«Ich habe Mühe, wenn in der kantonalen Politik der Finanzierungskuchen nach der Lautstärke der grössten Schreihälse verteilt wird.»

Pius Bernet, Direktor SSBL

Dass der Kanton dabei jedes Jahr eine neue Leistungsvereinbarung mit der SSBL abschliesst, stört Bernet hingegen weniger. «In der Privatwirtschaft und noch mehr bei Non-Profit-Organisationen muss schnell auf Tendenzen in der Nachfrage reagiert werden. Dieses Tempo bin ich gewohnt.» Wie sieht denn die Entwicklung aus? «Die Nachfrage nach Standard-Wohnplätzen wird sinken, dafür steigt der Bedarf an Plätzen für Menschen mit Behinderungen und zusätzlichen altersbedingten hohen Pflegeaufwendungen sowie selbst- und fremdgefährdenden Verhaltensauffälligkeiten.»

Diese Weiterentwicklung der SSBL will Pius Bernet nicht von oben herab dirigieren; sie sollen von unten nach oben getragen werden. «Ich agiere dabei nur als Taktgeber der vereinbarten Strategieumsetzung.» Nützlich werden dabei auch Kontakte in die Kantonsverwaltung sein. Bernets Vorgänger Rolf Maegli leitet nach seinem abrupten Abgang bei der SSBL die Abteilung Behinderung und Chancengleichheit bei der kantonalen Dienststelle Soziales und Gesundheit. «Wir beide wissen, wovon wir sprechen, das macht es für uns einfach im Austausch», sagt Bernet dazu. Auch Maeglis designierte Nachfolgerin (er geht in Pension), die im Frühling neue Abteilungsleiterin wird, hat Bernet schon kennen gelernt.

Überhaupt zieht Bernet ein positives Fazit über seine ersten 100 Tage. Er habe bei allen elf SSBL-Standorten, die es im Kanton gibt, reingeschaut, habe den Alltag der Bewohner und Betreuer kennen gelernt und sich in operative Prozesse vertieft. «Jetzt kann ich ins Gestalterische übergehen», sagt Bernet und schreitet vor eine Tafel mit Übersichtsplan. Sie steht vor dem Café Rathausen, das Bewohnern und Besuchern offensteht. «Ich will den Kontakt zwischen Bewohnern und Besuchern noch vertiefen, uns als SSBL noch mehr gegenüber der Bevölkerung öffnen.» Auch den Bewohnern soll mehr geboten werden – mittels Areal-Anpassungen. Ein Bereich soll zu einem speziellen «Spielplatz für Kinder und Erwachsene mit und ohne Behinderung» werden. Erst eine Idee ist ein Kneippbad. «Natürlich darf es nicht zu viel kosten und muss immer mit Spenden finanziert werden.»

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