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Uri

«Sind Sie etwas wert?» – ein Abend im Wertedschungel

Das Kollegitheater hat mit seiner Eigenproduktion «Orangensaft im Schnee» im Theater Uri Premiere gefeiert; nach zwei Jahren wieder mit Publikum.
Schöne Glitzerwelt oder Realität im Werteschungel. Ausdrucksstarkes Szenenbild bei der Premiere des Kollegitheaters Altdorf. (Bilder: PD Kollegitheater/Angel Sanchez (Altdorf, 8. April 2022))
It-Girl Frieda, ganz in Rosa, erzählt ihren Fans von einer Mutprobe.
Glitzergirlanden sowohl auf der Bühne als auch im Raum, die – je nach Sitzplatz – die Sicht mit voller Absicht etwas behinderten: «Was ist Ihnen Ihr Platz wert?»

Brigitte Hächler

Brigitte Hächler

Brigitte Hächler

Zusammen mit ihrem Spielleiter Matteo Schenardi nahmen die Jugendlichen das Publikum mit auf eine spannende und nicht minder unterhaltsame Expedition zum Thema Werte. «Sind Sie etwas wert? Was ist Ihnen Ihr Platz wert? Wer ist etwas wert?» Gleich zu Anfang prasselten in Stereo Fragen auf das Publikum ein, die mitten in diesen Wertedschungel hineinführten, in den die Jugendlichen das Publikum an diesem Abend mitnahmen. Die Pandemie habe die Gesellschaft immer wieder mit Werthaltungen konfrontiert, und es sei auch ein wichtiges Thema im Erwachsenwerden, meint Spielleiter Matteo Schenardi zur Themenwahl.

Menschen werten und bewerten pausenlos Situationen, Dinge und andere Menschen. Nicht zuletzt um des ureigenen Bedürfnisses nach Ordnung und Einfachheit willen. So ist auch «Orangensaft im Schnee» das kollektive Resultat eines solchen Wertens und Bewertens. «Die Schülerinnen und Schüler haben sich ihre Texte gegenseitig vorgelesen und immer wieder verdichtet. Daraus ist schliesslich ein Themencluster entstanden, aus dem wir diese Collage zum Thema Werte szenisch erarbeitet haben», sagt Schenardi. Und weiter:

«Das Publikum sieht quasi
in ihre Filterblase hinein, in das, was die Jugendlichen
zu diesem Thema beschäftigt.»

Das Stück entstand mit Hilfe des Zufalls

Da ist zum Beispiel ein kleiner Riese, der in einer Mutprobe beweisen muss, dass er kein Feigling ist. Eigene oder fremde Wertvorstellungen wie «Du musst etwas aus deinem Leben machen» tauchen auf. Nach bester Bewerbungsgesprächsmanier werden mehr oder minder direkt Werte abgefragt: Wen oder was würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen? Wie stehen Sie zu Abtreibungen?

Im Schultheaterkontext sei es ihm lieber, Theater mit der Gruppe zu entwickeln, anstatt ein pfannenfertiges Stückmanuskript abzugeben, betont Matteo Schenardi. Diese prozessuale Herangehensweise ist jedoch auch eine Herausforderung und erfordert Vertrauen in die Maxime «Der Weg ist das Ziel». Denn bis kurz vor der Premiere wurde immer noch am Stück herumentwickelt. «Der Zufall ist unser Freund, mit ihm finden wir unser Stück», ist der Spielleiter überzeugt. «Natürlich gab es Phasen, in denen wir uns gefragt haben, schaffen wir das? Umso schöner ist dann das Erfolgserlebnis, wenn man es geschafft hat. Theater ist auch Lebensschule, mit Höhen und Tiefen.»

Unterhaltsam und mit einer Prise Ironie

Es war bemerkbar, wie authentisch und sicher sich die jungen Leute am 8. April in dieser Collage bewegten. Schenardi unterstützte als Spielleiter mit Elementen wie Pantomime, schnellen Übergängen, Choreografie, Kontakt mit dem Publikum oder Chorsprechen, sodass für die Inhalte ein Rahmen entstand. Unterhaltsam war der Talkshowteil, der jeweils zu einem neuen Wert einleitete. Mit einer Prise Ironie versehen etwa das Kapitel Sexismus, in dem die Frauen-Showtruppe versicherte, dass der einzige Quotenmann für die Harmonie in der Truppe sorge. Man könne sich jedoch nur einen leisten, da er gleich viel wie drei Frauen verdiene.

Die Bühne trägt ebenso zum kontrastreichen Spiel bei. Das Publikum sitzt um die Bühne herum. Diese ist auf verschieden hohen Plateaus bespielbar. Die herunterhängenden Weihnachtsgirlanden wurden schnell einmal zum fast undurchdringbaren Dschungel oder zum Theatervorhang. Dass das Geschehen nicht immer von jedem Platz gleich gut einsehbar ist, sei durchaus Kalkül. Denn auch hier finde eine Wertung durch die Theatergruppe statt, erklärt Schenardi. Diese wurde dem Publikum zwischendurch gerne wieder mit dem anfänglichen «Was ist Ihnen Ihr Platz wert?» vor Augen geführt. Oder andersherum: Auch die Zuschauerinnen und Zuschauer entscheiden, worauf sie ihr Augenmerk richten.

Auf der Suche nach natürlicher Präsenz

Egal aus welchem Blickwinkel, die jungen Leute spielten lustvoll und mit spürbarer Präsenz. Sie gaben mit ihren Geschichten Einblick in ihre aktuelle Welt, die keineswegs nur im Glitzer-Yolo-Kleid daherkommt. Zu sehen war, mit welchen Werten und Werthaltungen sie sich als junge Erwachsene konfrontiert sehen und selbst auseinandersetzen, um sich in diesem Dschungel zurechtzufinden. Dabei wirkten sie nie gekünstelt.

Das liegt nicht in Schenardis Absicht, er mag nicht «theäterle». «Ich suche nach natürlicher Präsenz. Es geht darum, sich selbst zu sein, in allen Facetten. Mich interessiert auch das Übergangsmoment, wo jemand vom Ich zur Figur wird, die etwas repräsentiert.» Das Kollegitheater wollte mit dem Ausflug in den Wertedschungel nicht den Moralfinger hochhalten, und wenn doch, dann mit einem Augenzwinkern. Es sollte eine liebevolle Einladung ans Publikum sein, vielleicht ein wenig über eigene Werte und Werthaltungen nachzudenken. Rundum ein wertvoller Abend, der grossen Applaus verdiente.

Hinweis: Das Kollegitheater spielt noch vom 9. bis 13. April. Tickets gibt’s unter theater-uri.ch.

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