Alexander von Däniken
Ein Klick reicht: Ein Angestellter öffnet am Büro-PC einen Mailanhang, wodurch sich ein Programm ins Firmennetzwerk einnistet und dort alle Daten verschlüsselt. Später bieten anonyme Kriminelle den Schlüssel zur Freigabe der Daten an – gegen ein Entgelt in Kryptowährung. Ein Klick reicht: Eine Privatperson bestellt über eine Online-Plattform gebrauchte Elektronik, bezahlt und erhält nichts.
Solche und ähnliche Fälle sind mittlerweile normal, dürften in Coronazeiten sogar noch zugenommen haben. Zwischen der ersten und der zweiten Welle, im Juni des letzten Jahres, sind bei der Luzerner Staatsanwaltschaft vier Staatsanwälte vereidigt worden. Wovon sich zwei Staatsanwältinnen und ein Staatsanwalt um die Bekämpfung der Internetkriminalität kümmern sollen. Ihnen stehen zwei Staatsanwaltsassistentinnen zur Seite. Seit dem 1. Juli sind die Spezialisten im Einsatz. Oberstaatsanwalt Daniel Burri hat diese Experten vehement eingefordert, um diese Form der Kriminalität rechtzeitig zu bekämpfen. Burris Befürchtung: Rüstet Luzern im Kampf gegen die Internetkriminalität nicht auf, wird der Kanton von ihr überrollt.
Aufrüstung zur richtigen Zeit
Daniel Burri bezeichnet den Zeitpunkt der Aufrüstung als ideal gewählt. Schliesslich befeuert die Pandemie Homeoffice, Online-Einkäufe und den Gebrauch von Kreditkarten. Und steigert darum auch die Möglichkeiten des Missbrauchs. Wie sich Corona konkret auf die Kriminalität im letzten Jahr ausgewirkt hat, wird die Staatsanwaltschaft übernächste Woche anlässlich der Präsentation des Jahresberichts mitteilen. Weil die Cyber-Staatsanwälte wegen der bisher kurzen Einsatzzeit kaum ein Thema sein werden, hat unsere Zeitung um eine separate Zwischenbilanz gebeten. «Ich bin sehr zufrieden», sagt Daniel Burri.
«Wir haben in relativ kurzer Zeit viel erreicht und geschafft.»
Zu den aktuellen Fällen kann der Oberstaatsanwalt mit Verweis auf die laufenden Verfahren nur wenig sagen. Nur so viel: Das Spezialistenteam hat bis jetzt 631 Delikte bearbeitet. 403 dieser Delikte betreffen zwei grosse Fälle. Diese sollten noch diesen Frühling beim Gericht angeklagt werden. In einem Fall geht es um gewerbsmässigen Bestellbetrug, im anderen Fall um gewerbsmässigen betrügerischen Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage mit einer Kreditkarte. Insgesamt sind es drei Täter, die mehrere hundert Personen geschädigt haben.
Enge Zusammenarbeit mit Ermittlern und Forensikern der Polizei
Hinter den kommenden Anklagen steht Teamarbeit, betont Daniel Burri. An einem Fall hätten nebst einem Cyber-Staatsanwalt und einer Staatsanwaltsassistentin zwei spezialisierte Ermittler der Luzerner Polizei und zwei IT-Forensiker gearbeitet. Die Rollen seien klar verteilt. Die Polizisten ermitteln an der Front, während der Staatsanwalt den Fall führt und über die nötigen Beweiserhebungen entscheidet: Verfügungen erlassen oder Rechtshilfeersuchen an das Ausland stellen zum Beispiel.
Die Ermittlungsmethoden im analogen wie im digitalen Leben gleichen sich. Die Polizei braucht für das Aushorchen eines verdächtigen Netzwerks genauso eine richterliche Bewilligung wie für das Abhören eines Telefons. Und für das Durchforsten von Festplatten braucht es ebenso eine staatsanwaltschaftliche Verfügung wie für eine Hausdurchsuchung. Vor allem der Kontakt mit den ausländischen Behörden oder Firmen sei «sehr aufwendig» und könne die Untersuchung zeitlich stark verzögern.
An schweizweiter Fallübersicht mitgearbeitet
Genau für solche Kontakte mit dem Ausland, aber auch für andere Ermittlungsinstrumente, hat die Luzerner Staatsanwaltschaft in den letzten Monaten zusammen mit anderen Schweizer Behörden Standards entwickelt. Daniel Burri sagt:
«Es ist ganz entscheidend, dass wir in der Schweiz trotz der kantonal organisierten Staatsanwaltschaften dieselbe Sprache sprechen.»
Ein Resultat dieser Zusammenarbeit ist eine schweizweite Cyber-Fallübersichtsliste, um Doppelspurigkeiten zu verhindern, aber auch Gemeinsamkeiten festzustellen oder um voneinander zu lernen.
Das Wissen wird nicht nur kantonsübergreifend geteilt, sondern auch teamintern, sagt Burri weiter. So konnte bereits ein Cyber-Staatsanwalt eine spezifische Weiterbildung an der Hochschule Luzern abschliessen, worauf er die Unterlagen den Teammitgliedern zum Selbststudium weiterreichte. «Weiterbildungen sind generell sehr wichtig, aber im Zusammenhang mit Internetkriminalität natürlich existenziell. Um Erfolg zu haben, müssen wir auf dem aktuellsten Stand sein», sagt Burri.
Trotz des schnellen Starts der Spezialisten, wozu auch zwei zusätzliche Staatsanwaltsassistentinnen gehören, dürften keine Wunder erwartet werden. Ein grosses Problem ist der starke Anstieg an Internetdelikten. Hier hat der Oberstaatsanwalt eine Deliktgrenze definiert, ab der die Spezialisten aktiv werden sollen. Wegen Deliktsbeträgen unter 200 Franken nimmt die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen auf. Eine Anzeige zu erstatten, kann sich laut Burri trotzdem lohnen. «Wenn sich mehrere Anzeigen auf dieselbe Täterschaft beziehen, kann eine grosse Deliktsumme zusammenkommen.»