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Nidwalden

Als es in Nidwalden Gefängnis für Most-Abgabe an Soldaten gab

Der Historische Verein gibt ein bemerkenswertes Buch heraus: Nidwalden im Ersten Weltkrieg. Pünktlich zum Gedenken an den Waffenstillstand fand die Vernissage im alten Zeughaus statt.
Historiker Marco Jorio im Gespräch mit Brigitt Flüeler vom Historischen Verein Nidwalden. (Bild: Romano Cuonz (Stans, 11. November 2018))

Romano Cuonz

Am 26. Juni 1915 marschierte die Nidwaldner Schützenkompanie II/4 in Stansstad ein. Die Soldaten hatten Durst. Da stand der Stanser Schmied Gottlieb Scheuber am Strassenrand und bot den Soldaten – ob provokativ oder aus purem Mitleid lässt sich heute kaum mehr eruieren – aus einem Eimer Most an. Unter Offizieren war Scheuber als «Militärbeschimpfer» bekannt. Als sein Widersacher, der drakonische und bei Soldaten unbeliebte Kommandant Arnold Deschwanden, von seinem Pferd aus eingriff, soll Scheuber ihm zugerufen haben: «Das gaht di nüd a, du grossartige drübändlete Chäib.» Das Fazit: Scheuber kassierte wegen Verletzung der Offiziersehre zwei Monate Haft im Aarauer Bezirksgefängnis.

Aufgeheizte Stimmung vor hundert Jahren

Diese Geschichte, die Scheubers Enkel Peter Steiner, Jurist und früherer Grüne-Landrat, recherchiert hat, wird im eben herausgegebenen Buch «Nidwalden im Ersten Weltkrieg» spannend erzählt. Herausgeber ist der Historische Verein Nidwalden. Die Geschichte, obgleich sie nur einen kleinen Aspekt beleuchtet, ist ein überaus typisches Beispiel für die aufgeheizte Stimmung und die vielen Konflikte, die 1918 auch in Nidwalden herrschten.

Die Rolle der Schweiz bisher wenig beleuchtet

«Heute vor 100 Jahren ist die Welt aus den Fugen geraten», hielt Brigitt Flüeler als Vereinspräsidentin an der Buchvernissage fest. Diese fand sinnigerweise bei einem Glas Most und «Kriegspolentakuchen» im alten Zeughaus in Wil/Oberdorf statt. Flüeler nannte drei Ereignisse, die vor genau 100 Jahren bewegt hatten: der Waffenstillstand im Ersten Weltkrieg, die Ankündigung des unbefristeten Generalstreiks in der Schweiz und – für Nidwalden besonders tragisch – der Grippetod von elf Soldaten im Dienst des Bundesrats gegen, wie es damals hiess, «den revolutionären Aufruhr!»

«Über die Schweiz im Ersten Weltkrieg weiss man immer noch wenig», stellte Brigitt Flüeler fest. Das spannend zu lesende Werk soll mithelfen, diese Lücke zu schliessen. Nicht weniger als zwölf Autorinnen und Autoren geben in elf interessanten Beiträgen Antworten auf eine ganze Reihe von bislang offenen Fragen zur Geschichte Nidwaldens im Ersten Weltkrieg. Der Historiker Roman Rossfeld, er hatte die wissenschaftliche Beratung inne, lobt das Unterfangen: «Die Beiträge tragen zu einer Vertiefung und Ausdifferenzierung der bestehenden Forschung bei.»

Nidwaldner waren von der Skischule angetan

Unter dem Titel «Urwüchsig Schweizerholz» beschreibt Marco Jorio, Chefredaktor des Historischen Lexikons der Schweiz, Nidwaldens Soldaten im Ersten Weltkrieg. Dabei macht er viele frappierende Feststellungen: etwa, dass bei den Nidwaldnern der von General Wille angeordnete tägliche «geisttötende» preussisch inspirierte Drill verhasst war. Umgekehrt schätzten sie nützliche Tätigkeiten wie die tagelange Skischule. Damals konnten nur gerade elf Wehrmänner Ski fahren.

Zivile Konflikte schlugen oft ins Militär durch. Der damalige Militärdirektor Adalbert Wymann, der sich fast rührend um seine Truppen kümmerte, bezahlte seinen Einsatz mit der Abwahl an der Landsgemeinde 1919. Von über 700 während des Generalstreiks aufgebotenen 47er-Soldaten erkrankte die Hälfte an Grippe. Elf starben. Im «Volksblatt» wurden sie «als mannhafte Retter vor schwerem, drohendem Unheil» gefeiert. Jorio bilanzierte: «So endete der Aktivdienst 1914 bis 1918 in einer Stimmung des Zorns, der Trauer und der gegenseitigen Beschuldigungen.»

Lage auf dem Land besser als in den Städten

Die stellvertretende Staatsarchivarin Karin Schleifer beantwortete etwa die Frage, warum der Landesstreik in Nidwalden nicht stattfand. «Im landwirtschaftlich geprägten Kanton herrschten teils bessere Lebensumstände als in den Städten, wo Fabrikarbeiter oft in Not lebten», erläuterte sie. Zwar habe es auch in Nidwalden Missstände gegeben, doch seien die Arbeiter hier duldsamer gewesen. Und Karin Schleifer illustrierte sehr anschaulich, wie die katholisch konservative Führungsschicht aus Angst vor Sozialdemokraten mit Arbeitervereinen, Krankenkassen und eigenen Gewerkschaften Verbesserungen innerhalb des herrschenden Systems schufen. «Nidwalden im Ersten Weltkrieg»: ein Buch, das man mit ständig wachsendem Staunen liest.

«Nidwalden im Ersten Weltkrieg». Herausgeber: Historischer Verein Nidwalden. Erhältlich auch im Buchhandel zum Preis von 65 Franken.

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