Rahel Hug
Die 9-jährige Mirjam ist ein aufgewecktes Mädchen – bei der Begrüssung in der Neuheimer Wohnung ist sie zunächst etwas schüchtern, doch bald erzählt sie von der Geburtstagsparty, die sie soeben besuchte, von ihren Hobbys Flöte spielen, Lesen und Turnen und von ihrem Traumberuf: Sie möchte später mit Pferden arbeiten, so viel steht fest. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass Mirjam noch vor einigen Jahren schwer krank war. Mirjam Zimmermann war im Alter von 3 Jahren an Krebs erkrankt, an einem Burkitt-Lymphom im Halsbereich. Dabei handelt es sich um ein schnell wachsendes, bösartiges Lymphom, eine Vergrösserung der Lymphknoten. Diese Art von Krebs kommt in der Schweiz eher selten vor. Bei der kleinen Mirjam beeinträchtigte der Krebs auch die Sprachentwicklung.
Viele schlaflose Nächte, ständiges Pendeln
Dass mit ihrer Tochter etwas nicht stimmte, hatten die Eltern René und Andrea Zimmermann in den Sommerferien 2012 bemerkt. «Mirjam hatte Atemaussetzer im Schlaf, sie ass immer weniger und war so müde, dass sie zum Teil beim Spielen einschlief», erzählt Andrea Zimmermann (48). Nachdem die Familie mehrere Ärzte konsultierte und nach zahlreichen Untersuchungen und einer Operation erhielt Mirjam am 6. September 2012 die Diagnose. Sie sei in eine Art Schockstarre verfallen, blickt Andrea Zimmermann zurück. «Doch danach funktioniert man einfach. Und gewissermassen war es auch eine Erleichterung, endlich die Ursache zu kennen und sie in guter medizinischer Versorgung zu wissen.» Nun mussten sich die Zimmermanns organisieren. Einen Monat lang verbrachte Mirjam beinahe durchgehend im Luzerner Kinderspital. Ihre Mutter war fast ständig bei ihr. Schlaflose Nächte, die Sorge um das Wohlergehen der anderen Kinder, das ständige Pendeln und die Ungewissheit, ob die Therapie Erfolge zeigt – sie könne sich heute kaum mehr richtig vorstellen, wie ihre Familie das alles geschafft habe, sagt Andrea Zimmermann.
Der grösste Teil des Tumors konnte entfernt werden, es folgte die Chemotherapie – insgesamt vier Monate lang. Durch die starke Gewichtsabnahme musste Mirjam zeitweise auch künstlich ernährt werden. Bald begannen ihre Haare büschelweise auszufallen. «Sie hat den Kahlkopf glücklicherweise mit Humor genommen und sagte, sie hätte jetzt eine Grosspapi-Frisur. Zudem mochte sie die vielen farbigen Mützen», erzählt Andrea Zimmermann. Ihre Tochter habe diese schwere Zeit und die Begleiterscheinungen der Therapie sehr tapfer gemeistert. Mirjam selber sagt auf die Frage, was ihr von damals noch in Erinnerung sei: «Die Spitalclowns. Sie haben uns immer wieder besucht und waren sehr lustig.»
Wohltuende Gespräche
Unterstützung erhielten die Zimmermanns von ihren Familien, Freunden und der Neuheimer Bevölkerung. Auch die Kinderkrebshilfe Zentralschweiz, bei der sie Mitglied sind, war in dieser Zeit eine grosse Hilfe. Der Verein bietet materielle wie immaterielle Unterstützung an. Es werden Spitaltreffs und verschiedene Anlässe, zum Beispiel Sportwagenfahrten oder Bowling für Betroffene und ihre Angehörigen, angeboten. «Die vielen Gespräche mit anderen Betroffenen taten immer gut. Diese Kontakte sind bis heute wichtig für uns», sagt Andrea Zimmermann. «Auch die Geschwister leiden sehr unter einer solchen Krankheit.» Die Vollblut-Mutter hat neben Mirjam drei Söhne im Alter von 19, 16 und 12 Jahren. «Jeder hat das Thema auf seine Art und Weise verarbeitet», schildert sie. Auf die anderen drei Kinder angemessen einzugehen und für sie da zu sein, sei eine grosse Herausforderung gewesen. Im Austausch mit anderen Betroffenen habe sie auch viel Demut gelernt, so Zimmermann. «Beim Burkitt-Lymphom liegen die Heilungschancen sehr hoch. Andere Betroffene haben eine viel grössere Last zu tragen. Die Zeit hat uns gelehrt, zu schätzen was man aneinander hat. Als Familie sind wir heute bewusster füreinander da.»
Ein Ordner voller Erinnerungen
Die Drittklässlerin gilt heute als vollständig geheilt. Noch muss sie einmal jährlich zur Kontrolle. Ein Ordner mit Fotos, Kärtchen mit Wünschen aus dem Bekanntenkreis, Bilderbücher sowie ein Haarbüschel und der Portkatheter, der für die Infusionen und Spritzen in Mirjams Brust implantiert war, dokumentieren die Krankheit. Schauen sich Mutter und Tochter die Erinnerungsstücke gemeinsam an, spürt man sofort: Die beiden sind ein eingespieltes Team. Andrea Zimmermann sagt: «Meine Tochter weiss genau, was sie will. Sie war schon früher ein starker Charakter, durch die Krankheit wurde dies noch verstärkt.»