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Obwalden

Obwaldner Gerichte verletzen Prinzip

Eine Firma sollte zahlen, weil ein Lenker mit dem Firmenauto zu schnell fuhr. Ein Obwaldner Urteil verstösst laut Bundesgericht gegen einen elementaren Grundsatz.
Das Bundesgericht in Lausanne. (Bild: Keystone/Laurent Gillieron (Lausanne, 13. April 2017))

Franziska Herger

Der Fall ist schnell erzählt und eigentlich in jeder Hinsicht unspektakulär. Ein Lenker eines Firmenwagens überschritt im August vor vier Jahren die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um 14 Kilometer pro Stunde. Die Kantonspolizei Obwalden forderte die Firma, im Urteil nur X. GmbH genannt, als Fahrzeughalterin zur Bezahlung einer Ordnungsbusse von 250 Franken auf (wir berichteten).

Die Firma wehrte sich und teilte mit, sie wisse nicht, wer das Fahrzeug gelenkt habe. Doch die Staatsanwaltschaft und auch das Obwaldner Kantons- und Obergericht bestanden auf der Bezahlung der Busse. Eigentlich kein grosser Betrag, doch der Firma ging es dabei ums Prinzip. Sie zog den Fall vor Bundesgericht und wurde schliesslich in einem knappen Entscheid freigesprochen.

Die nun vorliegende Begründung zeigt: Die Beschwerdeführerin fuhr schweres Geschütz auf. Die Polizei hatte sich auf Artikel 6 des Ordnungsbussengesetzes (OBG) gestützt, wonach bei einer Widerhandlung die Busse dem im Fahrzeugausweis eingetragenen Fahrzeughalter auferlegt wird. Die Klägerin rügte, die Halterhaftung nach Artikel 6 OBG verstosse gegen die Unschuldsvermutung sowie das Recht zu schweigen und sich nicht selbst zu belasten, das in der Bundesverfassung und in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgehalten ist.

Oberstes Gericht äussert sich zum ersten Mal

Gewichtige Grundsätze, welche die fünf Bundesrichterinnen und Bundesrichter einstimmig als nicht verletzt erachteten. Hauptgrundlage für die Argumentation des höchsten Gerichts ist ein fast identischer Fall aus den Niederlanden, der 2004 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt wurde. Dieser befand, dass die niederländische Bestimmung nicht gegen die Unschuldsvermutung verstosse. Halter und Lenker hätten vielfältige Auskunftspflichten gegenüber den Behörden, schreibt das Bundesgericht. Sie könnten zwar nicht zur Auskunft gezwungen werden, müssten dann aber auch die Konsequenzen tragen – in diesem Fall die Busse.

Den Einwand der X. GmbH, die Bekanntgabe des Fahrers bedeute einen unverhältnismässigen Aufwand, schmetterte das Bundesgericht ab: Dem Halter «sei zuzumuten, die Identität dessen zu kennen, dem er sein Fahrzeug anvertraut. Dies gilt ebenso für juristische Personen.» Umgekehrt sei es gerade der Wille des Gesetzgebers, «die Behörden vor aufwendiger, unverhältnismässiger Ermittlungsarbeit im Bereich ausgesprochener Bagatelldelikte ... zu entlasten.»

Mehr Erfolg hatte die Beschwerdeführerin mit dem Grundsatz «Keine Strafe ohne Gesetz». Unternehmen sind nämlich nur dann strafbar für blosse Übertretungen, wie die Geschwindigkeitsüberschreitung im vorliegenden Fall eine war, wenn dies ausdrücklich in einem Gesetz festgehalten ist. Somit musste sich das Bundesgericht zum ersten Mal überhaupt zu der Frage äussern, ob Artikel 6 OBG die Strafbarkeit von Unternehmen auf Übertretungen ausdehnt – und verneinte dies schliesslich knapp mit drei zu zwei Stimmen.

Wortlaut geht Absicht des Bundesrats vor

Zwar habe der Bundesrat mit dem Verkehrssicherheitspaket Via sicura ausdrücklich bezweckt, auch juristische Personen als Fahrzeughalter für geringfügige Verstösse in die Pflicht zu nehmen. Das ändert aber für das Bundesgericht nichts daran, dass der besagte Artikel juristische Personen nicht ausdrücklich als Fahrzeughalter erwähnt. Der Schuldspruch der Obwaldner Gerichte verletze daher das obgenannte Legalitätsprinzip und sei aufzuheben. Auch die Gerichtskosten des Bundesgerichts hat die X. GmbH nicht zu tragen.

Hinweis: Bundesgerichtsurteil 6B_252/2017 vom 20. Juni 2018

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