notifications
Luzern

Mit der Bevölkerung bauen: Was Luzern in Sachen «Partizipation» von Österreich lernen kann

Wo Neues entsteht, ist die Kritik nicht weit. Auch in Luzern scheitern grosse Bauprojekte am Widerstand von Politik und Volk. Doch es ginge auch anders.
Das geplante Rontalzentrum neben der Mall of Switzerland fand bei der Dierikoner Bevölkerung keinen Anklang – sie versenkte das Grossprojekt im vergangenen Dezember. (Bild: PD)

Robert Knobel

Von der Salle Modulable übers Rontalzentrum und die M-Park-Überbauung bis zu neuen Carparkplätzen in der Stadt Luzern: All diese Projekte scheiterten am Veto von Politik oder Bevölkerung. Ihnen ist zudem gemeinsam, dass die Verantwortlichen den Widerstand zu spät realisierten oder nicht adäquat darauf reagierten. Die Folgen für die Planer sind jeweils fatal – sie stehen vor einem Scherbenhaufen:

«Nächtelange Arbeit wird mit einem einzigen Volksentscheid zunichte gemacht.»

So fasst Alex Willener, Dozent am Institut für Soziokulturelle Entwicklung an der Hochschule Luzern, die Problematik zusammen.

Wie können Bauprojekte und andere Vorhaben unter Einbezug der Bevölkerung zum Erfolg gebracht werden? Dies war das Thema einer Tagung des Bunds Schweizer Architekten (BSA) kürzlich in Luzern, bei dem Willener als Gastreferent auftrat. Die Antwort auf die obige Frage lautet «Partizipation»: Bevölkerung, Interessenvertreter, Verbände und Organisationen sollen sich bei der Planung eines Projekts so einbringen können, dass am Ende ein Kompromiss heraus schaut, hinter dem alle stehen können.

Luzern tut sich schwer mit Partizipation

Auch in der Stadtluzerner Politik wird das Wort Partizipation in jüngster Zeit gerne und häufig verwendet. Der Stadtrat hofft, durch den verstärkten Einbezug von Direktbetroffenen komplexe Projekte zum Erfolg zu führen – etwa bei der Attraktivierung der Innenstadt oder bei der Carparking-Frage. Allzuviel gefruchtet hat diese Strategie bisher aber nicht. Der Stadtrat muss sich die Kritik anhören, er wolle unter dem Deckmantel der Partizipation bloss seine eigenen Vorstellungen legitimieren.

Wie es anders geht, zeigte an der erwähnten Tagung der österreichische Architekt Roland Gruber. Sein Büro hat sich auf Partizipations- und Vermittlungsprozesse spezialisiert. Das Wichtigste sei, dass sich Behörden, Investoren und Bevölkerung auf Augenhöhe austauschen können. Echte Partizipation bestehe nicht darin, der Bevölkerung ein fertiges Projekt schmackhaft zu machen. Gruber sagt: «Am Anfang eines Partizipationsprozesses sind wir zu hundert Prozent Zuhörer.»

Beispiel Tirol: Der Volksentscheid wird zum Volksfest

Das bedeute auch, dass man akzeptiert, dass das Projekt am Ende möglicherweise ganz anders aussieht als ursprünglich geplant. Gruber organisiert jeweils mehrtägige «Festivals», wie er es nennt. Ziel dieser Veranstaltungen ist, ein Bauvorhaben mit allen Betroffenen intensiv zu diskutieren: Es darf jeder kommen und alle dürfen mitdiskutieren. Die Festivals haben teils richtigen Volksfestcharakter, wie Gruber am Beispiel von zwei Gemeinden im Tirol zeigte, in denen es darum ging, das ganze Dorfzentrum neu zu überbauen. Am Ende wurde dort sogar der Jury-Entscheid öffentlich und unter Mitsprache der Anwesenden gefällt. Was für ein Unterschied zu Luzern, wo nur ausgewählte Fachleute hinter verschlossenen Türen das Siegerprojekt eines Architekturwettbewerbs erküren. Doch für Roland Gruber ist klar: Für ein erfolgreiches Bauprojekt braucht es einen Perspektivenwechsel:

«Im Zentrum steht nicht der geniale Architekt, der ein tolles Werk schafft. Es sollte ein Wir-Projekt sein, nicht ein Ich-Projekt.»

Alex Willener, der selber schon zahlreiche Partizipationsprozesse begleitet hat, sagt, dass solche Perspektivenwechsel für manche Architekten nur schwer zu akzeptieren sind: «Wofür haben wir denn studiert, wenn am Schluss jeder mitreden kann?» – so die etwas provokative Quintessenz aus den Ängsten der Planer. Doch für Willener ist klar:

«Architektur baut für die Gesellschaft. Wir kommen gar nicht darum herum, miteinander zu reden und etwas auszuhandeln.»

Zudem bringe die lokale Bevölkerung oft ein grosses Wissen über die örtlichen Verhältnisse mit, «das nicht durch ein Studium ersetzt werden kann.» Willener ergänzt: «Dieses Zusammenspiel von Fachkompetenz und Alltagskompetenz lässt neue Sichtweisen zu und führt zu tragfähigen Lösungen.»

Roland Gruber führt seine Partizipationsprozesse jeweils innert sehr kurzer Zeit, dafür sehr intensiv durch. Seine «Festivals» dauern vielleicht drei Tage – und am Ende muss ein greifbares Resultat vorliegen. Auch dies steht im Gegensatz zur Praxis der Stadt Luzern, wo sich solche Prozesse in halbjährlichen Workshops oft endlos hinziehen – und am Ende manchmal nicht einmal ein zählbares Resultat zeigen.

In Littau durften die Kinder über ihr neues Schulhaus entscheiden

Doch auch aus der Stadt Luzern gibt es durchaus positive Beispiele für Mitwirkung. Alex Willener streicht die Industriestrasse hervor. Dort haben viele Akteure während mehreren Jahren intensiv darüber diskutiert, wie die künftige Überbauung aussehen soll. Die Resultate dieses Prozesses bildeten die Grundlage für den Architekturwettbewerb. Auch die Stadt selber durfte 2019 einen kleinen Partizipations-Erfolg vermelden: Im Hinblick auf die Sanierung des Schulhauses Littau Dorf wurde ein Workshop mit den Schulkindern durchgeführt, in dem diese ihre Vorstellungen des künftigen Schulhauses darlegen konnten. Das Resultat: Im Architekturwettbewerb sind nun Rutschbahnen, Baumhäuser, Wasserspiele und ein «Aussenklassenzimmer» als Vorgaben für die Architektenteams aufgelistet. Auch die von den Kindern gewünschten «Lernwaben», in die man sich zum Lernen zurückziehen kann, gehören zum Pflichtprogramm der Architekten.

Roland Gruber gibt übrigens Entwarnung für all diejenigen Planer, die durch allzu demokratische Mitwirkung ihre Berufsehre gefährdet sehen: «Es geht den Leuten meist gar nicht darum, bei der konkreten Gestaltung mitzureden. Aber sie wollen bei der Art und Weise, wie ein Projekt zustande kommt, mitbestimmen.»

Kommentare (0)