Lena Berger
Auf die Grösse kommt es nicht an. Zumindest in gewissen Lebensbereichen. In der Baubranche jedoch gilt dieser Grundsatz mit Sicherheit nicht. Da ist Millimeterarbeit gefragt – und zwar nicht nur von den Handwerkern.
Das musste unlängst auch ein Luzerner Architektenbüro erfahren – auf höchst unangenehme Weise. Als die Architekten anlässlich einer Schlusskontrolle drei neue Gebäude der Baudirektion präsentierten, stellte die Behörde Abweichungen zu den genehmigten Plänen fest. Unter anderem reichten die Kamine zu weit in die Höhe. Und zwar rund 30 Zentimeter.
Ein ärgerlicher Fauxpas, könnte man meinen. Das würde dem Fall aber nicht gerecht. Die Abweichung entstand nämlich durch sogenannte Kaminhüte. Die Architekten haben diese montieren lassen, obwohl das Luzerner Kantonsgericht zuvor in einem Urteil explizit festgehalten hatte, dass die Maximalhöhe der Kamine nicht durch technische Aufbauten überschritten werden darf. Die Nachbarn hatten dies vor Gericht mühsam erstritten. Die Planer aber setzten sich wissentlich darüber hinweg.
Nachbarn bekämpfen ein Präjudiz
«Wer Unrecht einfach hinnimmt, fügt ein weiteres hinzu», sagte einst der deutsche Schriftsteller Peter Tille. Im vorliegenden Fall betrifft dies die Luzerner Baudirektion. Sie liess die Architekten zwar ein nachträgliches Baugesuch einreichen – sie pochte dann aber trotz einer erneuten Einsprache der Nachbarn nicht darauf, dass die Kamine zurückgebaut oder zumindest die Kaminhüte entfernt werden.
Die Nachbarn setzten sich ein zweites Mal vor Kantonsgericht zur Wehr. Nicht wegen der 30 Zentimeter. Sondern aus Prinzip. Ihrer Ansicht nach steht es der Baudirektion nicht zu, eine rechtskräftige Auflage im Nachhinein einfach aufzuheben. «Damit werden Grundlagen und Anreize geschaffen, Verstösse gegen Urteile und Auflagen bewusst einzuplanen, da diesbezüglich nicht mit Konsequenzen zu rechnen ist», so das Argument.
Das Kantonsgericht gab den Nachbarn recht und die Baudirektion wurde zu weiteren Abklärungen verknurrt. Um abschätzen zu können, ob ein Rückbau den Eigentümern finanziell zugemutet werden kann, sollten Offerten eingeholt werden. Was nun geschah, ist bemerkenswert: Als die Zahlen vorlagen, entschied die Baudirektion erneut, dass man auf einen Rückbau verzichten könne. Der Aufwand stehe in keinem Verhältnis zum Nutzen. Da gelte es, «Augenmass walten zu lassen».
Unrealistisch hohe Kosten geltend gemacht
Daraufhin wandten sich die Nachbarn ein drittes Mal an das Kantonsgericht. Dieses wird in seinem neusten Entscheid sehr deutlich: Das Gericht habe bereits im vorhergehenden Urteil unmissverständlich festgehalten, dass die Kaminhüte rechtswidrig gebaut wurden und eine nachträgliche Bewilligung nicht in Frage komme. Dass die Architekten in «gutem Glauben» gehandelt hätten, sei ausgeschlossen – sie mussten also damit rechnen, dass sie mit dem Ignorieren der Bauauflage nicht durchkommen.
In der Bundesverfassung steht, dass vor dem Gesetz alle gleich sind. Und diesem Grundsatz misst das Kantonsgericht grössere Bedeutung zu als den privaten Interessen der Bauherrschaft. Da nützte es auch nichts, dass die Betroffenen mit horrenden Kosten rechnen: Angeblich kostet der Rückbau 170 000 Franken. Die Gebäude würden zudem durch die «Änderung der architektonischen Erscheinung» an Wert verlieren, was 30 000 Franken ausmache. Hinzu kämen 30 000 Franken, weil die Bewohner während der Bauzeit ausquartiert werden müssten.
Während die Baudirektion diesen Zahlen blauäugig Glauben schenkte, hatte das Kantonsgericht aus drei Gründen kein Gehör dafür: Erstens sei ein Rückbau gar nicht nötig, man könne einfach die Kaminhüte entfernen. Zweitens könnten ästhetische Überlegungen nicht als Rechtfertigung für eine Verletzung der Bauauflagen herhalten. Und drittens sei nicht nachvollziehbar, warum die Bewohner ausquartiert werden sollten, um über den Wohnungen die Arbeiten vornehmen zu können. Innerhalb von drei Monaten müssen die Kamine nun umgebaut werden. Das Urteil ist rechtskräftig.