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Obwalden

An der wilden grauen Donau

Romano Cuonz beschreibt in seinem« Ich meinti» nicht gerade erfreuliche Erlebnisse, die sich am Ende dann stark relativieren.
Romano Cuonz.

Romano Cuonz

Wie idyllisch man sich doch beim Planen seine Ferien ausmalt! Vor Augen hat man Bilder einer schön blauen und ruhig dahin fliessenden Donau. Ganz so, wie sie der berühmte Ohrwurmwalzer im Dreivierteltakt beschreibt. Ein komfortables Schiff gleitet an grünen Auen vorbei. Auf dem Weg zu königlich kaiserlichen Städten voll von Burgen, Musik und Romantik. Und die Velotouren durchs herrliche «Wachauerlandel» erst: Im Garten eines gemütlichen Gasthofs sieht man sich sitzen, ein Glas Wein oder ein Radler vor sich, die Sonne und die herrliche Landschaft geniessend. Ja, so wunderschön wird alles werden!

«Doch erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt!», soll Wilhelm Busch einmal gesagt haben. Wie Recht er doch hatte! Schon über Passau zeigt sich der Himmel grau verhangen. Und als wir aufs Schiff steigen, schüttet es wie aus Kübeln. Kalt und windig ist’s auch. Das soll sich nicht mehr gross ändern: weder in Bratislava noch in Budapest oder Wien. Und die viel gepriesene Donau wird eher zum Albtraum als zum Traum. Ganze Büsche und Bäume schiebt der Strom mit seinen grau und gewaltig fliessenden Wassermassen vor sich hin. Oft stossen die Totholzstämme nachts vor den Hauptdeck-Kojen an die Schiffswand, fährt einem der Schreck durch alle Glieder. Wenn unser Schiff in Budapest Brücken passiert, bleibt kaum ein Meter Zwischenraum. Vom Deck aus beobachten wir, wie auch die kleinen Ausflugsdampfer schwankend kaum gegen die Strömung vorwärtskommen.

Schöne Wörter gibt es genug: auch für hässliche Dinge! Und alles schönreden kann keiner besser als unser deutscher Reiseleiter. Amerikaner, Kanadier oder Australier, die jeder Wetterunbill trotzen und am Ende der Velotur durchfroren und klatschnass zum Schiff zurückehren, nennt er überschwänglich wahre Helden. Nicht einmal über die Duschen mit kaltem Wasser würden sie sich beschweren! Doch selbst das Heldentum kennt Grenzen. Als später klar wird, dass unser stoisch navigierender Kapitän, ein kettenrauchender Osteuropäer, mit dem überalterten, rauchenden und stampfenden Kahn (übrigens aus westeuropäischer Werft) den Zeitplan niemals einzuhalten vermag, verschlechtert sich die Stimmung. Ziemlich rapide sogar.

Zum Leidwesen aller wird nun selbst der Reiseleiter miesepetrig. Und wie sich der Traum der Gäste aus Übersee, einmal im Leben Wien zu sehen, auf nicht mal ganz zwei Stunden reduziert, verschwindet er geflissentlich von der Bildfläche. Einzig die Crew in Küche und Speisesaal – ohne Ausnahme unglaublich arbeitseifrige und stets aufgestellte Arbeitskräfte aus der Slowakei – sorgt jetzt noch dafür, dass die allgemeine Unzufriedenheit nicht eskaliert. Auf die Frage, wie man vom frühen Morgen bis nach Mitternacht durcharbeiten und bei Laune bleiben könne, meint der Barmann, halb Englisch, halb Deutsch: «In unserem Land bekommt man für noch härtere Arbeit noch viel weniger Lohn.»

Nach einer Woche voller Pleiten, Pech und Pannen gehen wir in Passau mit drei Stunden Verspätung – ohne Mittagessen mit knurrenden Mägen – von Bord. Nichts war, wie wir es uns vorgestellt haben. Doch wie wir die Radionachrichten hören, gibt’s nur noch ein Thema: In Budapest hat ein Donaukreuzer unter Schweizer Flagge bei hohem Wasserstand, starker Strömung und schlechter Sicht einen jener kleinen Ausflugsdampfer gerammt. Schon seien erste Todesopfer zu beklagen. Viele Menschen – Donautouristen wie wir – würden noch vermisst. Uns, die wir eben noch wegen der ins Wasser gefallenen Ferien gejammert haben, verschlägt es die Stimme. Plötzlich erscheint alles in ganz anderem Licht. Und wie ich die Sprache wieder finde, stelle ich betroffen fest: «Mängisch chleenäd mä uber syys groossä Päch und gwaared èrscht derna, as mä äigetlich nu oordäli Glick gha hed.»

Romano Cuonz, Journalist und Schriftsteller aus Sarnen, äussert sich an dieser Stelle abwechselnd mit anderen Autoren zu einem selbst gewählten Thema.

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