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Nidwalden

Nidwalden will die Gämsen retten

Nidwaldner sind seit eh und je passionierte Gämsjäger. Nun aber braucht das alpine Klettertier dringend mehr Schutz vor ihnen. Die Jagdkommission will den Fokus in den nächsten Jahren vom Gams- hin aufs Rotwild wechseln.
Im Alpenraum gibt es immer weniger Gämsen. Nun werden sie auch in Nidwalden geschützt. (Bild: Romano Cuonz)
(Bild: Romano Cuonz)

Romano Cuonz

Romano Cuonz

«Dass die grazile Gämse in unserer Bergwelt erhalten bleibt, ist mir ein grosses Anliegen», sagt Karin Kayser. Die Nidwaldner Justiz- und Sicherheitsdirektorin weiss, wovon sie spricht. Als ausgebildete Ingenieurin für Obst-, Wein- und Gartenbau hat sie selber eine starke Bindung zur Natur. Ihr Bezug zur Jagd ist noch unmittelbarer. «Mit meinem Mann und zwei Söhnen habe ich gleich drei Jäger zu Hause, da wird viel diskutiert», sagt sie. Nur zu gut wisse sie, wie die Gämsjagd in Nidwalden auf eine lange und grosse Tradition zurückblicke.

Doch nun will die Jagdkommission – Karin Kayser präsidiert diese – die Jäger auf eine andere Spur lenken. «In den nächsten Jahren müssen sie ihren Fokus weg vom Gams- und hin aufs Rotwild richten», fordert sie. Dafür gibt es zwei Gründe: Einerseits sind die Gämsbestände in den letzten Jahrzehnten im gesamten Alpenbogen merkbar gesunken. Die Wildzählungen belegen dies auch für Nidwalden. Man kommt also nicht umhin, für dieses typische Tier unserer Bergwelt mehr Sorge zu tragen. Andererseits sind die Rotwildbestände in den gleichen Lebensräumen so stark angestiegen, dass man Schäden in Bannwäldern und auch in der Landwirtschaft beklagt. «Es muss also ein Umdenken stattfinden», sagt Kayser.

Im Klartext: Während das Nidwaldner Jagdgesetz bei der Rehjagd nichts ändert und auch weiterhin 21 Hirschstiere und 60 Kühe und Kälber zum Abschuss freigibt, wird die Gämsjagd limitiert (wir berichteten). Künftig dürfen Nidwaldner Jäger pro Jagd nur noch 65 Gämsen – wovon 23 Böcke – erlegen. Damit setzt Nidwalden – als letzter Urschweizer Kanton – die von Wildbiologen dringend empfohlene Schutzmassnahme um.

Nur eine Gämse pro Jäger

Dies trifft die Jäger hart. In Nidwalden darf man nämlich – je nach geradem oder ungeradem Jahrgang – nur jedes zweite Jahr zur Hochwildjagd gehen. Und künftig soll auch nur noch eine Gämse pro Jäger zum Abschuss frei sein. Bisher waren es zwei. «Mir ist klar, dass so nicht mehr all unsere Jäger auf ihre Rechnung kommen», sagt Karin Kayser. Als oberste Jagdverantwortliche betont sie: «Wir haben den Auftrag, Jagdvorschriften zu erlassen, die den Anforderungen der Wildbiologie und dem Schutz der gesamten Biodiversität gerecht werden.» Allfällige Gegner fordert sie auf, über den Tellerrand hinaus zu schauen.

Wer auf Bergwanderungen Gämsen in ihrem natürlichen Lebensraum begegnet, ist beeindruckt von ihren Kletterkünsten. Ein Tier, das in so schwierigem Terrain zurechtkommt, so denkt man, müsse ziemlich hart im Nehmen sein. Ein Trugschluss. Zu dieser Erkenntnis gelangt der Wildbiologe Markus Deissler. Zwar stellt er die Jagd nicht generell in Frage, doch brauche es viel Fingerspitzengefühl im Umgang mit der sensiblen Wildart. In der Fachzeitschrift «Schweizer Jäger» weist Deissler auf zahlreiche Konflikte und Probleme hin, mit denen Gämsen in der mehr und mehr vom Menschen dominierten Bergwelt konfrontiert sind. Da ist die Vielzahl an sportlichen Freizeitaktivitäten. Diese haben in den Alpen einen stetig wachsenden Tourismus ausgelöst. Wildtiere leiden darunter.

Namentlich Gleitschirme oder Deltasegler wirken für Gämsen wie riesige Adler und können sie mehrere Stunden von den Äsungsflächen in Deckung treiben. Noch ungünstiger wirkt sich gemäss Deissler der Wintersport aus. Gämsen würden aufgeschreckt und müssten in hohem Schnee eine anstrengende Flucht unternehmen, anstatt Energie zu sparen. «Die Lösung hierfür wäre eine strikte räumliche Trennung von Wildtieren und Sportlern», sagt Deissler. Das Wild brauche Ruhezonen. Ein wichtiger Faktor ist auch der Klimawandel, der die Vegetation und mit ihr die Viehwirtschaft Richtung Gipfel steigen lässt. Wo das Gamswild zuvor relativ sicher war, besteht nun eine vermehrte Ansteckungsgefahr für die Gamsräude oder die Gamsblindheit. Beide sind stark ansteckend und enden für das Tier häufig mit dem Tod.

Zuwachsrate ist eher klein

Schliesslich ist die Zuwachsrate bei Gämsen eher klein und der Verlust an Jungtieren gross. Deissler: «Um auch künftig gesunde Bestände an Gamswil erhalten und bejagen zu können, müssten wir mit ihrem Lebensraum sorgfältiger umgehen.» Nidwaldens oberster Jäger Werner Zumbühl bedauert: «Auch ich habe letztes Jahr wohl zum letzten Mal meine zwei Gämsen geschossen». Der Dallenwiler Wirt ist Präsident des Patentjägervereins und auch in der Jagdkommission redet er mit. «Am Stammtisch höre ich kontroverse Meinungen zu den neuen Vorschriften.» Wenn Jäger, gemäss ihrem Credo auch Heger sein wollten, müssten sie die neuen Vorschriften wohl oder übel akzeptieren. Dass jetzt – wie zu Zeiten des berüchtigten Gämswilderers Adolf Scheuber – wieder mehr gefrevelt wird, befürchtet Zumbühl nicht. Die meisten Jäger würden sich mit diesen Einschränkungen abfinden. Aus Vernunftgründen. «Auch wenn die Gamsjagd mehr unserem Wunschdenken entspricht, werden wir künftig vermehrt Rotwild bejagen, um die Bestände zu regulieren.»

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