Kristina Gysi
Kristina Gysi
Man sieht Maxime Chabloz die Bergluft an. Die Skibrille hat einen weissen Abdruck auf seinen sonnengebräunten Wangen hinterlassen, braunes Haar kraust sich unter dem Cap, auf dem «Silvaplana» steht. Seit Anfang Februar ist der professionelle Freerider und Kiteboarder Botschafter des Engadiner Windsport-Mekkas und kommt nicht umhin, von dem Ort zu schwärmen. Jedoch macht es nicht den Eindruck, als würde er es (nur) zu Werbezwecken tun. Seine Leidenschaft für die Engadiner Gegend ist unverkennbar. «Mein Bruder und ich fahren mit unserem Vater seit der Kindheit zum Kitesurfen an den Silvaplanersee», sagt er.
Die Gemeinde Silvaplana liegt auf 1815 Metern über Meer, eingebettet in die Engadiner Berglandschaft. Das Dörfchen am Fusse des Hausbergs Corvatsch wird derzeit von rund 1100 Menschen bewohnt – eine übersichtliche Zahl also. Was nicht heissen soll, dass es sich bei der Ortschaft um ein verschlafenes Bergdörfchen handelt, im Gegenteil: Der Silvaplanersee ist europaweit eine der beliebtesten Destinationen für Kite- und Windsurfer. Grund dafür ist der Malojawind, der an sonnigen Tagen – und davon gibt es im Engadin bekanntlich reichlich – zuverlässig den Wind in die Segel treibt. An Spitzentagen bis zu 30 Knoten, also 55,56 Kilometer pro Stunde.
Der Corvatsch bietet zudem ein Skigebiet, Wanderrouten, Mountainbikewege und ist auch einfach schön anzusehen. «Es gibt eine Zeit im Jahr, in der ich morgens auf dem Corvatsch Skifahren, und nachmittags auf dem Silvaplanersee Kitesurfen kann», sagt Chabloz. Offensichtlich seine liebste Zeit.
Interessant für das Amt als Botschafter wurde der 20-jährige Beckenrieder, als er letztes Jahr beim Freeride-Event «Engadinsnow» auf den ersten Platz fuhr. Richtig: Skifahren kann er jetzt auch noch richtig gut. Vor zwei Jahren begann er, Wettkämpfe im Freeriden zu bestreiten – mit grossem Erfolg: Nebst vierfachem Weltmeister im Kitesurfen ist er nun auch stolzer Träger von einem Weltmeistertitel im Freeriden. Der junge Mann scheint mit reichlich Talent versorgt zu sein. Er bestätigt die Vermutung:
«Es ist tatsächlich so, dass alles irgendwie einfach klappt»,
sagt er lachend. Alles, was er wirklich wolle. Und was er will, ist Sport. So viel wie möglich, am liebsten. «Kitesurfen oder Skifahren allein würde mir wohl nicht mehr reichen», sagt er. «Ich brauche die Abwechslung, weil mich das Eine für das Andere motiviert.»
Der Sportler scheint aber nicht nur mit Talent, sondern auch mit einer guten Portion Glück gesegnet zu sein: Erst eine Verletzung setzte ihn über mehrere Tage hinweg ausser Gefecht: «Ein kleiner Riss an der Hüfte, mehr war das nicht», sagt er schulterzuckend und grinst. «Vielleicht mal ein paare Tage Nackenstarre oder Kopfschmerzen. Aber das gehört dazu.» Er sei keiner, der kopflos die grössten Tiefschneehänge herunterrase, nur um etwas Neues auszuprobieren. Das Risiko müsse man zwar hinnehmen, ein gewisses Mass an Sicherheit sei ihm aber trotzdem lieber. «An Tagen mit hoher Lawinengefahr gehe ich oft mit meinem Vater neben die Piste.»
Dieser sei im Militär zum Lawinenspezialisten ausgebildet worden und habe deshalb das nötige Wissen. Ganz frei von Gefahren sei man trotzdem nie – auch nicht mit der besten Ausrüstung: «Man sieht einige, die sich mit den neusten Lawinenrucksäcken, Sonden und Schaufeln abseits der Piste bewegen und denken, sie seien unbesiegbar», sagt Chabloz. «Aber wenn die Lawine kommt, dann kommt sie.» Und dann sei auch jener mit der besten Ausrüstung plötzlich ganz klein.
Wenn Arbeitstage vom Wetter abhängen
Manch einer dürfte ein wenig eifersüchtig werden, wenn Maxime Chabloz aus seinem Arbeitsalltag erzählt. «Ich kann mich wirklich nicht beklagen», lacht er. Auch er macht morgens als Erstes seinen Kaffee, das war’s dann aber auch schon mit dem «normalen» Tagesablauf. Der Rest hänge vom Wetter ab: «Im Sommer vom Wind, im Winter vom Schnee.» Zurzeit gehe er so oft wie möglich Skifahren, meistens in Andermatt oder im Skigebiet Corvatsch in Silvaplana. «Wenn die Verhältnisse nicht stimmen, bin ich zu Hause, beantworte E-Mails und geniesse sozusagen das Wochenende.» Er schätze die Freiheit, die ihm diese Randsportarten bieten, denn er kenne auch die andere Seite: «Früher fuhr ich Ski alpin. Da hatten wir strikte Trainingszeiten und allgemein war alles etwas unflexibler und strenger.» Doch auch das Freeriden habe seine Knackpunkte: «Man hat kein Team hinter sich, muss mehr planen und einiges an Selbstdisziplin mitbringen.» Schliesslich ist er beim Freeriden sein eigener Trainer.
Es scheint nicht so, als ob ihm diese Selbstdisziplin grosse Mühe bereiten würde. Maxime Chabloz hat seinen Erfolg wohl auch einer grossen Prise Ehrgeiz zu verdanken. Doch auch dieser Ehrgeiz birgt Tücken:
«Ich lasse mich schnell von der Konkurrenz stressen»,
so Chabloz. «Das ist meine grosse Schwäche.» Dass er zurzeit zu den grossen Favoriten im Kitesurfen zählt, macht den Druck noch grösser. «Meistens bin ich zu Beginn der Kitesurf-Saison sehr stark. Wenn ich dann aber sehe, wie gut die Konkurrenz ist, nimmt die Leistung ab.» Es sei meistens einfacher zu jagen, als gejagt zu werden. Kratzbürstig gegenüber anderen werde er deswegen nicht. «Ich glaube es zumindest nicht», sagt er grinsend. «Wenn, dann bin ich wütend auf mich selbst.» Für den Moment dürfte er dafür aber keinen Grund haben, denn der Kitesurfer ist im Rahmen der SUI Sailing Awards für die Auszeichnung des Junior Sailor of the Year nominiert – als Kitesurfer, nicht als Segler.
Was kommt nach dem Profisport?
Mit seinen 20 Jahren darf Maxime Chabloz davon ausgehen, noch einige Jahre im Profisport vor sich zu haben. Was kommt danach? Er nickt wissend, als hätte er die Frage schon oft gehört. «Heutzutage haben Sportler dank Social Media die Chance, auch nach ihrem Karriereende weiterhin Geld zu verdienen», sagt er. «Zum Beispiel, indem sie weiterhin den Sport und seine Marken vertreten.» Auch Chabloz tendiert darauf, sein Leben nach dem Profisport auf diese Art zu finanzieren. Er scheint zuversichtlich, dass dieser Plan aufgeht. Und er habe ja noch ein wenig Zeit, um sich darauf vorzubereiten.
Für ein Foto verlagert sich das Gespräch in den Keller, der sich als Paradies für Skiliebhaber entpuppt. Was bei vielen Frauen die Schuhe sind, sind bei Chabloz die Freeride-Bretter. Darunter ein einziges Snowboard. «Einmal im Jahr fahre ich das», sagt er. «Damit ich es nicht verlerne.»