Marion Wannemacher
Urs Gander, Regionalsekretär der Syna Ob- und Nidwalden, ist die Zurückhaltung von Arbeitnehmern aus dem Pflegebereich gewohnt: «Es braucht viel, bis sich jemand aus dem Gesundheitswesen bei uns meldet und uns von Problemen berichtet.» Seine Kollegin Irene Darwich pflichtet ihm bei: «Angestellte sind eher zu mobilisieren, wenn die Behandlungsqualität ihrer Patienten leidet.» Die Leiterin Sektor Dienstleistung ist aus Olten angereist, um ein Referat zur Lage im Gesundheitswesen zu halten. Der Uhrzeiger rückt auf 20 Uhr vor, nur kommt keiner ins Centro.
«Vielleicht haben die Pflegekräfte in Ob- und Nidwalden die Brisanz noch nicht so erfasst, dass ihre Arbeitsbedingungen künftig auf dem Spiel stehen, Aktiengesellschaften gegründet werden und der Druck gross ist», mutmasst Gander. Dabei seien Pausen- und Ruhezeiten durchaus ein Thema in beiden Kantonen. «Geklagt wird nicht, wir wissen es», sagt er – und schon gar nicht von Teilzeitkräften. Viele fühlten sich in ihrer Situation allein, bestätigt Irene Darwich. «Uns ist es ein Anliegen, für sie eine Öffentlichkeit zu schaffen.»
Moralischer Stress durch Kostendruck
Mit der Einführung des Fallpauschalensystems im stationären Bereich habe die Politik einen Wettbewerb unter Spitälern und Anbietern von Dienstleistungen im Gesundheitsbereich auslösen wollen, um eine Vergleichbarkeit in der Finanzierung und Qualität zu erzielen. «Statt der gewünschten Effekte hat ein Wettrüsten unter den Spitälern um Auslastung und Spitzenmedizin eingesetzt», so Darwich. Das Fallpauschalensystem trage dem Grundsatz «ambulant vor stationär» nicht Rechnung, die Tarife für ambulante Leistungen seien zu tief. Eine schweizweite Untersuchung habe gezeigt, dass durch den Kostendruck der moralische Stress bei Pflegenden zugenommen habe. «Es besteht ein Dissens zwischen der persönlichen Motivation, eine gute Behandlungsqualität zu leisten, und den effektiven Möglichkeiten», erklärt die Vizepräsidentin der Syna.
Zunehmend ein Thema sei weniger qualifiziertes Personal. So würden beispielsweise Nachtdienste abgedeckt, indem nur eine Pflegefachfrau neben Fachfrauen Gesundheit für die ganze Abteilung verantwortlich sei. Auch setzten sich private Spitex-Anbieter durch, ergänzt Urs Gander. «Diese verfügen aber nicht über die gleichen Standards bei den Arbeitsbedingungen wie die gemeinnützigen Spitex-Organisationen.» Lange Abrufzeiten, lange unbezahlte Wege, aber nur kurze effektive Arbeitszeiten seien die Folge.
Eine Spitex-Angestellte habe ihn aus Sorge um eine Patientin aufgesucht, erzählt Urs Gander ein Beispiel aus der Praxis. «Sie musste medizinische Handlungen ausführen, für die sie nicht qualifiziert war.» Die Patientin sei inkontinent, die Pflege habe aber nur aus je einem Besuch am Morgen und einem am Abend bestanden. «Zuständig war die Gemeinde. Bis etwas geändert werden konnte, verging fast eine Woche, weil das Wochenende dazwischen lag», berichtet Gander.
Aus Pflegeheimen sei ihm das Problem der Belegungsdichte und des Mangels an Personal bekannt. Auch davon habe er in Nidwalden gehört: «Für jemanden wurde ein Geräteraum als Zimmer hergerichtet.»