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Luzern

Provokation ist Teil ihrer Kunst – Krienser Kulturpreisträgerin im Interview

Karyna Herrera verleiht Strassenkindern ein verklärtes Antlitz oder zeigt Plakate mit der Aufschrift «Für Sex». Ihre Kunst ist politisch und gesellschaftskritisch. Dafür hat sie den Krienser Förderpreis erhalten.
Karyna Herrera mit ihren Fotografien, die Bilder von Strassenkindern in Ecuador und dem Luzerner Puppenhausmuseum verknüpfen. Bilder: Nadia Schärli (Kriens, 26. November 2018
Das Thema Armut beschäftigte Karyna Herrera schon immer.
Ein weiteres Werk der Krienser Künstlerin Karyna Herrera.

Roman Kühne

Roman Kühne

Roman Kühne

Karyna Herrera (43) stammt ursprünglich aus Ecuador und lebt seit 2008 in Kriens. Hier hat sie seit neustem auch ihr Atelier im Schappe Kulturquadrat. Ihre Bilder würden schon mal die Identität des Betrachters in Frage stellen und «Denkprozesse in Gang setzen», wie die Krienser Kulturkommission schreibt. Deshalb hat sie der Künstlerin den mit 5000 Franken dotierten Krienser Förderpreis für Kunst und Kultur verliehen.

Karyna Herrera, Sie zeigen Strassenkinder, deren Gesichter etwas Künstliches, Unnatürliches haben. Ihre Bilder wirken ziemlich verstörend... Die Bilder habe ich in Quito, in Ecuador aufgenommen und sie dann mit Fotografien aus dem Puppenhausmuseum Luzern verknüpft. Ich wollte dem Leiden der Kinder auf der Strasse ein Gesicht geben. Diese Jugendlichen haben eigentlich keine Kindheit. Die Puppen sind der Kontrast dazu. Sie symbolisieren die glückliche Zeit, welche ein Strassenjunge eigentlich nie hat. Er muss arbeiten, hat keine Rechte. Dies ist sehr traurig und natürlich ein globales Thema. Sogar in der Schweiz hat es Kinder, die praktisch auf der Strasse leben. In Ecuador ist es das Geld. Hier in der Schweiz ist es oft eine soziale Komponente. Es kann eigentlich allen passieren. Wird Ihre Arbeit auch von Ihrem sozialen Bruch, Ihrer Auswanderung, beeinflusst? Ich bin in Ecuador aufgewachsen und bin mit 22 Jahren in die Schweiz gekommen. Themen wie Umweltverschmutzung, Armut und Strassenkinder haben mich immer beschäftigt. Ich war in Ecuador gut aufgehoben, studierte im 3. Jahr an der Universität und habe für meine Kunst auch schon Preise erhalten. In die Schweiz kam ich wegen der Liebe. Und ja, es war ein kompletter Bruch für mich. Für mich als Person und für mich als Künstlerin. Inwiefern? Ich begann in Luzern an der Hochschule für Kunst und Design zu studieren. Um das Studium zu finanzieren, habe ich alles gemacht. Ich habe im Zug die Minibar bedient und später in verschiedenen Restaurants gearbeitet. Zum Glück habe ich dann ein Stipendium erhalten, so dass ich meinen Bachelor abschliessen konnte. Aber die Atmosphäre in der Schweiz ist anders. Meine Arbeiten wurden dunkler. Dies hatte weniger mit dem Land, sondern mehr mit meiner Situation, meiner Wurzellosigkeit zu tun. Sie bezeichnen Ihre Kunst als Experimente, im Sinne eines naturwissenschaftlichen Ansatzes. Was bedeutet das? Ich bin einfach sehr neugierig und mir gefällt die Natur. Aber ich sehe mich schon ein wenig als Forscherin. Für viele meiner Arbeiten habe ich auch intensiv recherchiert. Woher holen Sie denn Ihre Ideen? Manchmal gibt es klare Anlässe. Ein künstlerischer Moment war, als ich ins Schwimmbad ging. Ich kam in die Damengarderobe und alle Frauen waren nackt. Für mich war es faszinierend, all die verschiedenen Intimfrisuren zu sehen. In Ecuador ist man nur nackt in der Einzelkabine. Dies gab dann eine interessante kulturelle Auseinandersetzung unter dem Titel «Neue Frisur». Ein andermal habe ich ein Video gedreht, wo ich Prostituierte interviewt habe. Ein Mann kam auf mich zu und fragte mich, wieviel ich koste. Ich antwortete, dass ich keine Sexarbeiterin sei. Aber er sagte, du bist doch Südamerikanerin. Dies hat mich dazu gebracht, Frauen aus Südamerika, die in der Schweiz im Milieu arbeiten, zu befragen. Daraus sind dann mehrere sozialkritische Projekte entstanden. Erleben Sie die Schweiz als ausländerfeindlich? Dies kann man natürlich nicht pauschal sagen. Vor allem am Anfang, als ich noch nicht fliessend Deutsch sprach, gab es schon ständig Sticheleien und Bemerkungen. Ich erlebe so viel Tolles hier, treffe ständig nette Menschen. Aber für mich ist es schon ein wenig ein Wunder, dass ich diesen Krienser Preis bekommen habe, dass ich anerkannt werde als Person. Diesen Preis erhielten Sie auch für Ihre kritischen Performances. Ich finde den «Auftritt» eine sehr effektive Form der Kunstvermittlung, wo man die Menschen direkt erreichen kann. Provokation und politisches Engagement sind für mich wichtige Themen. In Basel habe ich T-Shirts mit der Aufschrift «Zum Mitnehmen» getragen. Daneben gab es Plakate mit «Adoption», «Für Sex» oder «Zum Heiraten». Die Verschleppung von Frauen aus ihren Geburtsländern ist ein wichtiges Thema.

Mehr Informationen auf www.karynaherrera.com

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