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Obwalden

«Ich meinti»: Mit- und Selbstbestimmung mit Hindernissen

Gerade die ältere Generation Schweizer Frauen leidet unter den Einschränkungen, die Corona unserem Alltag und dem sozialen Leben auferlegt. Unsere Kolumnistin macht sich Gedanken über Lebensqualität und Selbstbestimmung im letzten Lebensdrittel.
Ruth Koch aus Kerns. (Bild: PD)

Ruth Koch

Dieser Landsgemeindetag im Jahr 1987 war ein ganz besonderer. Für die Initiative, welche der Nidwaldner Bevölkerung mehr Mitsprache bei Endlagerfragen sicherte, wollte ich selbstverständlich meine Hand erheben. Doch: Unser Sohn war ein halbes Jahr alt und ich konnte ihn noch nicht über mehrere Stunden in Obhut geben – und die Landsgemeinde dauerte nun mal mehrere Stunden. Mein Plan war also, von ausserhalb des Rings den Rednerinnen und Rednern zuzuhören. Wenn es dann zur Abstimmung schritt, wollte ich mit dem Sohn auf dem Arm kurz in den Ring treten und meine Hand erheben.

Leider kam mir bei diesem Vorhaben die Schweizer Armee dazwischen. Das heisst, der mit Sturmgewehr bewaffnete Soldat, der den Eingang zum Landsgemeindering bewachte. Er dürfe mich mit dem Kind nicht reinlassen, liess er mich wissen. Nein, es gebe keine Ausnahmen. Auch nicht, wenn wir in zwei oder drei Minuten wieder draussen wären. Ich sah es ein: Diskutieren hatte keinen Zweck, denn schliesslich hatte er seine Befehle. Ausserdem ging es definitiv zur Abstimmung. Kurzerhand legte ich das Kind wieder in den Wagen, stellte diesen dicht neben den Schweizer Soldaten und bat ihn, nebst dem Nidwaldner Stimmvolk ebenso das Baby zu bewachen. Ich ging rein und stimmte ab. Die Weibel stellten das Ja zur Mitsprache fest, und ich verliess den Ring wieder Richtung Kinderwagen. Der Soldat, der seinen Dienst pflichtbewusst erfüllt hatte, war froh, dass er seine zusätzliche Verantwortung wieder abgeben konnte. Mitbestimmen mit Hindernissen, kann man da sagen – so war es eben mit den Landsgemeinden.

Mit Hindernissen war auch der Weg bis zur Einführung des Frauenstimmrechts reichlich belegt. Es brauchte diverse Abstimmungen, bis die Männer den Frauen die Mitbestimmung bei Bund, Kanton sowie Gemeinden gewährten. Heute muten die Argumente geradezu unerhört an, die damals gegen das Frauenstimmrecht ins Feld geführt wurden: Von «Die Frau gehört ins Haus» und «Die Frauen können ihre Meinung über den Ehemann zur Geltung bringen» bis zu «Die Politik ist ein zu unsicheres und schmutziges Geschäft für eine Frau» reichten die Voten. Na ja, zum Glück haben sich die Zeiten geändert.

Jene, die sich damals für oder gegen das Frauenstimmrecht ausgesprochen hatten, sehen sich derzeit vor ganz neuen Hürden betreffend Mitbestimmung. In Zeiten von Corona gehören sie als Seniorinnen oder Senioren zu den Risikogruppen. Viele sind körperlich eingeschränkt, auf Hilfe angewiesen und deshalb bereits in verschiedenen Belangen fremdbestimmt. In den Altersheimen sind die Besuche coronabedingt beschränkt oder sogar untersagt. Es kommt vor, dass Umarmungen sowie Berührungen mit Angehörigen verboten sind. Mehr noch als andere Altersgruppen sehen sich ältere Menschen damit konfrontiert, dass die Selbst- und Mitbestimmung den Sicherheitsmassnahmen weichen müssen.

Ich meinti: Trotz gewissen Risiken sollten grösstmögliche Lebensqualität und Selbstbestimmung auch im letzten Abschnitt des Lebens möglich bleiben.

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