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Zug

Marroniverkäufer fand sein Glück

Seit Anfang Saison sitzt jemand Neues im Marronihäuschen am Bahnhof Zug. In seinem Leben musste Peter Conrath einige Schicksalschläge verkraften, doch der 55-Jährige kämpfte sich immer wieder erfolgreich zurück.
Peter Conrath vor seinem Marronihäuschen beim Bahnhof Zug. (Bild: Stefan Kaiser (6. Dezember 2018))

Christopher Gilb

Donnerstag, 11 Uhr, beim Marronihäuschen am Bahnhof Zug. Peter Conrath bereitet alles für seinen bevorstehenden Arbeitstag vor, der jeweils bis 19 Uhr dauert. Noch laufe der Verkauf etwas schleppend, erzählt er. «Es ist einfach noch nicht kalt genug und die Zuger Kunden sind sehr klassisch. Sobald es kalt ist, kaufen sie Marroni, ist es jedoch an einem Tag wärmer, bricht der Verkauf gleich wieder ein.» Der 55-Jährige zuckt lächelnd mit den Schultern.

Seit Anfang Oktober arbeitet er nun fest in der Kolinstadt. Er hat ein bewegtes Leben hinter sich, eines das man am besten mit dem Titel eines Lieds der deutschen Rockgruppe Die Toten Hosen beschreiben könnte. Er lautet: «Steh auf, wenn du am Boden bist.»

Ein Magengeschwür und ein schwerer Unfall

Sein Pech, wenn man es so nennen will, begann schon mit seinem ersten Job. Conrath war Koch, es war sein Traumberuf. Dann entdeckten Ärzte das Magengeschwür. «Ich konnte danach nicht mehr als Koch weiterarbeiten, das traf mich sehr.» Stattdessen versuchte er sich orientierungslos in diversen Jobs, mal lief es besser mal schlechter. Auch als Selbstständiger in der Reinigungsbranche arbeitete er. Er krampfte viel in seinem Einmannunternehmen, es lief ganz gut. Dann kam aber der schwere Unfall in der Dominikanischen Republik. «Eine Taggeldversicherung hatte ich keine.» Als es ihm nach langer Zeit wieder besser ging, sass er auf 80 000 Franken Schulden.

Es waren nicht die beiden einzigen Schicksalsschläge, die Conrath in seiner Berufslaufbahn zu verkraften hatte. Von seinem Leben erzählt er regelmässig auf dem Dach eines Hauses einer Institution für Bedürftige in Zürich. Jede seiner Surprise-Stadtrundgänge beginnt so. Er entblösst sein Leben, erzählt den Teilnehmern, wieso er der Richtige ist, um die Limmatstadt von einer anderen Seite zu zeigen. Von einer, die normalerweise nur jene kennen, die arm sind, alkoholkrank oder drogensüchtig. Die wie er in die Abwärtsspirale gerieten und von denen es nicht jeder schafft, immer wieder aufzustehen. Der Reihe nach zeigt er dann Orte, wo Bedürftige eine warme Mahlzeit erhalten, Alkoholkranken geholfen wird, oder man als Obdachloser vor Wind und Regen geschützt ist.

Durch Hans Rhyner kam er nach Zug

An seiner Seite bei den sozialen Stadtrundgängen ist oft Hans Rhyner, der aufgeweckte Surprise-Verkäufer vom Bahnhof Zug, über den wir schon einmal berichtet haben. Über Rhyner hat Conrath auch seinen neuen Job in Zug gefunden. «Als es mir ganz schlecht ging, bin ich zu Surprise gegangen, fand Halt und habe angefangen Heftchen zu verkaufen», berichtet er. Das Heft müssen die Verkäufer dem Surprise-Verlag für je 3.30 Franken abkaufen. Darin inbegriffen ist bereits ihr AHV-Beitrag. Verkauft wird das Heft dann für 6 Franken. Die Differenz ist ihr Verdienst. Es funktioniert nach dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe.

Auch als Conrath dann vor einigen Jahren einen Job in der Produktion bei der Migros fand und es bis heute so geschafft hat, seine Schulden abzuzahlen, machte er mit dem Heftverkauf weiter. «Es macht mir einfach Freude, ist eine gute Sache», sagt Conrath. Hans erzählte ihm vom Standort beim Bahnhofseingang Zug aus Richtung Metalli. «Wenn er einmal nicht konnte, verkaufte ich dann Heftchen dort», so Conrath.

«Als es mir ganz schlecht ging, bin ich zu Surprise gegangen, fand Halt und habe angefangen Heftchen zu verkaufen», Peter Conrath

Beim Marronihäuschen war er erst Aushilfe

Ganz in der Nähe vom Standort der Surprise-Verkäufer befindet sich in der kälteren Jahreszeit auch das Marronihäuschen. Man muss wissen, Peter Conrath ist ein Arbeitstier. «Ich arbeite einfach sehr gern, manchmal etwas zu viel, aber ich fühle mich eben gerne beschäftigt», erklärt er. Zu seinem Job in der Produktion, dem Verkauf von Surprise und den sozialen Stadtführungen sprang er also zusätzlich noch immer regelmässiger beim Marronihäuschen ein, wenn die Frau, die sich sonst darum kümmerte, einmal nicht konnte. Nun hat sie eine andere Anstellung und auf den 1. Oktober hat Conrath ihre Stelle übernommen. «In den letzten fünf Jahren bei der Migros hat mir etwas der Kontakt mit Menschen gefehlt, den habe ich hier.» Und wenn er einmal kurz das Häuschen verlassen muss, kann praktischerweise sein Kollege Hans Rhyner kurz für ihn einspringen.

Die Saison für den Marroniverkauf geht nun bis Ende Februar. Aber auch für die wärmeren Monate hat Conrath bereits eine Lösung. Vor einem Restaurant in Zürich wird er einen Würstchengrill bedienen. «Eben immer dran bleiben», sagt er. Denn wenn er eins gelernt hat im Leben, dann ist es, wie zutreffend, besonders eine Zeile aus dem Lied der Toten Hosen ist. Diese lautet: «Egal, wie dunkel die Wolken über dir sind. Sie werden irgendwann vorüberziehen».

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