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Zug

Maskentheater in Zug: Wenn der Doktor zum Patienten wird

Am Samstag überzeugte die fesselnde Darstellung der Einsamkeit des menschlichen Geistes das Publikum. Das Maskentheater Dr. Nest war originell, vielschichtig und äusserst komplex.
Die Theatergruppe Familie Flöz zeigt das Stück Dr. Nest im Theater Casino. (Bild: Stefan Kaiser, Zug, 23. Februar 2019)
Sind die Masken gruselig? (Bild: Stefan Kaiser, Zug, 23. Februar 2019)
Das Maskentheater dauerte 90 Minuten. (Bild: Stefan Kaiser, Zug, 23. Februar 2019)

Haymo Empl

Haymo Empl

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Sind die Masken auf der Bühne gruselig? Irgendwie schon. Aber auch nicht – bei genauerem Hinschauen nämlich war keine Maske Furcht einflössend – weil der Zuschauer bereits nach wenigen Augenblicken die Masken gar nicht mehr als solche vor seinem geistigen Auge deklariert, sondern mit der dargestellten Figur verknüpft und sich daher die Wahrnehmung beim Zuschauer verschiebt.

Damit das gelingt, ist es unabdinglich, dass die Schauspieler unter den Masken es verstehen, eine Figur anders als wie gewohnt mittels Mimik und der Sprache zu zeichnen. Es ist eine Klaviatur von Stilmitteln, welche die Schauspieler des Künstlerkollektivs Familie Flöz beherrschen müssen, um aus einer leblosen Maske nur mit­hilfe von Körpereinsatz und dem richtigen Setting eine Figur zu erschaffen. Eine ­Figur, die für den Zuschauer lebt und eine Geschichte erzählen kann. Ohne Sprache, ­notabene. So gesehen und geschehen am Samstagabend im Theater Casino Zug im Stück «Dr. Nest».

Die Schauspielergruppe Familie Flöz ist eine in Deutschland ansässige Theatergruppe, die mit Humor, Masken, Improvisation, Pantomime und Körperkomik schon viele Aufführungen produziert hat, welche rund um den Globus gezeigt werden. Gemäss Biografie der Theatergruppe wurde diese 1994 von den damaligen Schauspielstudenten Hajo Schüler und Markus Michalkowski ­gegründet. Alle ihre Theaterproduktionen waren furios, neu und wurden mit Auszeichnungen überhäuft. Familie Flöz gilt als State of the Art im Maskentheater; diese spezielle aber auch sehr alte Form des Schauspiels. Im Stück «Dr. Nest» erzählen die Schauspieler die Geschichte eines mysteriösen Mannes – ganz offensichtlich diejenige der titelgebenden Hauptfigur – der in einem abgelegenen Sanatorium ankommt und als neuer Arzt seine neue Stelle antritt. Offensichtlich motiviert durch echte Fürsorge, wissenschaftliche Neugierde und den Wunsch nach Einblicken in die Funktionsweise der menschlichen Psyche, hilft Dr. Nest den Bewohnern, die Rätsel des Geistes und der Seele zu bewältigen und entschlüsseln. Bald jedoch zeigt sein rührendes Einfühlungsvermögen gegenüber seinen Patienten, dass diese nicht einfach nur «irr» sind, sondern vielschichtige Persönlichkeiten, natürlich im doppelten Wortsinn. Den Zuschauern werden intime Einblicke in die jeweiligen Gemütszustände gewährt, und bei allen Figuren zeigt sich, dass diese durch und durch liebenswert sind. Inwieweit nun Dr. Nest Arzt oder Patient ist, wird nicht klar ­gezeigt, und vieles bleibt wohl auch bewusst der Fantasie des ­Zuschauers überlassen.

Anstrengende Unterhaltung

Als Zuschauer würde man bei Dr. Nest vielleicht gerne etwas mehr an der Hand genommen und durch die Inszenierung geführt werden; man würde gerne wissen, «wie es denn nun wirklich ist». Versucht man dies zu ergründen, ist die eigene Denkweise und Wahrnehmung enorm gefordert, und die gut 90 Minuten Maskentheater können zum anstrengenden Stück Unterhaltung werden. In einem Interview erklärte einer der aktuellen Darsteller, Michael Vogel: «Masken befreien die Fantasie. Der Betrachter kann seine eigenen Bilder erstellen, ungestört von den Gesichtsausdrücken des Schauspielers. Der Schauspieler kann das Erlebnis bereichern. Die Maske ist fixiert …» – und genau hier liegt die Herausforderung auf beiden Seiten. Wenn die Signale der Schauspieler nicht klar sind, fühlt sich der Zuschauer verloren und verabschiedet sich innerlich von der Geschichte. Das wäre fatal, denn die Stücke von Familie Flöz haben durchaus etwas zu sagen.

Was ist Realität, was nicht?

Bei «Dr. Nest» beispielsweise kommt man schnell ins Grübeln: Was ist Realität, was nicht? Wie steht es eigentlich um die Kartografie im eigenen Hirn? Der ­Maskenarzt schaffte es bis zum Schluss nicht, seine eigenen Zwänge, Wahnvorstellungen und Dämonen in Schach zu halten, und fand seinen Trost schliesslich in der Gesellschaft der Einsamen und Entfremdeten. Und damit stellte sich dann erneut die Frage, wer ist nun eigentlich «krank» und ergo «Patient»?

Mit Dr. Nest gelang es der ­Familie Flöz trotz einiger Längen im Stück subtil und angenehm unaufdringlich zu zeigen, wie lohnend das Leben nicht trotz, sondern wegen seiner sehr fragilen Natur sein kann.

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