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Luzern

Soziale Medien haben keinen Filter: Warum man den Krieg dort besser nicht mitverfolgt

Der Krieg lässt niemanden kalt. Erst recht nicht, wenn man sich Tod und Zerstörung direkt auf den Smartphone-Bildschirm holt. Gesunder Medienkonsum sieht aber anders aus.
Ein zerstörter russischer Panzer nahe Charkiv. (Sergey Kozlov/EPA
(25. Februar 2022))

Beatrice Vogel

Wenn ich nicht aufpasse, können soziale Medien meine Hölle sein: Sie saugen mich ein, bis ich den Boden unter den Füssen verliere. An den meisten Tagen schaffe ich es zwar, dem Sog einigermassen zu widerstehen. Doch es gibt auch andere ... wie kürzlich, einige Tage nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine.

Wenn etwas derartiges passiert, mutiere ich zum News-Junkie. In der Regel konsumiere ich dann klassische Medien: Zeitungen, Online-News-Portale, Fernsehnachrichten. Diesmal landete ich auf meiner Suche nach Informationen nicht nur dort, sondern auch auf einem englischsprachigen sozialen Netzwerk, dessen Name ich hier zu Ihrem Schutz nicht nenne. Auf dieser Plattform werden Bilder, Videos und Memes geteilt – gern auch zu politischen Kontexten, was der Grund ist, warum ich mich dort überhaupt tummle. Die Community ist anonym und sehr international, weshalb man ziemlich ungefiltert Meinungen aus aller Welt mitbekommt.

Seit Kriegsausbruch werden dort Fotos und Videos direkt aus der Ukraine geteilt – aufgenommen nicht selten durch Soldaten – wie in einem Liveticker. Als ich das entdeckte, verbrachte ich einen ganzen Abend mit scrollen. Ich sah verwaiste russische Panzer, blutjunge russische Soldaten, die bei ihrer Gefangennahme in Tränen ausbrachen, einen russischen Kämpfer, der seiner Mutter am Telefon zu erklären versucht, dass in der Ukraine Krieg herrscht und er in Gefangenschaft geraten ist. Und ich sah Dinge, die ich gar nicht hätte sehen wollen. Zum Beispiel tote Soldaten, die mit aufgeplatzten Leibern neben zerstörten Panzern lagen.

Im Geschichtsunterricht habe ich gelernt, dass der Vietnamkrieg im Westen unter anderem deshalb so viel Betroffenheit auslöste, weil es der erste Krieg war, den man am Fernsehen mitverfolgen konnte. Mit meinem Liveticker konnte ich das zum ersten Mal so richtig nachfühlen. Durch mein Smartphone schaute ich wie durch ein Fenster ungefiltert aufs Kriegsgeschehen. Nach mehreren Stunden war ich emotional am Ende und der festen Überzeugung, dass es nur noch ein Frage von Tagen ist, bis ganz Europa durch einen Atomkrieg zerstört wird.

Daran, wie ich aus diesem Zustand herausgekommen bin, kann ich mich nicht erinnern. Aber es war mir eine Lehre. Seither beschränke ich mich, was den Krieg angeht, auf die klassischen Medien: Weil sie ausgeglichen und in der Regel unaufgeregt berichten, Informationen filtern, portionieren und einordnen, Quellen überprüfen und nennen, und weil sie abwägen, welche Bilder den Krieg zwar zeigen, aber trotzdem zumutbar sind.

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