notifications
Nidwalden

Leiterin von Pro Senectute Nidwalden: «Es rufen uns mehr Leute an, weil sie einsam sind und nicht mehr weiterwissen»

Corona macht viele Seniorinnen und Senioren in Zeiten von Corona noch einsamer, als sie zuvor schon waren. Was kann man dagegen tun? Brigitta Stocker, Geschäftsleiterin von Pro Senectute Nidwalden, hat ein paar gute Ideen für alle.
Die Möglichkeiten gegen Alterseinsamkeit in Zeiten von Corona sind unbegrenzt: Brigitta Stocker, Geschäftsleiterin von Pro Senectute Nidwalden. (Bild: Emanuel Wallimann)

Christian Hug

Während des Lockdowns im Frühling wurden alle Senioren ab 65 Jahre als Risikogruppe quasi in Quarantäne geschickt. Das ist jetzt nicht mehr so. Was hat man inzwischen gelernt?Evelyne Widmer-Schlumpf, die Stiftungsratspräsidentin der Pro Senectute Schweiz, hat sich im Sommer sehr dafür eingesetzt, dass die Risikogruppe nicht mehr einfach mit «über 65» definiert wird. Heute gelten vor allem Menschen mit Vorerkrankgungen als Risikogruppe, egal, wie alt sie sind. Man hat inzwischen auch gelernt, dass die Risiken einer Ansteckung für alle Menschen dieselben sind. Und dass Abstand die wichtigste Sicherheitsmassnahme bleibt.Was empfehlen Sie den Seniorinnen und Senioren während der zweiten Coronawelle?Dasselbe wie bei der ersten: Die Sicherheits- und Hygienemassnahmen jederzeit einhalten. Aber auch die vier L gegen die Einsamkeit, wie sie der Philosoph Ottfried Höffe für alte Leute definiert hat: laufen, lernen, lieben und lachen. Die sind jetzt besonders wichtig.Das Sozialleben ist wegen Corona drastisch eingeschränkt. Nimmt die Einsamkeit bei älteren Menschen zu?Ja, definitiv. Das merken wir auch bei unserer Arbeit für Pro Senectute. Viele Anlässe, vor allem Geselligkeitsanlässe wie die Tanz- und Spielnachmittage oder die Stubete können zurzeit nicht mehr durchgeführt werden. Manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben deshalb die letzten physischen Kontakte zu anderen Menschen verloren, die sie noch hatten. Vor zwei Wochen mussten wir unsere Aquafitness-Kurse absagen, das sind vierzehn Gruppen mit je zwölf Teilnehmenden, die wir alle angerufen haben. Da hörten wir viele spontane Reaktionen, wie wichtig dieser Kurs nur schon wegen der sozialen Kontakte geworden ist.Wenden sich deshalb mehr Seniorinnen und Senioren an die Pro Senectute?Ja. Es rufen uns merklich mehr Leute an, weil sie einsam sind und nicht mehr weiterwissen. Das ist sehr problematisch.Wie wirkt sich das auf die Betroffenen aus?Mit grossen Beeinträchtigungen der psychischen und der physischen Gesundheit. Die Betroffenen sind traurig, sie kommunizieren nicht, das Hirn und das Herz kriegen keine Nahrung mehr, man wird träge. Diese Entwicklungen sind bei allen einsamen Menschen zu beobachten.Zurzeit spricht man in den Medien vor allem darüber, dass Teenager und «Twens» in Scharen zu Psychiatern gehen. Sie können sich mit den Coronamassnahmen nicht abfinden. Alte Menschen gehen nicht zum Psychiater. Warum?Weil alte Menschen besser leiden können. Das Leben lernt die Menschen, Leid auszuhalten. Und ältere Menschen haben mehr Lebenserfahrung.Gibt es von Pro Senectute Angebote, die gegen die Einsamkeit wirken?Ja, die gibt es, schon seit Jahren. In Zeiten von Corona sind diese Angebote enorm wichtig geworden.Welche Angebote sind das?Neben der Sozialberatung zum Beispiel die Telefonkette: Das sind jeweils ein paar Teilnehmende, die regelmässig miteinander telefonieren. Der erste dem zweiten, der zweite dem dritten und so weiter und der letzte wieder dem ersten. Aus solchen Telefonketten haben sich über die Zeit viele Freundschaften entwickelt. Oder unser Besuchsdienst, bei dem wir Leute vermitteln, die über längere Zeit regelmässig alleinstehende Seniorinnen und Senioren besuchen. Oder die Drehscheibe, bei der Rentner alle Arten von Diensten und Erledigungen anbieten und suchen. Solche Angebote laufen jetzt natürlich immer unter Einhaltung der Coronaschutzmassnahmen.Darf man umgekehrt sagen: Wenn ihr Rentner einsam seid, dann müsst ihr auch selber die Initiative ergreifen?Natürlich darf man das sagen, aber nur bis zu einem gewissen Grad auch fordern. Denn da ist eben ein grosses Problem: Wir versuchen mit unseren Dienstleistungen auch die sogenannt Vulnerablen anzusprechen, also die psychisch verletzlichen Menschen. Aber das ist sehr schwierig, weil einerseits niemand seine Verletzlichkeit gerne zugibt und anderseits gerade diese Menschen Mühe haben, auf Leute zuzugehen oder gar Hilfe anzunehmen. Insbesondere bei den älteren Generationen ist diese Zurückhaltung ausgeprägt.Was also tun?Wir entwickeln viele Angebote, an denen man ohne Zugangshürden teilnehmen kann. Wir versuchen, an diese Personen heranzukommen, auch über andere Institutionen wie die Kirche oder Ärzte. Und wir vermitteln Personen, die sich engagieren und Kontakte zu Alleinstehenden aufbauen. Während des Lockdowns haben wir die Solidaritätsplattform aufgebaut. Aber da hat sich herausgestellt, dass es mehr Leute gibt, die helfen wollen, als solche, die Hilfe annehmen. Was zwar auch heissen kann, dass zum Beispiel Nachbarschaftshilfe gut funktioniert hat. Trotzdem sind heute mehr alte Menschen einsam als vor Corona.Was kann ich als Einzelner tun?Wenn Sie wissen, dass Frau Meier im vierten Stock eine alleinstehende Seniorin ist: Warum nicht einfach mal bei Frau Meier klingeln und fragen, ob man ihr etwas zuliebe tun kann? Oder warum nicht einfach mal die Frau Meier zu sich zum Kaffee einladen? Solche Initiativen sind sogar mit Gesichtsmaske und Abstand wohltuend.Schöne Idee ...Ja, das klingt einfach: Tragt Sorge zueinander in diesen schwierigen Zeiten. Vor allem in der kommenden Advents- und Weihnachtszeit. Manchmal muss man sich zwar einen kleinen Schupf geben, bei Frau Meier im vierten Stock Kontakt zu klingeln. Und Corona macht es uns nicht einfacher. Handkehrum kann man wegen der Schutzmassnahmen erst recht gute Ideen entwickeln: Ein Haus-Adventssingen im Freien? Oder der Frau Meier im vierten Stock ein Ständchen bringen? Ein Kafi auf dem Balkon? Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.Sie sprechen die Weihnachtszeit an. Da fühlen sich einsame Menschen besonders einsam. Wie können sich Betroffene auf diese Zeit vorbereiten?Wie gesagt gilt die Sache mit dem Ergreifen der Initiative auch umgekehrt. Frau Meier kann ja mal bei Herrn Huber im dritten Stock klingeln und ihn zum Kaffee einladen. Oder ihn bitten, die Wäsche hochzutragen. Oder mehr telefonieren. Auch hier sind die Möglichkeiten unbeschränkt. Wichtig ist: Hend enand Sorg!
Kommentare (0)