Lucien Rahm
Auch ihre letzte Gelegenheit, zahlreiche ermittlungstaktische Dummheiten zu begehen, haben sie fleissig genutzt. Die beiden Luzerner «Tatort»-Ermittler Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) haben am Sonntag ihren letzten Fall gelöst. Kämen ihre Vorgehensweisen in der Realität zum Einsatz, würden sie ziemlich rasch zu Problemen führen. Zwei ehemalige Kriminaldetektive der Luzerner Polizei*, die sich jahrzehntelang mit echten Verbrechen im Kanton befasst haben, bewerten für uns das Fernsehgeschehen im Hinblick auf seine Realitätsnähe.
Die letzte Folge beginnt auf einem Dampfschiff auf dem Vierwaldstättersee, auf dem sich nebst einem Luzerner Regierungs- und Kantonsrat auch Kommissar Reto Flückiger als Gast eines Festessens befindet. «Dass ein polizeilicher Sachbearbeiter an der gleichen Feier wie ein Regierungsrat teilnimmt, ist schon mal ein Ding der Unmöglichkeit», sagt einer der beiden Polizisten mit einem Lachen. «Wir ständen wenn schon eher vor der Tür», so der andere.
Fehler 1: Ermittlung in einem Fall, in den man selbst involviert ist
Gubser verlässt anschliessend aus irgendwelchen Gründen den Speisesaal, um sich auf dem Schiff umzuschauen, wird dabei niedergeschlagen und bleibt bewusstlos liegen. In der Zwischenzeit feuert eine unbekannte Person zwei Leuchtpatronen in den Saal, worauf ein Feuer und damit Panik ausbricht. Als das Schiff wieder anlegt, beginnt Flückiger sogleich, im gerade vorgefallenen Geschehen zu ermitteln. «Das wäre jetzt unüblich.»
Als Beteiligter des Geschehens müsste Flückiger eher als Zeuge befragt werden. Auch, dass er noch am gleichen Abend am Ort des Geschehens bei der Dame von der Spurensicherung nachfragt, ob sie denn schon etwas gefunden habe, sei weit von der Realität entfernt. «Das würde Tage dauern, bis die Spurensicherer etwas sagen können.» Ausserdem scheinen die Gäste, die eben noch fast bei einem Feuer ums Leben gekommen wären, erstaunlich gefasst. «Normalerweise würden die jetzt von einem Careteam betreut.»
Fehler 2: Durchsuchen einer Wohnung ohne Durchsuchungsbefehl – alleine
In einer folgenden Szene begeht Gubser dann die ersten groben Fehlleistungen. Alleine begibt er sich zum Wohnblock des tatverdächtigen Kantonsrats, der auf dem Schiff nach dem Brandanschlag nicht mehr zu finden war, und lässt sich vom Hausabwart den Zugang gewähren, ohne über einen Durchsuchungsbefehl zu verfügen. «Wenn es nun darum ginge, die gesuchte Person zu verhaften, wäre das grundsätzlich erlaubt», sagt der eine Polizist. Dabei ginge es dann um die Bannung einer sogenannten «Gefahr im Verzug».
Als Flückiger aber anfängt, sich in der Wohnung – der Täter befindet sich nicht darin – genauer umzuschauen und dabei auch herumliegende Dokumente zu lesen beginnt, wird sein Vorgehen illegal. Obwohl der Chef von Flückiger, Eugen Mattmann, spätestens von der Verfehlung seines Ermittlers Wind bekommen müsste, als ein Onlineportal die fragwürdige Vorgehensweise publik macht, bleibt das Ganze für Flückiger ohne Konsequenzen. In der Wirklichkeit wäre er wohl vom Fall abgezogen und womöglich degradiert worden. «So was macht den Fall letztlich auch kaputt, denn die illegal beschafften Daten dürften vor Gericht gar nicht verwendet werden», sagt einer der ehemaligen Gesetzeshüter.
Problematisch ist zudem, dass er die Wohnung betritt, ohne offenbar damit zu rechnen, den Verdächtigen dort anzutreffen. Immerhin könnte dieser sich darin versteckt halten und Flückiger angreifen. Dem Fernsehermittler scheint dies jedoch nicht wahrscheinlich zu sein – schliesslich hat der Verdächtige die Tür nicht geöffnet, als Flückiger bei ihm geklingelt hat. «Man würde auch nie alleine zu einer verdächtigen Person gehen», so einer der Polizisten. «Sehr fahrlässig», sagt der andere. Die «Tatort»-Kommissare kümmern solche Bedenken wenig: Im Verlauf der Sendung tauchen sie mehrmals alleine bei mutmasslich involvierten Personen auf.
Fehler 3: Geplante Verhaftung selber vornehmen wollen
Verhaftungen würden zudem in der Regel nicht vom Ermittler selbst vorgenommen, so die Polizisten. «Eine Spezialgruppe käme dabei zum Einsatz und würde den Gesuchten rausholen.» Das habe auch den Vorteil, dass die Beziehung zwischen Verdächtigem und Ermittler bei den späteren Befragungen zwischen den beiden nicht vorbelastet ist. Käme es bei einer Verhaftung, die der Ermittler selber durchführt, beispielsweise zu Handgreiflichkeiten wegen Widerstands des Verdächtigen, könnte dies das Antwortverhalten des Beschuldigten gegenüber dem Ermittler negativ beeinflussen.
Korrekt dargestellt: Kaffeemaschine auf dem Polizeiposten
In gewissen Dingen beweisen die «Tatort»-Macher aber durchaus Sinn für Realitätstreue. «Die Kaffeemaschine stimmt so», sagt der eine Polizist. Die Becher seien die richtigen.
Ebenso wirke die Szene am Mühlenplatz, wo die Fernsehpolizisten den bislang tatverdächtigen Kantonsrat als Leiche aus der Reuss fischen, durchaus realistisch. Gaffende Touristen würden sich dabei tatsächlich jeweils einfinden. Probleme mit aufdringlichen Journalisten, wie sie in dieser Folge dargestellt werden, gäbe es jedoch kaum. «Die gelangen eigentlich gar nicht bis zum Tatort, da dieser ja abgeriegelt ist.» Früher seien einige jeweils noch aufgetaucht, um Informationen vor Ort einzuholen. «Heute läuft das alles über den Mediensprecher der Polizei.» Dass Flückiger dem hartnäckigen Medienvertreter keine Auskünfte erteilt, wäre ein realistisches Szenario – sofern der Pressemann überhaupt so weit kommen würde.
Fehler 4: Verdächtigem bislang gesammelte Informationen zeigen
Nicht nur Reto Flückiger, auch seine Kollegin Liz Ritschard leistet sich bei der Aufklärung des letzten Falles einige Fehltritte. Auch sie ermittelt auf eigene Faust und stattet dem Sohn des Regierungsrats einen Besuch in seinen grosszügigen Büroräumen ab. «In einer Firma jemanden direkt befragen gehen zu können, ginge heute nicht mehr. Da gelangt man an die Rechtsabteilung und bekommt dann irgendwann einmal einen Termin», sagt der eine Ex-Polizist. Sein Kollege ergänzt: «Man würde dem Verdächtigen sicher auch nicht einfach zeigen, was man auf dem Computer eines anderen Involvierten gefunden hat, wie es die Ermittlerin in dieser Folge tut. Da gibt man ja schon alle Trümpfe aus der Hand.»
Fehler 5: Amateurhafte Befragungsmethoden
Der oftmals vorwurfsvolle Ton der Ermittler gegenüber den befragten Verdächtigen sei nicht weniger abwegig. «Bei einer Befragung stellt man offene Fragen und konfrontiert die Verdächtigen nicht mit Vorwürfen.» Suggestivfragen seien dabei untersagt, Drohungen selbstverständlich ebenso.
Höchst fragwürdig ist auch die doch recht locker sitzende Hand Flückigers. «Es kann sein, dass man bei einer Befragung einmal etwas lauter wird, aber man wird sicher niemals tätlich gegenüber der verdächtigten Person.» Ausserdem sei bei Befragungen dieser Art – in der Folge kommt es zu einer einzigen Einvernahme in den Räumlichkeiten der Polizei – in der Regel der Anwalt des Befragten dabei. Einen solchen zeigen die Serienmacher nicht.
Ebenfalls falsch: Der Verhörraum verfügt über einen Nebenraum, der von einer einseitig durchsichtigen Glasscheibe abgetrennt wird. «So etwas hat die Luzerner Polizei nicht.» Etwas Vergleichbares werde höchstens bei Befragungen verwendet, bei denen Kinder involviert sind.
Ein weiteres Manko der Vorgehensweisen der zwei Fernseh-Polizisten: Die meisten Befragungen führen sie einerseits alleine durch, ohne dass eine Zweitperson die Aussagen später bestätigen könnte. Und sie halten sie auch nicht schriftlich fest.
Das Temperament Flückigers, welches sich oftmals seiner Kontrolle zu entziehen scheint, führt nicht nur zu Tätlichkeiten gegenüber Verdächtigen. Auch entweichen dem Fernseh-Kommissar während der Arbeit mit seinen Kollegen aus Frust über die ausbleibenden Ermittlungserfolge einige Schimpfwörter. Vielleicht nicht im selben Ausmass, aber: «Das kann es mal geben, dass auch ein Polizist flucht. Polizisten sind auch nur Menschen.»
Bonus-Fehler
-Zunächst wird Flückigers Vorgesetzter Eugen Mattmann als Kommandant der Luzerner Polizei präsentiert, in einer anschliessenden Medienkonferenz ist er plötzlich Chef der Kriminalpolizei und damit eine Hierarchiestufe gesunken.
-Bei der Stürmung eines Hauses durch ein Spezialkommando würde die Ermittlerin niemals mitten in der Gruppe ins Haus des Verdächtigen mitrennen, wie es Liz Ritschard in Zivilkleidung und ohne Schutzweste gegen Ende der Folge tut:
-Bei Ermittlungen dieser Art würde eine Vertretung der Staatsanwaltschaft die Arbeit der Ermittler eng begleiten. Während der ganzen Folge ist kein einziger Staatsanwalt zu sehen, die beiden Fernseh-Kommissare scheinen ihre Entscheidungen selber zu treffen.
Fazit
Die Bilanz der beiden ehemaligen Luzerner Polizisten ist ernüchternd: «Diese Art von Ermittlung wäre in der Realität definitiv untauglich.»
*Die beiden ehemaligen Luzerner Polizisten möchten aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht namentlich genannt werden.