Wie gross ist Ihre Freude, wenn sich frühmorgens Elstern und Krähen unter Ihrem Schlafzimmerfenster in die Federn kriegen?
Gabriela Staehelin-Sticher: Das würde mich als Frühaufsteherin nicht stören. In meiner Umgebung sind jedoch keine Elstern. Es versuchen zwar oft welche, sich niederzulassen, jedoch ohne Chance. Ein Krähenpaar, die Rotmilane sowie die Bussarde vertreiben die immer. Es ist jeden Frühling dasselbe Schauspiel.
Findet das die Ornithologin gut oder wünschte Sie sich möglichst viele Vogelarten in der Nähe?
Ich bin froh, dass die Elstern nicht hier sind, weil diese die jungen Singvögel holen.
Das tut das Krähenpaar doch auch?
Gerade deswegen. Die Singvögel müssen ihre Brut gut verstecken. Die Krähen beobachten den Flug des Rotkehlchens oder der Mönchsgrasmücke scharf und checken, wo deren Nester sind. Es braucht hier keine weiteren Räuber.
Bald ist das Thema sowieso durch. Die Zugvögel besammeln sich.
Ja die Anzahl der Vögel nimmt jetzt rapide ab, weil viele in den Süden fliegen. Die Mauersegler gingen bereits Ende Juli, die Alpensegler im September. Nun folgen die Rauchschwalben. Wenn die ziehen, werde ich wehmütig. Es bedeutet, dass der Sommer vorbei ist.
Zwei oder drei Vogelarten bleiben aber schon, an denen Sie sich erfreuen können?
Einige. Der Specht bleibt uns erhalten und im Winter kommen verschiedene Enten.
Den Specht mögen Sie besonders. Warum?
Sicher auch, weil drei verschiedene Specht-Arten vor meiner Tür wohnen. Der Buntspecht haust in einer Eiche, wo ich ihn im Auge behalte. Der Grünspecht, ein Bodenspecht der sich Ameisen holt, ist zugegen und ebenfalls eine Schwarzspechtfamilie. Ich wusste, dass die in einer Buche brüten, musste aber eine Weile suchen.
Was macht den Specht interessant, abgesehen vom Trommeln?
Eine Menge. Der muss seine Bruthöhle unentwegt hüten, damit sie nicht andere Tiere übernehmen. So wie der Kleiber, dem es hier letztes Jahr gelungen ist, eine zu besetzen. Er verklebte den Eingang mit einer Masse, sodass der Specht nicht mehr hineinpasste. Das ist keine Tragödie, weil Spechte mehrere Höhlen bauen. Solch kurzweilige Geschichten erzählt die Natur in unseren Gärten.
Genau diese Tiergeschichten geben Sie seit Frühling 2021 an die «Jungvögu» weiter, einer Gruppe von Buben und Mädchen ab neun Jahren. Wie leicht lassen sich Kinder für die Ornithologie begeistern?
Rech gut eigentlich. Zurzeit besteht die Gruppe aus sechs Buben und einem Mädchen. Ideal wären 15 Personen. Wir organisieren mehrere Ausflüge im Jahr, wo wir Vögel und andere Tiere beobachten und viel über deren Lebensweise und die Bedeutung einer vielfältigen Natur lernen.
Zum Beispiel?
Bei einer Exkursion zu einer Beringungsstation in Rothenthurm konnten wir Braunkehlchen beobachten. Die Bodenbrüter sind fast verschwunden aus dem Mittelland.
Für Laien klingt das nicht wahnsinnig aufregend. Wie bringen Sie die Begeisterung an die Kinder?
Wir besprechen vorab, was von einer Exkursion zu erwarten ist. Bei der letzten Reise bereiteten meine Kollegin und ich die «Jungvögu» bei der Hinfahrt im Zug darauf vor, dass wir mit etwas Glück eben das Braunkehlchen oder den Neuntöter sehen werden.
Mit dem Neuntöter hatten Sie die Neugier der Kinder wohl geweckt. Wird der seinem Namen gerecht?
Früher glaubte man es. Der Neuntöter legt Vorräte an, indem er Beute wie Insekten, Spinnen, Wespen oder Eidechsen an Dornen aufspiesst. Der Legende nach deponiert er neun Opfer. Damit macht er seinem Weibchen Brutgeschenke, um Eindruck zu schinden.
Das sind ja Räubergeschichten!
Genau. Mit seiner schwarzen Augenbinde sieht er auch aus wie ein Bandit. In Griechenland wurde ich Zeugin seiner Tätigkeiten.
Wie die Vögel ziehen auch Sie weite Kreise?
Da ich pensioniert bin, verfüge ich über sehr viel Zeit. Ja, im letzten Frühling verbrachte ich zwei Monate lang Vogelferien in Nordfriesland.
Gingen Sie wie James Stewart im Film «Mister Hobbs macht Ferien» mit dem Feldstecher auf Rauchschwalben-Exkursion?
Den Film kenne ich zwar nicht, aber scheinbar ja. Der Feldstecher gehört zur Ausrüstung. Der Vogelzug am Wattenmeer war eine super Weiterbildung. Ich begegnete auch täglich dem Seeadler. Die Weisswangengänse mussten vor dem spektakulären Tier immer auf der Hut sein. Bei den Geschichten aus dem Norden spitzen die «Jungvögu» ihre Ohren.
Warum liegt Ihnen das Projekt «Jungvögu» so am Herzen?
Ich will bei Kindern die Freude an der Natur wecken. Im Sinne von «was man liebt, schützt man». Die Vogelwelt braucht eine jüngere Generation von Ornithologinnen und Ornithologen, die sich engagiert.
Hübsch war die Story der Waldrappdame Shorty, die mehrmals am Zugersee überwinterte, weil sie den Weg ins Winterquartier nicht finden konnte. Kommt es oft vor, dass sich Vögel auf der Durchreise bei uns niederlassen oder sich verirren?
Solche Beobachtungen sind eher selten, aber es gibt sie. So entdeckte ich im August dieses Jahres im Schilf meines Nachbarn eine Rohrammer. Die war auf der Durchreise und blieb nur kurz. Nachdem ich den Fotoapparat holte, war sie bereits wieder weg. Auch den Wendehals sichtete ich in unserem Garten und einmal auf einem Ahorn eine Nachtigall. Mit Geduld fange ich viele Vögel ein mit dem Feldstecher.
Weitere Infos zur Jugendgruppe unter: birdlife-luzern.ch