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Streit um Behandlung

Mutter zeigte Luzerner Kantonsspital an: «Ich vergifte doch meinen Sohn nicht!»

Um eine Krankheit vorzutäuschen, soll eine Mutter aus dem Kanton Luzern ihren eigenen Sohn mutwillig vergiftet haben. Gemacht wurde dieser Vorwurf, so die Mutter, von den behandelnden Ärzten des Luzerner Kinderspitals KISPI. Die Mutter zeigte das Spital an. Die Staatsanwaltschaft stellte die Strafuntersuchung am Ende jedoch ein.

Das Luzerner Kantonsspital LUKS sah sich mit einer Klage konfrontiert.
Bild: Bild: Patrick Hürlimann (Luzern, 24. Mai 2022)

Vor knapp einem Jahr beobachteten besorgte Eltern aus Menznau, wie ihr Sohn Luca* immer schwächer und schwächer wurde. Luca leidet seit seiner Geburt an einer chronischen Krankheit. Unter anderem kam er mit vier Nieren auf die Welt. Nach Angaben der Mutter verschlechterte sich sein Zustand im Herbst 2021 drastisch. Luca litt unter dauernder Müdigkeit, die sich von Tag zu Tag stärker bemerkbar machte. Sandra sagt im Gespräch mit PilatusToday :

«Als er eines Tages dann die Treppe herunterfiel, war mir klar, wir müssen sofort handeln.»

Der Hausarzt und die Familie hätten all ihre Möglichkeiten ausgeschöpft und wussten nicht mehr, wie sie ihm weiterhelfen konnten. «Wir gingen dann schleunigst zum KISPI mit der Hoffnung, dass unser Sohn möglichst rasch die richtigen Behandlungen erhält.»

Angespanntes Klima zwischen Familie und Ärzten

Es ist der Anfang einer verbitterten Geschichte zwischen der Patientenfamilie und dem Luzerner Kinderspital. Wie Sandra berichtet, wurde auch nach mehrmaligen Untersuchungen keine für die Familie zufriedenstellende Diagnose gefunden. «Luca ging es immer schlechter, es war überhaupt kein Weg zur Besserung in Sicht», meint sie.

Das Klima zwischen den beiden Parteien wurde in der Folge angespannter. «Die Ärzte haben unseres Erachtens schlicht und einfach nicht die zielführenden Untersuchungen in die Wege geleitet. Umso länger dies ging, desto frustrierter waren wir», fasst die Mutter zusammen.

Und auch die Ärzte hätten zunehmend die Geduld verloren. Die Beziehung und die Gangart sei stetig gehässiger geworden. Sandra erzählt:

«Beide Parteien haben sich mehrfach im Ton vergriffen. Dazu stehe ich im Nachhinein. Ich hatte einfach Angst um meinen Sohn.»

Im Frühling 2022, kurz vor dem 14. Geburtstag von Luca, sei das Fass dann buchstäblich übergelaufen. «Die Ärzte warfen mir vor, dass ich meinen Sohn mutwillig vergiftet haben soll, um so eine Krankheit vorzutäuschen», erzählt Sandra.

Das Tischtuch sei dadurch endgültig zerschnitten. «Ich vergifte doch meinen Sohn nicht!», meint sie enerviert. Die Staatsanwaltschaft hielt in ihrem Entscheid später fest, dass die Ärzte gemäss eigenen Aussagen lediglich darauf hinweisen wollten, dass die durch die Eltern initiierte Behandlung falsch sei und dem Kind schade, weil es dadurch vergiftet werden könnte. Es gäbe keine sachlichen Hinweise, die darauf hindeuten, dass die Ärzte die Mutter in irgendeiner Weise schmälern wollten.

War Luca weniger krank, als von der Mutter berichtet?

Das Kinderspital hat dann die KESB benachrichtigt, die folglich Untersuchungen in die Wege leitete. Das Schreiben sei eines Tages eingetroffen, zu einem Zeitpunkt, an dem es bei Luca wieder bergauf zu gehen schien. «Das Schreiben erschütterte uns ein weiteres Mal in unseren Grundmauern.» Zudem wurde der Mutter vorgeworfen, sie leide unter dem sogenannten «Münchhausen-by-proxy Syndrom». Ein harter Vorwurf.

«Das hat mich ebenfalls zutiefst getroffen und wurde mir ohne jegliche Abklärungen seitens des Spitales vorgeworfen.»

Die Mutter überreichte der Redaktion von PilatusToday viele Akten mit protokollierten Gesprächen und Diagnosen. Unter anderem folgende Aussagen wurden schriftlich verfasst: «Die Kindesmutter wirkt stark besorgt um Luca und ambivalent gegenüber dem Spitalteam.

Münchhausen-by-proxy-Syndrom

beim Münchhausen-by-proxy-Syndrom handelt es sich um eine subtile Form der Kindesmisshandlung. Physisch gesunde Personen täuschen bei anderen Menschen, häufig dem eigenen Kind, Krankheiten vor oder führen sie bewusst herbei, um anschliessend eine medizinische Behandlung verlangen zu können. Das Syndrom beschreibt zum fast ausschliesslichen Teil Frauen, zu 90 Prozent Mütter. Die Frauen fallen vorwiegend als gute Mütter auf, die ihre Kinder überfürsorglich und beschützerisch umgarnen. Benannt ist das Münchhausen-Syndrom nach Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen, dem sogenannten Lügenbaron. (Quelle: DocCheck Flexikon)

Sie wirkt misstrauisch im Gespräch mit der Psychologin und den Ärzten.» Auch zu lesen: «In mehreren interdisziplinären Gesprächen mit den Kindeseltern wurde versucht, die einseitig somatische Sichtweise der Kindeseltern zu thematisieren. Während der Hospitalisierung konnte festgehalten werden, dass Luca in Anwesenheit der Kindesmutter über mehr Symptome berichtete.»

Unter der Rubrik Diagnosen wurde dann auch der Verdacht auf «elterliche Überfürsorge» und «ernsthafte soziale Beeinträchtigung» geäussert.

«Aufgrund der Gesamtsituation muss als Differentialdiagnose ein Münchhausen-by-proxy-Syndrom in Betracht gezogen werden, weshalb seitens Kinderspital eine Meldung an die KESB erfolgen wird.»

Vom Vorwurf der Vergiftung ist jedoch in den vorliegenden Unterlagen nichts zu lesen. Dieser sei, so die Mutter, mündlich gemacht worden.

Anderes Spital fand schnell eine Diagnose

Das Luzerner Kantonsspital LUKS liess auf Anfrage via Anwalt mitteilen, dass aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes aller Beteiligten, solche Fälle nicht in den Medien kommentiert würden. «Bei unterschiedlichen Wahrnehmungen über Art und Inhalt von Behandlungen versucht das LUKS, diese im Interesse der Beteiligten mit ihnen direkt zu klären», schreibt der Anwalt.

Der Kinder- und Jugendschutz gehöre zum Kernauftrag des Kinderspitals am LUKS. «Eine interdisziplinäre Kinderschutzgruppe mit Fachleuten aus Pädiatrie, Kinderchirurgie, Kinderpsychiatrie usw. hat die Aufgabe, die Vernachlässigung oder Gewalt jedweder Art früh zu erkennen, welche das Wohlergeben eines Kindes oder eines Jugendlichen beeinträchtigen.»

Würde die Kinderschutzgruppe nach sorgfältiger Abwägung zum Schutz des Kindes es als notwendig erachten, mache sie eine Gefährdungsmeldung an die KESB. Die betroffenen Personen würden darüber informiert. Konkreter werde sich das LUKS jedoch öffentlich nicht über den Fall Luca äussern.

Die Eltern von Luca haben sich im Frühsommer entschieden, eine Zweitmeinung einzuholen. «Luca wird nun im Universitätsspital Basel hervorragend betreut», erklärt Sandra. Ihr Sohn hätte rasch eine Diagnose und die richtigen, wirksamen Medikamente erhalten. Es wurde Idiopathische Hypersomnie diagnostiziert – eine seltene Schlafkrankheit. «Eine Diagnose, die auch das Spital in Luzern problemlos hätte machen können», fügt die Mutter an.

Ein Abklärungsergebniss «wie ein Freispruch»

Die KESB hat nach monatelangen Untersuchungen den Fall Luca ad acta gelegt. «Aufgrund der Abklärungsergebnisse kann zusammenfassend festgehalten werden, dass keine Kindswohlgefährdung vorliegt», steht im dazugehörigen schriftlichen Entscheid der KESB. Sandra meint:

«Das fühlte sich für uns wie ein Freispruch an.»

So gut es Luca mittlerweile auch gehe, tiefeinschneidende Narben seien geblieben. Sandra hat deshalb im April 2022 eine Anzeige gegen die Verantwortlichen des KISPI eingereicht. Vorwurf: Unterlassene Hilfeleistung und Ehrverletzungsdelikte. Die Staatsanwaltschaft prüfte die Anzeige, stellte dann aber in Aussicht, dass sie das Verfahren einstellt. Das dazugehörige Schreiben, welches uns die Mutter vorgelegt hat, begründet die Einstellungsverfügung damit, dass keine Straftatbestände erfüllt seien.

Sandra wurde aber aufgefordert, allfällige Beweisanträge einzureichen. Sie erhob gegen den Vorentscheid Einsprache. «Fakt ist, wird das Verfahren eingestellt, erhält das LUKS die Kompetenz seitens der Staatsanwaltschaft, auch zukünftig unwahre Anschuldigungen zu machen gegen Personen, die zu viele Fragen stellen», begründete Sandra ihre Einsprache. Die Staatsanwaltschaft ging nicht darauf ein.

«Keine Nerven und Geld, um weiter zu prozessieren»

Im definitiven Entscheid begründete die Staatsanwaltschaft den Entscheid damit, dass es sich aufgrund des fehlenden Beweises des Gegenteils um keine Ehrverletzung im strafrechtlichen Sinn handle. «Das Spitalpersonal glaubte an die Wahrheit seiner Äusserung und verwendet den psychiatrischen Fachausdruck im wissenschaftlichen Sinn», steht in der Einstellungsverfügung.

In der Einstellungsverfügung heisst es zudem, dass die Gefährdungsmeldung des LUKS an die KESB gerechtfertigt gewesen und der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung offensichtlich nicht erfüllt sei.

Gegen die Einstellungsverfügung wehrte sich Sandra nicht mehr. «Ich habe keine Nerven und Geld, um weiter zu prozessieren», erklärt sie. Mit einem privaten Brief an alle beteiligten Personen, versuche sie nun ein letztes Mal, eine Entschuldigung seitens KISPI zu erhalten.

«Und dann will ich endgültig einen Schlussstrich unter die Geschichte ziehen.»

*Namen von der Redaktion geändert

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