Anian Heierli
Anian Heierli
Der Kanton Uri ist für grosse Teile Europas das Tor zum Süden. Seit der Eröffnung des Gotthard-Strassentunnels am 5. September 1980 ist die Zahl der Fahrzeuge stetig gestiegen. Heute passieren jährlich rund 5,5 Millionen Autos und fast 800'000 LKW den Tunnel, wie Zahlen des Bundesamts für Strassen (Astra) zeigen.
Entsprechend gross müsste die Schadstoffbelastung in der Luft sein. Dem ist aber nicht mehr so. Im Gegenteil: Die Zahl der schädlichen Stickoxide (NO2) geht seit Jahren deutlich zurück (siehe Grafik). Diese entstehen hauptsächlich durch fossile Brennstoffe in Motoren – kurz durch den Strassenverkehr. Doch seit 2016 wurde der kritische Wert von 30 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m3) im Jahresschnitt selbst von der Messstation direkt neben der A2 in Erstfeld nicht mehr überschritten. Ein Urner freut sich ganz besonders über diese Entwicklung. Niklas Joos-Widmer ist Leiter der Abteilung Immissionsschutz beim Amt für Umweltschutz. Der 44-Jährige erklärt im Interview, wie es um die Schadstoffbelastung im Kanton Uri steht.
Der Strassenverkehr nimmt zu, die Schadstoffbelastung sinkt. Weshalb?Niklas Joos-Widmer: Die Stickoxidwerte sind tatsächlich so tief wie noch nie, seitdem wir messen. Gerade der Schwerverkehr hat eine grosse Entwicklung hinter sich. 2015 wurde im EU-Raum für Fahrzeuge die Abgasnorm Euro 6 eingeführt, die eine deutlich strengere Emissionsgrenze festlegt. Und mittlerweile ist Euro 6 Standard. Viele Probleme von früher wurden mit technischen Massnahmen gelöst. In den 80er-Jahren beispielsweise war Schwefeldioxid (S02) ein grosses Thema. Denn das führte zu saurem Regen. Heute ist dieser Wert aber so tief, dass wir ihn gar nicht mehr aktiv messen.Nun gibt es noch weitere Werte, die kritisch sind. Wie steht es um die Feinstaubbelastung?Feinstaub ist prominent, da schädlich für die Gesundheit und somit relevant. Für uns ist hier die Herausforderung, was untersucht wird.
Es gibt die Messwerte PM10 und PM2,5. Also die Masse von Partikeln, die kleiner als 10 oder 2,5 Mikrometer sind. Wir halten uns an Bundesvorgaben und messen an den beiden fixen Stationen an der A2 in Altdorf und Erstfeld den Wert PM10. Es gibt aber Stimmen, die sagen, nicht die Masse, sondern die Anzahl ist entscheidend. Dieser Einwand hat seine Berechtigung, denn je kleiner Partikel sind, desto tiefer kommen sie in unsere Lunge. Viele kleine Partikel können deshalb gefährlicher sein als grosse. Doch auch hier hat der Verkehr grosse Fortschritte gemacht. Dieselmotoren und erste Benziner mit Direkteinspritzung haben heute Partikelfilter. Beim Feinstaub gibt es andere Hauptverursacher wie die Holzverbrennung.Hier besteht also Verbesserungspotenzial?Ja, aus meiner Sicht als Abteilungsleiter Immissionsschutz durchaus. Oft haben kleine Öfen und Feuerungen keine Filteranlage. Diese produzieren viel Feinstaub und Russpartikel. Das ist eine grosse Herausforderung, die es zu lösen gilt. Ich möchte nicht Ölheizungen promoten. Aber selbst eine gute Holzheizung belastet die Luft stärker als eine, die mit Öl läuft. Aber klar, man soll Holz als erneuerbare Energie nutzen. Nur schon wegen des Klimawandels. Wenn möglich jedoch in einer grossen Anlage mit entsprechender Abgasbehandlung. Zum Beispiel sehen wir beim Feinstaub während des Osterstaus auf der A2 kaum einen Einfluss auf die Messung. Aber wenn es im Kanton Uri brennt, kann es einen deutlichen Ausschlag geben.Haben Sie dazu ein konkretes Beispiel zu nennen?Drei Tage nach Ostern, also am 15. April 2020, brannte in Erstfeld eine Industriehalle. Und wir konnten über zwei Tage einen Anstieg der Feinstaubbelastung messen. Dieser war deutlich grösser als die durch den Verkehr verursachte Belastung zuvor an Ostern. Wobei gesagt werden muss, dass wegen Corona weniger Autos unterwegs waren.Die Pandemie veränderte also die Schadstoffbelastung in der Luft?Ja, über Ostern untersuchten wir den Einfluss der damaligen Coronamassnahmen an der Messstation in Erstfeld an der A2. Die Auswertung basiert jeweils auf einer Periode von fünf Tagen vor dem Ostersonntag sowie vier Tagen danach. Ausgewertet haben wir die Jahre 2016 bis 2020. In den Vorjahren gab es viel mehr Verkehr als 2020. Dementsprechend höher war auch die NO2-Belastung. Eine Ausnahme bildete lediglich 2019, weil der Föhn ging.Heisst, bei Föhn ist die Luft gesünder?Es ist tatsächlich so, dass Föhn die Stickoxide und den Feinstaub wegbläst. Dafür steigt der Ozongehalt, da der Fallwind Ozon aus höheren Schichten und vermutlich auch aus dem Tessin mitbringt. Gerade deshalb sollte man im Sommer an heissen Tagen, wenn der Föhn geht, nicht unbedingt draussen Joggen.In hohen Konzentrationen kann Ozon sogar zu Asthma führen.
Gibt es in Uri noch weiter Messstationen zur Schadstoffbelastung in der Luft als jene an der A2 in Erstfeld und Altdorf?Wir haben rund 30 weitere kleine Messgeräte im Einsatz. Diese sogenannten Passivsammler geben uns einen Wert über zwei Wochen. Sie erlauben uns, an einem Ort genauer hinzuschauen. Etwa in Bezug auf die Axenstrasse in Sisikon oder die Entwicklung im Urserntal. Nach der Realisierung wird das auch bei der West-Ost-Verbindung gemacht.Erkennt man damit, wenn zum Beispiel ein Landwirt illegal nasses Holz verbrennt?Nicht unmittelbar. Aber darauf haben wir ein Augenmerk. Bis vor ein paar Jahren durften Landwirte auf eigene Faust Holz verbrennen. Mittlerweile wurde aber ein Mottfeuer-Verbot eingeführt. Denn das langsame Verbrennen von nassem Holz generierte eine grosse Feinstaubbelastung. Hier fand erfreulicherweise ein grosses Umdenken statt. Oft ist es ein ökologischer Mehrwert, wenn das Holz liegen bleibt. Wir bewilligen aber Ausnahmen. Etwa nach einem Lawinenwinter, wenn viele Äste herumliegen. Oder wenn der Standort abgelegen ist und man das Holz dort nicht liegen lassen kann. Das Mottfeuer-Verbot brachte bilanzmässig einiges, wie auch die Feuerungskontrolle.Will heissen?Bei Cheminées, Holz- und Öl-Feuerungen sind heute Ascheproben oder Abgasmessungen Pflicht. Vorgeschrieben ist das in der Luftreinhalteverordnung. Seither gibt es immer weniger Beanstandungen für das Verbrennen von Karton, Abfall oder behandeltem Holz als noch vor Jahren. Untersucht werden die Proben im Laboratorium der Urkantone. Genommen werden diese vom Kaminfeger oder dem Feuerungskontrolleur. Beim ersten Verstoss wird man ermahnt, beim zweiten verzeigt. Das hat sicher eine abschreckende Wirkung.Jetzt verbrennen die Züricher ihren Böögg in der Schöllenen. Das ist schlecht, oder?(Lacht) Ich sage immer, einmalige Sachen sind vom lufthygienischen Standpunkt aus kein grosses Problem. Klar, auch Feuerwerke sind eine Belastung. Wir als Menschen und auch die Natur kommen damit recht gut klar – zumindest wenn es keine Regelmässigkeit gibt. Ich komme aber etwas in ein Dilemma, wenn wir den Bauern verbieten, draussen Mottfeuer zu machen. Für sie ist das schliesslich Arbeit. Aber gleichzeitig verbrennen wir etwas aus Spass.
Ich könnte es verstehen, wenn sich ein Landwirt darüber aufregt.
Was kann jeder im Kleinen tun, damit die Luftbelastung noch besser wird?Auf unnötige Autofahrten verzichten, auch wegen der C02-Belastung.
Diese sehen wir aber streng genommen nicht als Luftschadstoff, da CO2 für den Menschen ungefährlich ist. Der Klimawandel zwingt uns jedoch, den C02-Ausstoss massiv zu reduzieren. Zudem: kein nasses oder verunreinigtes Holz verbrennen. Das gilt fürs Grillen sowie fürs Heizen daheim. Wichtig ist auch, dass richtig gefeuert wird. Das Holz sollte heiss und mit viel Sauerstoff schnell verbrennen. Ich will aber niemandem die Grillsaison madig machen. Denn wer Holz richtig verbrennt, macht schon viel.