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Luzern

Recycling-Bäckereien, «Tiptopf», Abfälle der Restaurants: Studierende publizieren Buch über Lebensmittelverschwendung

Jährlich wirft eine Person rund 90 Kilo noch essbare Lebensmittel weg. Solche Zahlen sind mittlerweile gut erforscht. Jetzt liefert das Buch «Wenn Food Waste sichtbar wird» auch Antworten auf die Fragen nach dem «wie» und «warum».
In der Schweiz gibt es verschiedenste Projekte gegen Lebensmittelverschwendung. Ein Beispiel sind die Madame-Frigo-Kühlschränke wie dieser hier beim Löwenplatz, in denen man Esswaren platzieren kann, die nicht mehr gebraucht werden.
(Bild: Manuela Jans-Koch (Luzern, 26. Februar 2021))
Nadine Arnold, Dozentin Universität Luzern (PD)
Die Äss-Bar in Luzern.
(Bild: Manuela Jans-Koch (Luzern, 26. Februar 2021))

Livia Fischer

Livia Fischer

Livia Fischer

Als sich die Soziologiestudentinnen und -studenten der Universität Luzern im Herbst 2018 für das Forschungsseminar «Food Waste qualitativ erforschen» eingeschrieben hatten, ahnten sie noch nicht, dass sie wenig später ein Buch darüber schreiben werden. «Ursprünglich wollten wir die Forschungsergebnisse nur mittels öffentlicher Posterausstellung an unserer Uni präsentieren», erzählt Dozentin Nadine Arnold. Im Anschluss bekamen sie aber die Möglichkeit, die Poster auch an der Hochschule Luzern sowie im Luzerner Naturmuseum auszustellen. «Von den verschiedenen Forschungsprojekten waren wir Beteiligten ohnehin begeistert. Aber erst wegen dieser externen positiven Resonanz haben wir dann überhaupt mit dem Gedanken gespielt, ein Buch zu entwickeln», so Arnold.

Aus der Idee wurde Realität, doch leicht war es nicht. «Unser Vorhaben war ambitioniert. Erstens, weil wir Finanzierungsmöglichkeiten finden mussten, und zweitens, weil das Seminar zum damaligen Zeitpunkt eigentlich schon abgeschlossen war», sagt Arnold rückblickend. Für die zehn Studentinnen und Studenten, die einen Beitrag für das Buch «Wenn Food Waste sichtbar wird» verfasst haben, bedeutete das: Sie mussten zusätzliche Zeit investieren, auch noch nach Studienabschluss. Denn während der Masterstudiengang nur zwei Jahre dauert, erstreckte sich das Projekt insgesamt über zweieinhalb Jahre.

Die beiden Ziele, die Arnold mit dem Projekt verfolgte: «Einerseits sollten die Studierenden zum Forschen motiviert werden und die Chance erhalten, einen ganzen Forschungsprozess zu durchlaufen. Andererseits hatte es zum Zweck, die Bildung für nachhaltige Entwicklung in die Lehre einzubauen. Die Publikation des Food-Waste-Buchs ist der Beweis dafür, dass wir beide Ziele erreicht haben.» Finanzielle Unterstützung erhielten sie letztlich von Stiftungen sowie der schulinternen Studierendenorganisation und dem Soziologischen Seminar der Uni Luzern.

Auch der «Tiptopf» wurde unter die Lupe genommen

Doch was genau haben die Studierenden überhaupt untersucht? Arnold: «Die Frage nach dem ‹wie viel› zum Thema Food Waste ist immer besser geklärt, darum haben wir uns dem ‹wie ›und ‹warum› angenommen.» So analysierten die Studentinnen und Studenten etwa das Verteilen von überschüssigen Lebensmitteln über wohltätige Tafeln oder digitale Plattformen sowie deren Aufwertung durch Starköchinnen und -köche. Weiter ermittelten sie, was das beliebte Hauswirtschaftsbuch «Tiptopf» vom Tier als essbar bewertet und wie sich diese Bewertung im Laufe der Zeit verändert hat. Beleuchtet wurden auch sogenannte Recycling-Bäckereien, wie etwa die Äss-Bar nahe der Stadtluzerner Seepromenade eine ist, und wie es ihnen gelingt, altes Brot so aufzuwerten, damit es gekauft wird.

Ein Kapitel widmet sich zudem dem Versuch von Servicemitarbeitenden, Lebensmittelabfälle zu vermeiden, während sie gleichzeitig ihre Gäste mit viel Essen verwöhnen. Und eine Studentin erforschte, wie das Supermarktpersonal die Too-good-to-go-Pakete zusammenstellt und welche Schwierigkeiten dabei entstehen – dazu gleich mehr. Zuletzt werden im Sammelband die Transformation von weggeworfenen Lebensmitteln zu Biogas aus Sicht der Landwirte sowie die Rolle von Insekten-Start-ups im Kampf gegen Food Waste thematisiert.

Herausforderungen im Kampf gegen Food Waste

Zusammenfassend sagt Arnold: «Unser Buch verdeutlicht, dass das Food-Waste-Problem ganz unterschiedliche Organisationen wie etwa Landwirtschaftsbetriebe, Restaurants oder Supermärkte und Personengruppen wie Konsumentinnen und Konsumenten, Koch- und Servicepersonal betrifft.» Dabei seien auch verschiedene Widersprüche und Schwierigkeiten zu beobachten.

«So möchte das Servicepersonal beispielsweise die Abfälle unbedingt reduzieren, gleichzeitig aber müssen sie sich an strikte Hygienestandards halten, die dies verunmöglichen.»

Beim Verkauf von überschüssigen Lebensmitteln über digitale Plattformen wie To-good-to-go sei die Herausforderung etwa, dass die Mitarbeitenden einerseits den hohen Qualitätsanforderungen ihrer Kundschaft gerecht werden müssen – «sprich, es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Abfall verkauft wird» – und andererseits ausgewogene Portionen zusammenstellen. «Weil Überschüsse aber nicht planbar sind, kann dies eine Herausforderung sein», so Arnold.

Wer konsumiert, der produziert Müll

Eine weitere Erkenntnis: Damit überschüssige Lebensmittel in den Augen der meisten Konsumentinnen und Konsumenten nicht mehr als wertlos erachtet werden, reicht es nicht, dass sie ökologisch wertvoll sind. «Vielmehr müssen sie auch den Werten der Gesundheit und des Genusses gerecht werden.»

Auf die Frage, welche Schlüsse man als Privatperson daraus ziehen kann, appelliert Arnold ans Bewusstmachen. «Das Thema Food Waste gewinnt zwar an Präsenz, doch die Lebensmittelabfälle bleiben im Alltag meist verborgen oder werden schnellstmöglich weggeschafft. Dies macht es einfach, zu vergessen, dass in der Schweiz ein Drittel aller Lebensmittel – oder anders ausgedrückt pro Person und Jahr rund 90 Kilogramm essbare Nahrungsmittel – verloren geht.» Darum solle beim Einkaufen im Supermarkt sowie beim Essen im Restaurant immer auch der Müll mitgedacht werden. Denn: «Konsumieren bedeutet automatisch, Abfall zu produzieren.»

Hinweis: Das Buch kann man in allen Schweizer Buchhandlungen ab 43.90 Franken bestellen.

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