Reto Bieri
Bei schweren Coronakrankheitsverläufen gibt es nur wenig Medikamente, die Linderung verschaffen. Nun gibt es möglicherweise einen vielversprechenden Kandidaten. Das Arzneimittel heisst Opaganib und wurde kürzlich in der Schweiz zum ersten Mal für die Behandlung von mehreren Covid-19-Patientinnen erfolgreich eingesetzt.
Verabreicht hat das Medikament die Stadtluzerner Hausärztin Andrea Ludwig. Sie ist mehr als zufrieden und nennt zwei Beispiele. «Einer 49-jährigen Patientin, die mit der südafrikanischen Coronavariante erkrankte, ging es sehr schlecht, ihre Sauerstoffsättigung fiel stark ab», erzählt Ludwig. Zusätzlich zur herkömmlichen Therapie habe sie ihr nach rund einer Woche Opaganib verabreicht. Ihr Zustand und die Sauerstoffsättigung haben sich innerhalb von drei Tagen rasch verbessert. «Das Resultat mit Opaganib als Zusatztherapie ist spektakulär», sagt Ludwig.
Eine weitere, 82-jährige Risikopatientin – Raucherin, COPD-krank und mit einer Herzinsuffizienz – erkrankte mit der brasilianischen Variante und habe sich ebenfalls in einem schlechten Zustand befunden. Die Einweisung ins Spital stand kurz bevor. Die Angehörigen willigten in die Behandlung mit Opaganib ein. Auch ihr Zustand besserte sich rasch. Erstaunlich sei zudem, dass ein Coronatest bei beiden Patientinnen schon nach drei Tagen negativ war. Normalerweise können Coronaviren noch bis zu drei Monate nach der Genesung nachweisbar sein, ansteckend ist man allerdings nicht mehr.
Stark antiviral und entzündungshemmend
Aufmerksam auf Opaganib wurde Andrea Ludwig durch Fachartikel und präklinische Studien. «Das Produkt ist eine neue chemische Substanz mit einem nachgewiesenen Dreifacheffekt auf die pathologisch-physiologischen Prozesse, die mit Covid-19 verbunden sind, das ist einzigartig.» Opaganib ist stark antiviral, entzündungshemmend und verhindert die Replikation der Viren, also die Vermehrung. Die Bewilligung durch den Kantonsapotheker sei rasch und unkompliziert erfolgt.
Opaganib ist eigentlich ein Krebsmedikament und wurde von der israelisch-amerikanischen Firma RedHill Biopharma ursprünglich zur Behandlung von Gallengangstumoren und Prostatakrebs entwickelt. Offiziell zugelassen ist es nicht. Unter der Bezeichnung «compassionate use» dürfen nicht-zugelassene Arzneimittel aber eingesetzt werden, wenn es sich um besonders schwere Krankheitsfälle handelt, bei welchen zugelassene Medikamente nicht zufriedenstellend wirken.
Geeignet für den Einsatz ausserhalb der Spitäler
Dass Opaganib möglicherweise nicht nur gegen Krebs wirkt, ist RedHill Biopharma seit einigen Jahren bekannt. «Es ist antiviral und entzündungshemmend. Das sind genau jene Eigenschaften, die auch gegen Covid-19-Erkrankungen helfen», sagt der operative Geschäftsleiter Gilead Raday. Vermutlich helfe Opaganib auch gegen neue Coronavarianten. Das Medikament eigne sich besonders für den Einsatz ausserhalb von Spitälern, da es als Pille oral eingenommen wird.
Eine Studie mit 40 US-amerikanischen Patientinnen und Patienten hat laut Raday im vergangenen Jahr vielversprechende Resultate gezeigt.
«Die Sauerstoffaufnahme der Patienten war verbessert und sie konnten sich dadurch rascher erholen.»
Aktuell läuft in acht Ländern an mehreren Kliniken eine weitere Studie mit mehreren Hundert Patienten mit einer schweren Form von Covid-19. Die Ergebnisse erwartet Raday am Ende des zweiten Quartals und sagt: «Diese Datenbasis wird uns erlauben, die Wirksamkeit von Opaganib besser zu verstehen.»
Hausärztin Andrea Ludwig bezeichnet Opaganib als sehr gutes Medikament mit Potenzial, vor allem weil es keine Alternative gebe. Sie besitzt noch Opaganib-Pillen für einige Patienten und kann sich vorstellen, diese bei Interesse an Spitäler oder Ärzte abzugeben.
Wirksamere Medikamente wünschenswert
Das Luzerner Kantonsspital gibt sich auf Anfrage zurückhaltend. Philipp Kaiser, Oberarzt Infektiologie und Spitalhygiene sagt:
«Wir setzen am LUKS keine Substanzen ein, deren Wirksamkeit nicht entsprechend gut belegt ist.»
Zu Opaganib könne er erst eine Einschätzung abgeben, wenn die Studienresultate öffentlich zugänglich sind. «Aus dem Verlauf einzelner Patienten Rückschlüsse auf die Wirksamkeit eines Medikamentes zu ziehen, ist in der Regel sehr schwierig.» Laut Kaiser wäre es aber «sehr wünschenswert, wenn wir mehr und wirksamere Medikamente zur Behandlung von Covid-19 hätten.»