Cornelia Bisch
Fröhlich schwatzend, als wären sie bereits alte Freunde, kommen Christina Spiess und Ravinder Singh zum Treffpunkt beim Biohof Zug. «Das ist Ort, an dem wir uns kennen gelernt haben», erzählt die 49-jährige Oberwilerin. Der 50-jährige Londoner indischer Herkunft nickt lachend, obwohl er noch nicht allzu viel Deutsch versteht. «For Brunch», ergänzt er. Zum Glück ist Spiess Englischlehrerin und hat keinerlei Verständigungsprobleme. Einen Deutschkurs zu besuchen, hat sich Singh jedoch für Anfang nächsten Jahres vorgenommen.
Er ist im März von London nach Oberwil gezogen und war bereits einige Monate im Land, als er durch das Host- Programm der Fachstelle Migration Zug (siehe Kasten) an Spiess vermittelt wurde. «Ich musste ihm deshalb kaum helfen mit Informationen über diverse Ämter oder die hiesige Abfallbewirtschaftung», erzählt sie. Er habe das alles gegoogelt. Das sei überhaupt kein Problem gewesen, winkt der weltgewandte Londoner ab. Diese Form von Hilfestellung ist neben dem Kennenlernen der neuen Heimat ein weiterer, wichtiger Teil des Host-Programms. Nicht alle Einwanderer finden sich nämlich so spielend zurecht wie Ravinder Singh.
Dieselben Interessen
«Ich hatte fast erwartet, die FMZ würde mir eine Familie mit Kindern zuweisen, damit ich sie in der Schule unterstützen könnte», erzählt die Primarlehrerin. Mit ihrem jetzigen Tandem-Partner ist sie jedoch mehr als glücklich. «Wir sind im gleichen Alter, haben dieselben Hobbys und verstehen uns bestens», stellt sie fest. Auf gemeinsame Interessen wird bei der Vermittlung besonders geachtet. Beide Parteien füllen einen Fragebogen aus, mit dessen Hilfe die Partner ausgesucht werden. «Wir mögen beide Sport und haben deshalb eine Wanderung auf den Zugerberg und eine Radtour rund um den Zugersee unternommen», berichtet Spiess. Als Krönung lud Singh sie und ihre ganze Familie zu einem selbst gekochten indischen Essen ein.
Eine Stadt, die Fremde willkommen heisst
Der Programm-Manager, der bei der UBS in Zürich arbeitet, fand rasch heraus, wo sich die Läden mit indischen Lebensmitteln in seiner Umgebung befinden. Er ist ein offener, neugieriger Zeitgenosse. «In Zug finden sehr viele interessante Veranstaltungen statt», findet Singh. Er sei bereits an der Zuger Messe gewesen und habe an verschiedenen Kulturveranstaltungen teilgenommen.
«Ich war auf dem Mittelaltermarkt und am Chrööpfelimeh», sagt er mit einem stolzen, breiten Grinsen, nachdem es ihm gelungen ist, den für nicht Einheimische im Grunde unaussprechlichen Zungenbrecher immerhin so klar über die Lippen zu bringen, dass Christina Spiess ihn versteht. Es gefalle ihm ganz wunderbar hier in Oberwil und Zug, fährt Singh fort. «Es ist eine kleine, hübsche, freundliche Stadt, die Fremde willkommen heisst.» Freunde hätten ihm die kleine Gemeinde am Zugersee empfohlen. Er wolle nun für immer in der Schweiz bleiben und hoffe, dass auch seine beiden erwachsenen Söhne ihm folgen würden.
Erstes «Blind Date»
Christina Spiess erfuhr aus den Medien vom Host-Programm und entschloss sich sofort dazu, selbst teilzunehmen. «Ich bin sehr neugierig und menschenfreundlich», betont sie und ergänzt mit einem Augenzwinkern: «In meinem Alter gibt es nicht mehr so viele erste Male. Dies hier war mein erstes ‹Blinde Date›.» Einen Menschen aus einer anderen Kultur kennen zu lernen und dabei ihre Sprachkenntnisse zu verbessern, habe sie gereizt. «Es war sehr spannend. Ravi hat Dinge gesehen, die ich so noch nie wahrgenommen habe.» Er habe ihr quasi eine neue Sicht auf die eigene Heimat gegeben.
Einen Stadtrundgang mit Sightseeing wollte der muntere Einwanderer mit seiner Host-Partnerin lieber nicht unternehmen. Dies nicht aus Mangel an Interesse. Aber: «Das ist etwas Gewöhnliches, das ich auch allein tun kann. Ich wollte Orte und Seiten an meiner neuen Heimat kennen lernen, die ich nicht mit Google finden kann.» Das «Tandem» Spiess-Singh kann das Host-Programm nur weiterempfehlen. «Es ist eine Win-win-Situation für beide Seiten», bringt es Spiess auf den Punkt. «Das Programm hilft einem, sich zu integrieren und neue Freunde zu finden», ergänzt Singh. Denn man lasse so viel zurück, wenn man sein Heimatland verlasse. Unterstützt wurden sie von der FMZ mit zahlreichen, detailliert ausgearbeiteten Ausflugsvorschlägen. «Es besteht keine Verpflichtung. Wenn man sich gegenseitig nicht sympathisch ist, kann man sich jederzeit zurückziehen», so Spiess.