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Oberwil bei Zug

«Musikalische Feierstunde»: Eine Messe und ihre Zeitgenossenschaft

Endlich durfte die traditionelle «Musikalische Feierstunde» des Chors Bruder Klaus Oberwil wieder zum Jahresbeginn stattfinden. Klänge aus der Romantik waren angesagt: Die damalige Zeit war ähnlich unruhig wie die heutige.

Die jährliche «Musikalische Feierstunde» des Chors Bruder Klaus in der Pfarrkirche Oberwil ist stets ein Grossereignis. Die Kirche war bis auf die letzten Plätze besetzt.
Bild: Bild: Maria Schmid (Oberwil, 8. Januar 2023)

Dass der erfahrene Leiter und Dirigent des Chors Bruder Klaus, Armon Caviezel, für die diesjährige Ausgabe der «Musikalischen Feierstunde» in der Kirche Oberwil geistliche Musik aus der Romantik ausgewählt hatte, mag wohl nicht zufällig sein: Sie wirkte wie ein musikalischer Kommentar zu den globalen Katastrophen der letzten drei Jahre.

Denn Michael Haydn, Felix Mendelssohn, Franz Schubert, der Pole Teofil Klonowski und Carl Maria von Weber lebten zu Beginn des 19. Jahrhunderts in ähnlich bedrohten Zeiten, und ihre Musik spiegelte dies – wie das Konzert demonstrierte. Ein Konzert mit grossem Chor, Ad-hoc-Orchester, vier Vokal- und zwei Instrumental-Solisten.

In seiner kurzen Einführung wies Stadtpfarrer Reto Kaufmann darauf hin, dass das Highlight des Abends – die sogenannte «Jubelmesse» in G-Dur – um 1818 geschrieben wurde, als sein Schöpfer Carl Maria von Weber selbst mit gesundheitlichen Problemen (Tuberkulose) und beruflichen Zurücksetzungen zu kämpfen hatte. Und trotzdem der Jubel. Denn im Privaten gab es etwas sehr Helles: Von Weber hatte 1817 gerade seine grosse Liebe, die Sopranistin Caroline Brandt, geheiratet.

Naturkatastrophen und politische Desaster

«Eintauchen in die Musik trotz Sorgen» mag auch das Lebensgefühl des Auftraggebers, Friedrich August I. von Sachsen, gewesen sein. Während der verheerenden napoleonischen Kriege gefangengesetzt, beim Verschachern Europas am Wiener Kongress übergangen, kehrte er in 1815 in sein Land zurück, wo 1816 infolge des gewaltigsten Vulkanausbruchs historischer Zeit (des Tambura in Indonesien) rund um den Globus das «Jahr ohne Sommer» mit tödlichen Hungersnöten anbrach. Kriegerische, politische, ökologische Desaster – wie heute auch. Aber die Erfüllung im Privaten: Die «Jubelmesse» gab der König in Auftrag, um 1819 seine 50-jährige glückliche Ehe mit Maria Amalie Auguste zu feiern.

Diese Spannung zwischen Verderben, Heimsuchung, Abgründen, Verwirrungen einerseits, Innerlichkeit, Sensibilität, Gefühl und «Seele» andrerseits – das ist Romantik. Widergespiegelt auch in der geistlichen Musik der Zeit. In der am Sonntag in Oberwil erklingenden «Jubelmesse» wurde dies hörbar aktualisiert.

Der Ablauf folgte dem Ordinarium der katholischen Messe. Gleich zu Beginn, im Kyrie, grosse Tuttis mit jubelndem Chor. Die Stimmen der Gesangssolisten passten – wie extra ausgewählt – zum Gefühlsfeuer der Romantik, allen voran das beinahe tremolierende Organ der Sopranistin Nuria Richner. Aber auch das dunkle, warme Vibrato der Altistin Mirjam Blessing, ebenso wie der dramatische Tenor Simon Witzigs und der Seelenton des Bassisten Jonathan Prelicz.

Der Chor wird jeweils um ein Ad-hoc-Orchester und Instrumental- sowie Gesangssolistinnen und -solisten erweitert.
Bild: Bild: Maria Schmid (Oberwil, 8. Januar 2023)

Der Schwung des Gloria-Lobes ging im Credo gleich weiter. Dort feierte der Sopran ein langes, fast arienhaftes Solo, in dem die Musik plötzlich anhielt, stark modulierte und zum schweren Leiden des «Crucifixus» führte; der Tenor übernahm es und verkündete es gleichsam lauthals: Gekreuzigt! Das «Passus» (gestorben) war dann ein Aufschrei, und das «Sepultus» (begraben) verzweifelte Trauer. Die Passion Christi als Leiden der Welt: wunderbar komponiert, eindrucksvoll gesungen.

Mit dem «Resurrexit» (auferstanden) setzte der Chor wieder ein, strahlend, mit Pauken und Trompeten. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt: Das «Benedictus» verbreitete eine Stimmung des Gesegnetseins, mit schönem Alt-Bass-Duett; und alle vier Stimmen samt Vokalisten und Instrumentalisten baten im Agnus Dei um Vergebung und Frieden. Eine aktuelle Bitte.

Kurzer Gedankenexkurs in die Ukraine

In den fünf Liedern, die der Jubelmesse vorausgingen, konnte der Chor seine Qualität zeigen, vor allem in den A-cappella-Stücken. «Gaude mater Polonia» von Teofil Klonowski, basierend auf einer im Mittelalter populären polnischen Hymne, liess die Gedanken für einen Moment zum kriegsversehrten Nachbarland Ukraine wandern.

«Hebe deine Augen auf» von Mendelssohn aus seinem Oratorium «Elias», nur von Frauen gesungen und daher auch «Engelsstimmen» genannt, bat um Hilfe von oben, von den Bergen herab. Und assoziierte gleichzeitig – für uns Heutige – die Wichtigkeit weiblicher Teilhabe.

Zwei Blasinstrumente standen solistisch im Vordergrund: die Klarinette von Nicola Katz in Schuberts «Domine, non sum dignum» – samtig und seelenvoll. Und Ramon Imlig im Startstück des Konzerts, Michael Haydns Concerto in D für Horn und Orchester: rauer, waldiger, nicht minder ausdrucksvoll, mit virtuosen Kadenzen.

Das Publikum, das die Kirche zum Bersten gefüllt hatte, dankte mit stehendem Applaus.

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