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Sarnen

Dorfkern soll wieder lebenswert werden

In Sarnen beklagt man sich über einen lärmigen, wenig lebenswerten Dorfkern. Nun stellt der Verein Kulturlandschaft die Siedlungsentwicklung zur Diskussion.
Der Verkehr im Dorfkern macht der Bevölkerung zu schaffen. (Bild: Romano Cuonz
(Sarnen, 25. September 2020))
Der Sarner Dorfplatz um 1900. (Archivbild: Historisches Museum Sarnen)

Romano Cuonz

«Wir Sarnerinnen und Sarner sind besorgt über den grossen Wandel, dem unser Dorf in den letzten Jahrzehnten unterworfen war und in Zukunft noch mehr sein wird», hält Toni Durrer als Projektleiter des eben erschienenen Buches «Dorf Sarnen – Siedlungsentwicklung» fest. Weil es höchste Zeit sei, auch einmal auf mögliche Fehlentwicklungen hinzuweisen, habe der Verein «Kulturlandschaft – Landschaft und Kultur Obwalden» den einheimischen Architekten Eugen Imhof beauftragt, die Geschichte der Siedlungsentwicklung im Hauptort zu untersuchen.

Entstanden ist ein 100-seitiges Werk. Es enthält eine unglaubliche Vielzahl an Informationen, Hinweisen, historischen und aktuellen Bildern und Plänen. Vereinspräsident und alt Nationalrat Karl Vogler brachte das Anliegen der Publikation auf den Punkt, als er sagte:

«Zurück zu schauen, die Vergangenheit aufzuarbeiten und sich kritisch mit Vergangenem auseinanderzusetzen ist Voraussetzung, um die Zukunft besser oder noch besser zu gestalten.»

Die Buchvernissage wurde bewusst mitten im Dorfkern, im traditionsreichen Metzgernsaal abgehalten. Der Aufmarsch von gleich 135 vorwiegend besorgten Leuten zeigte, wie sehr ihnen das Thema zurzeit unter den Nägeln brennt.

Ohne Verkehrsberuhigung geht nichts

Eugen Imhof beschreibt im Buch vorerst, wie das Dorf Sarnen, abseits von Pfarrkirche und Seeufer, am Fuss des Landenberges entstanden ist. Seinen Namen hat es von Überflutungen – «Übersaaren» – durch die Melchaa. Anhand von Situationsplänen macht er dann 170 Jahre Siedlungsentwicklung – 1850 bis Gegenwart – sichtbar.

Als Architekt beschreibt er aber Auswirkungen auf das Siedlungsbild und setzt diese in einen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenhang. Leserinnen und Leser erkennen, wie sich das Sarner Siedlungsgebiet weit über die gewachsenen Dorfränder hinaus ausgebreitet hat. Treibende Faktoren waren der technische Fortschritt, der gesellschaftliche Wandel und die Industrialisierung. Imhof führt aber auch weitsichtige Entscheide an: «Der frühere Dorfschaftsrat nahm für den Kauf von Land im Seefeld eine Steuererhöhung in Kauf. Ohne sie gäbe es die heutige Freizeitanlage im Seefeld nicht.»

Detailliert kommt Imhof aufs Heute: Das ursprünglich als Industrie- und Gewerbezone ausgeschiedene Gebiet «Sarnen Nord» habe sich in den letzten Jahrzehnten zu einer dem Dorfbereich punkto Grösse ebenbürtigen Mischzone mit Wohnsiedlungen, Läden und Büros entwickelt. Wenn ein weiterer Wegzug von Läden aus dem Dorfkern nach «Neu Sarnen» verhindert werden solle, müsse man eine genaue Nutzungsverteilung Dorfkern und Sarnen Nord ins Auge fassen. Imhof wörtlich: «Ohne Verkehrsberuhigung ist die Attraktivität des Dorfraums nicht aufrechtzuerhalten, Wegverbindungen nach Sarnen Nord und die Schaffung von Begegnungszonen sind dafür eine Voraussetzung.» Nur wenn die Ruhezeiten bei Festen oder Bars neu geregelt würden, könnten auch wieder Familien im Kern leben. Und: Es brauche dringend auch neue Parkierungsmöglichkeiten.

Nostalgie und Widerstand

Bevor es zu einer «Chropfläärätä» kam, liessen Erna Zumstein-Reinhard, Josef Wyss, Primus Camenzind und Geri Dillier Nostalgiegefühle aufkommen. Als sie Kinder waren, war das Dorf zwischen Rathaus und Post noch ihr Spielplatz. Gleich mehrere Bäcker und Metzger boten im Zentrum frische Produkte an. Kommunikation fand in Läden, auf Strassen und in Gasthäusern statt.

Heute gebe es im Zentrum kaum mehr Familien mit Kindern. Das einst farbige Leben sei verblasst. Viele Anwesende meldeten sich darauf zu Wort. Ihre Wünsche und Kritiken konnten sie direkt bei den Entscheidungsträgern anbringen: Neben dem Obwaldner Baudirektor Josef Hess stand ihnen auch der Sarner Gemeindepräsident Jürg Berlinger Red und Antwort. Kritisiert wurde, dass grosser Nachtlärm Familien aus dem Dorfkern verdränge. Gefordert wurde eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h im Dorfkern. Eine solche könne der Gemeinderat ohne Volksbefragung einführen, wurde gesagt.

Das Fazit aus den Diskussionen aber zog keiner besser als Autor Eugen Imhof. «Ist es früher die Melchaa gewesen, die das Dorf und seine Bewohner bedroht hatte, ist es heute der Verkehr», pointierte er. Diese Aussage nahmen sich sowohl Baudirektor Josef Hess als auch Gemeindepräsident Jürg Berlinger zu Herzen. Berlinger erklärte, der Gemeinderat habe das Problem mehrmals angegangen, doch vom Volk seien an der Urne stets Absagen gekommen. Nichtsdestotrotz sei man wieder an der Arbeit. Berlinger:

«Wir hoffen, Sarnerinnen und Sarnern bald neue Vorschläge unterbreiten zu können.»

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