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Luzern

Schützenswertes Ortsbild: Was ein Zürcher Gerichtsurteil für die Zukunft des Luzerner Theaters bedeuten könnte

Die Gegner eines Abrisses des Luzerner Theaters stützen sich unter anderem auf das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder (ISOS). Doch wieviel Gewicht hat dieses überhaupt? Über diese Frage haben sich Juristen schon mehrmals den Kopf zerbrochen.
Die Luzerner Innenstadt ist im ISOS-Inventar aufgeführt. Das Theater ist zusätzlich  mit dem höchsten Erhaltungsziel A versehen.
(Eveline Beerkircher)

Robert Knobel

Abreissen oder nicht? Und wenn ja: Müssen die Bagger einen Teil des Gebäudes stehen lassen? Diese Fragen stehen zurzeit im Zentrum der Diskussionen um die Erneuerung des Luzerner Theaters. Die Politik hat zwar längst eine klare Antwort darauf gefunden – das 180-jährige Theater soll einem Neubau weichen. Doch ein Gutachten der Eidgenössischen Kommissionen für Denkmalpflege (EKD) und Natur- und Heimatschutz (ENHK) hat den Abrissplänen im vergangenen Sommer einen empfindlichen Dämpfer verpasst (wir berichteten). Mindestens die Nordfassade des Theaters müsse zwingend erhalten werden, so das Urteil der Gutachter. Der Luzerner Stadtrat bringt dieser Forderung keine ernsthafte Opposition entgegen – zu gross ist die Angst vor Einsprechern, die einen Totalabriss mit Verweis auf das erwähnte Gutachten juristisch anfechten könnten.

Zürich hat die Schutzziele nicht ernst genug genommen

Doch die Frage, wie verbindlich das Gutachten überhaupt ist, bleibt höchst umstritten. Die eidgenössischen Kommissionen legitimieren ihre Forderung unter anderem mit dem Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder (ISOS). Dort ist nicht nur die ganze Luzerner Innenstadt aufgeführt, sondern explizit auch das Theater – und zwar mit dem höchsten Erhaltungsziel A. Spannend in diesem Zusammenhang ist ein aktuelles Urteil aus Zürich: Auch dort ist die ganze Innenstadt Teil des ISOS-Inventars. Das Verwaltungsgericht hat nun eine Beschwerde von Anwohnern aus dem Quartier Fluntern gutgeheissen, die sich gegen die Umzonung eines Gebiets von der drei- in die vierstöckige Wohnzone gewehrt hatten.

Das Gericht begründet sein Urteil damit, dass die Stadt Zürich den Schutzcharakter des Quartiers nicht genügend gewichtet habe. Damit nicht genug: Die Stadt habe die Anliegen des ISOS-Inventars systematisch ignoriert. Die Schutzziele des Inventars müssten zumindest mitberücksichtigt werden, so das Gericht. Und hier wird es auch für Luzern interessant: Denn für das Gericht genügt es offenbar bereits, wenn die Ziele des Bundesinventars ernsthaft in die Planungen einbezogen werden: Das ISOS ist zwar ein wichtiger Aspekt – der aber im Rahmen einer Interessenabwägung mit anderen legitimen Bedürfnissen konkurriert, beispielsweise mit der Ortsentwicklung oder der baulichen Verdichtung. Tatsächlich beabsichtigt die Stadt Luzern mit einem vollständigen Neubau eine zeitgemässe städtebauliche Weiterentwicklung des Theaterplatzes.

Das Luzerner Theater ist nicht von nationalem Interesse

In eine ähnliche Richtung zielt ein Rechtsgutachten zum ISOS-Inventar aus dem Jahr 2016. Der Autor Arnold Marti, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Zürich, unterscheidet zwischen ISOS-Schutzobjekten, die einer Bundesaufgabe dienen, und solchen, die rein kantonal oder kommunal von Bedeutung sind. Im ersten Fall dürfen die Schutzziele nur gelockert werden, wenn ebenso wichtige Interessen von nationaler Bedeutung dies rechtfertigen. Das schreibt das Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz vor. Bei rein kantonal und kommunal genutzten Objekten, zu denen natürlich auch das Luzerner Theater gehört, gilt diese strenge Auslegung hingegen nicht.

Es gibt noch andere legitime Interessen als den Ortsbildschutz

Zur Bedeutung des ISOS-Inventars schreibt Marti, dieses stelle eine «wissenschaftliche Beurteilung dar, welche selten tel quel umgesetzt werden kann. Vielmehr handelt es sich hierbei lediglich um eine Interessenermittlung für den Fachbereich des Natur- und Heimatschutzes.» Bei der Interessenabwägung müssten «sämtliche betroffenen Interessen, namentlich auch andere, dem Schutz der bestehenden Bebauung entgegenstehende Interessen, wie Interessen der Ortsentwicklung und der Verdichtung des Siedlungsgebietes, berücksichtigt werden.» Kritisch beurteilt das Gutachten auch die Tatsache, dass eine allzu strenge Anwendung der Schutzziele das Eigentumsrecht tangieren könnte, wofür es wiederum keine genügende gesetzliche Grundlage gebe. Marti schreibt aber auch: Auch wenn die Schutzziele des Inventars nicht immer umgesetzt werden können, seien sie trotzdem nicht unnütz. Hinzu komme, dass die Bedeutung des ISOS-Inventar für die Rechtsanwendung gegenüber früher «erheblich» gestiegen sei.

Über den Fall aus dem Zürcher Fluntern-Quartier muss übrigens nun das Bundesgericht urteilen – der Entscheid des Verwaltungsgerichts wurde weitergezogen.

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