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Nidwalden

Zurück auf Feld 1

Franziska Ledergerber schreibt im «Ich meinti» über die Schwierigkeiten, eine Schoggi loszuwerden.
Franziska Ledergerber.

Im Dezember letzten Jahres besuchte ich im Kunstmuseum Luzern die Jahresausstellung 2018. Der Rundgang neigte sich dem Ende zu, da sah ich im zweitletzten Raum einige Lindor-Tafelschokoladen auf einem Tisch liegen. Auf jeder klebte ein Fünffrankenstück. «Zum Mitnehmen», stand da. Ich griff erfreut zu. «Die Schokolade müssen Sie einer Ihnen unbekannten Person schenken», hiess es weiter. Da zögerte ich kurz, steckte sie dann aber doch ein in der Meinung, jemand könnte sich vielleicht darüber freuen.

So verliess ich das Kunstmuseum, schlenderte durch den Bahnhof und konzentrierte mich auf Menschen mit diesem, sagen wir einmal, zielgerichtet suchenden Blick, dem man normalerweise ausweicht. Im Bahnhof herrschte ein emsiges Treiben. Die Leute eilten zielstrebig an mir vorbei, und niemand schien sich für irgendetwas anderes zu interessieren, als seinen Zug zu erreichen oder von einem eingefahrenen Zug her direkt dem Ausgang zuzustreben.

Alsdann spazierte ich weiter die Pilatusstrasse hoch bis zur Kantonalbank, schaute immer wieder dahin und dorthin. Soll ich diesen Mann da ansprechen oder doch besser jene Frau mit dem Hündchen? Soll ich die Schokolade einem Kind schenken? Gott bewahre, nein! Kinder dürfen doch keine Geschenke von unbekannten Personen entgegennehmen.

Zunehmend empfand ich diese Mission als schwierig und kümmerte mich deshalb nicht mehr weiter darum. Ich beschleunigte meinen Schritt und bog in die Hirschmattstrasse ein. Beim Kleintheater humpelte mir ein verhutzeltes Männlein entgegen. Das ist er, dachte ich unwillkürlich. Er hob seinen Blick und lächelte mich an. Dankbar hielt ich ihm die Schokolade mit dem Fünffrankenstück entgegen.

Das hätte ich nicht tun dürfen. Sein Lächeln wich einem verärgerten Gesichtsausdruck. Er hob beide Hände und sagte laut: «Nein, nein!», duckte sich und lief schnell davon. In diesem Moment hielt der Bus an. Ich stieg ein, zusammen mit den anderen Wartenden, die diese kleine Episode beobachtet hatten. Fast schon körperlich spürte ich ihre verstohlenen Blicke auf mir ruhen. Ich hätte vor Scham im Boden versinken mögen.

Der Schoggi schien es wohl zu sein in meiner Tasche und wurde von da an zum Problem. Zuhause deponierte ich sie hinter der Kaffeemaschine und vergass sie für eine Weile. Wir fuhren in die Weihnachtsferien, und als wir wieder zurückkehrten, war sie verschwunden. Schon wollte ich jubeln, aber da lächelte mir der Wilhelm Tell auf dem blitzblank polierten Fünfliber entgegen, als wollte er sagen: «Ein Familienmitglied hat zwar die Schoggi gegessen, aber mich wirst du nicht so schnell los.»

Ach, warum hat nicht eine fremde Person während unserer Abwesenheit das Haus aufgesucht und diese verdammte Schokolade mitsamt dem Willi mitgehen lassen, stöhnte ich fast schon ketzerisch, denn um keinen Preis wollte ich wieder eine mir unbekannte Person ansprechen. Als ich meiner Schwägerin diese Geschichte erzählte, brachte sie mich auf die beste Idee in diesem noch jungfräulichen Jahr: Ich packte das Fünffrankenstück und ein Klebeband in meine Tasche, kaufte eine Lindor, klebte das Geldstück drauf, ging zum Kunsthaus und schenkte es der Frau an der Kasse.

Zurück auf Feld eins, sozusagen – «aber gerne, mit Handkuss!»

Franziska Ledergerber, Hausfrau und ausgebildete Lehrerin, Hergiswil, äussert sich an dieser Stelle abwechselnd mit anderen Autoren zu einem selbst gewählten Thema.

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