notifications
Obwalden

Eine besondere Familiengeschichte aus dem Melchtal: Von «I» zu «Y» und zurück

Jahrzehntelang prägte die Familie Huwyler das Dorfleben in Melchtal. Am Cousinen- und Cousin-Treffen zeigte sich, wie sehr die Familiengeschichte auch die Dorfgeschichte widerspiegelt.
Die Brüder Ruedi Huwyler (links) und Hermann Huwiler hatten viel zu erzählen. (Bild: Philipp Unterschütz (Melchtal, 2. Oktober 2018))

Philipp Unterschütz

Sie sind Brüder, heissen gleich, aber schreiben ihren Familiennamen unterschiedlich – Ruedi Huwyler (78) aus Melchtal und Hermann Huwiler (75) aus Sarnen. Die unterschiedliche Schreibweise in der Familie ist ihrer Grossmutter Emma Huwiler-von Moos zu verdanken. Nachdem sie mit ihrem Mann Burkhard Huwiler, der in Sachseln als Bäckergeselle gearbeitet hatte, 1901 in Melchtal die Liegenschaft mit Bäckerei, Lebensmittelladen und Café übernommen hatte, lancierte sie als erste Werbeaktion eine Namensänderung. «Ein Y im Namen auf der Firmentafel an der Hausfassade wirke für die Kundschaft besser, fand unsere Grossmutter Emma», erzählt Hermann Huwiler. Und so hiess die Familie eben plötzlich Huwyler, bis es dann irgendwann halt doch Probleme mit amtlichen Dokumenten gab.

So kehrten die einen zurück zur Schreibweise mit «I», während andere wie Ruedi Huwyler ganz offiziell eine Namensänderung eintragen liessen. Kürzlich hat sich die dritte Generation der Huwilers, egal ob mit «I» oder «Y», wieder getroffen – und zwar dort, wo alles begonnen hat. «Im Nest», sagen die beiden Brüder Ruedi und Hermann und meinen das heutige Restaurant Nünalp in Melchtal. Da wo früher eben die Bäckerei ihrer Grosseltern war.

Mit Gottvertrauen die Wirtschaftskrise gemeistert

Und für die über 30 Cousinen und Cousins mit Anhang gab es viel zu erzählen. Schliesslich prägte die Familie über Jahrzehnte das Melchtaler Dorfleben massgeblich mit. Aus der Ehe von Burkhard und Emma entsprossen zwischen 1900 und 1917 nämlich erst drei Töchter und dann zehn Buben. «Man kann sich vorstellen, dass dann kaum mehr ein Streich im Dorf geschah, an dem nicht einer oder mehrere Huwyler-Buben beteiligt waren, schmunzelt Ruedi Huwyler.

Das Geschäft mit Bäckerei und Café lief vorerst gut. Es kamen Kunden, Wallfahrer zur Maria Melchtal, Kur- und Feriengäste oder Bergwanderer. «Angetan hatten es unserem Grossvater aber vor allem die Bauern aus dem Dorf, welche sonntags in die beiden Stübli zum Jassen kamen. Es spielte ihm keine Rolle, wenn einer nichts konsumierte, Hauptsache er jasste», erzählt Hermann Huwiler.

Doch mit dem Ersten Weltkrieg kam die Wirtschaftskrise. Die Gäste blieben aus. Öfter lag in der Ladenkasse abends bloss noch ein Fünfliber. Doch das Gottvertrauen der Grossmutter sei unerschütterlich gewesen, erinnern sich Ruedi und Hermann. Zuweilen sei schon am anderen Morgen ein Kunde erschienen, der seine Schulden beglich. Damals wurde ja meist noch «uifgschribä» und nicht bar bezahlt. Die säumigen Kunden hätten dann bei der Begleichung noch einen Sack Backwaren erhalten. «Emma Huwyler war eine herzensgute Frau, die auch noch das eigene Hemd hergegeben hätte», sagen ihre Enkel Ruedi und Hermann.

In diesen schweren Zeiten war Burkhard Huwyler sogar gezwungen, bei einem wohlhabenden Bauern Geld zu borgen. Als Gegenleistung musste er die damals nicht unübliche Zusage machen, dass der Kredit durch Arbeitsleistungen seiner Söhne beglichen würde.

Eine stramme Schar Soldatensöhne

Aus der 10-köpfigen Knabenschar wurden unternehmungslustige Männer, die sich in der damaligen Zeit gut zurechtfanden. Da sie alle im Zeitraum von nur 12 Jahren geboren worden waren, gelang 1938 ein Fotodokument, auf dem sich alle zehn im Militärgewand einem Fotografen stellten. «10 Söhne und alle wackeren Wehrmänner. Eine solch stramme Schar Soldatensöhne dürfte wohl einzigartig sein», schrieb auch eine Zeitung, die das Bild abdruckte, im zeitgeistigen Jargon.

Zwei der drei Töchter heirateten und zogen weg, die Dritte verblieb im elterlichen Betrieb. Die Söhne wählten fast ausschliesslich handwerkliche Berufe. Drei Schreiner, zwei Bäcker, ein Schuhmacher, ein Käser, ein Magaziner. Einer wurde Priester, einer Kapuzinerbruder. Es blieb aber nicht immer dabei. Der Schuhmacher begann in Melchtal mit Eisenwarenhandel und betrieb die erste und letzte Tankstelle. Später zog er nach Sarnen, von wo aus er schon bald die halbe Zentralschweiz mit Güllenrohren und -pumpen versorgte. «Seine Brüder sagten von ihm, er sei so geschäftstüchtig, dass er sogar dem Pfarrer bei der letzten Ölung noch eine Güllenpumpe verkaufen könne», sagt Hermann Huwiler und lacht. Das Gebäude in Sarnen, in dem sich das Geschäft befand, wurde übrigens erst kürzlich abgerissen.

1970 wurde «das Nest» verkauft

Einer der Brüder wurde Polizist und sorgte in Kerns als veritable Respektsperson für Ruhe und Ordnung. Ein anderer wurde Hotelier und führte über Jahrzehnte das Hotel Alpenhof. Allen sei – wie schon ihrem Vater – das Jassen wichtig gewesen. Und auch wenn der Bruder, der auswärts als Pfarrer arbeitete, mal zu Besuch kam, dann wurde im Alpenhof «gschälleled». Der Pfarrer sei dabei, wenn es ihm nicht lief, nicht gerade durch besonders frommes Verhalten aufgefallen, geben Ruedi und Hermann schmunzelnd eine weitere Familiengeschichte preis.

Lange hat die Familie die Dorfgeschichte mitgeprägt, heute hat sie sich allerdings in alle Himmelsrichtungen verstreut. Nur noch Ruedi und ein weiterer Cousin, sowie die hochbetagte Witwe eines der Söhne von Emma und Burkhard leben in Melchtal. Mit etwas Wehmut erzählen die beiden Brüder, dass es schon geschmerzt habe, als 1970 die Bäckerei «das Nest» von einem Cousin verkauft worden sei. Und mit dem Hotel Alpenhof wurde 2017 auch das letzte Objekt, in das die Familie in Melchtal involviert war, veräussert.

Kommentare (0)