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Luzern

Luzerner Polizei setzt auf künstliche Intelligenz

Komplexe Firmenkonstrukte und enorme Datenmengen: Insbesondere bei Fällen von Wirtschaftskriminalität stösst die Polizei an ihre Grenzen. Nun testet sie Programme mit künstlicher Intelligenz. Leitet künftig der Computer die Ermittlungen?
Michael Muther ist Chef Technik und Logistik der Luzerner Polizei. (Bild: Pius Amrein, Luzern, 18. Juni 2019)

Christian Glaus

«Hey Siri! Wie wird das Wetter?» Michael Muther, Chef Technik und Logistik der Luzerner Polizei, sitzt im Büro und spricht mit seinem iPhone. Nicht etwa, weil ihn das Wetter interessieren würde, sondern um zu demonstrieren, wo überall künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt. Das Smartphone hat gelernt, Muther zu verstehen, weiss, dass er sich in Luzern befindet und zeigt den passenden Wetterbericht an.

Es besitzt also künstliche Intelligenz, wenn auch in sehr beschränktem Rahmen. Dass Computer lernen können, erleichtert den Alltag vieler – auch jenen der Luzerner Polizistinnen und Polizisten. Bereits im Einsatz ist ein Programm, das Aufnahmen von Überwachungskameras gezielt durchsuchen kann (siehe Box am Ende des Artikels). Und nun testet die Polizei ein Programm, um die Effizienz bei Ermittlungen zu steigern. Im Vordergrund stehen Fälle, bei denen grosse Datenmengen ausgewertet werden müssen. Oftmals betrifft dies Wirtschaftskriminalität oder auch bandenmässige Delikte wie Drogenhandel. Bei Büro- und Hausdurchsuchungen werden schnell Datenmengen von mehreren Terabyte beschlagnahmt, die anschliessend gesichtet werden müssen. Dieser Aufwand sei enorm, erklärt Muther:

«Es kann vorkommen, dass ein Ermittler mit den Auswertungen mehrere Monate lang beschäftigt ist.»

Entsprechend ziehen sich die Verfahren hin. Kein Wunder, dass der gelernte Wirtschaftsinformatiker nach Möglichkeiten sucht, diesen Prozess zu beschleunigen – und die Lösung im Computer sieht.

Neue Aufgabenteilung zwischen Mensch und Computer

Muther spricht von einer neuen Aufgabenteilung zwischen Mensch und Maschine. «Es ist keine menschliche Stärke, unzählige Dokumente zu analysieren und deren Inhalte zu strukturieren. Das kann der Computer schneller und zuverlässiger.» Deshalb testet die Luzerner Polizei seit Februar das Programm Watson von IBM. Dieses kommt in verschiedenen Branchen zum Einsatz, wurde also nicht speziell für die Polizei entwickelt. Es durchsucht Computerfestplatten, Handys oder digitalisierte Dokumente. Sämtliche Inhalte werden indexiert – ähnlich wie in einer Bibliothek. Die Ermittler können sich dann Namen, Adressen oder Kontonummern anzeigen lassen, die besonders häufig vorkommen. Oder sie können die Dokumente – wie bei Google – durchsuchen. So tauchen plötzlich bisher unbekannte Konten auf oder es können Verbindungen zu anderen Personen nachgewiesen werden.

Muthers Ziel ist es, dass die Ermittlungen effizienter und effektiver werden. «Das kann dazu führen, dass Fälle früher abgeschlossen werden. Oder dass Personen, die unschuldig in Untersuchungshaft sitzen, früher entlassen werden.» Ein weiterer Vorteil: Die Polizisten müssen weniger Zeit im Büro verbringen, haben mehr Zeit für die Verbrechensbekämpfung und die präventive Präsenz. Muthers Hoffnung ist, dass pro Jahr nicht nur einige Arbeitsstunden eingespart werden können, sondern – über das rund 90-köpfige Ermittler-Team gerechnet – ganze Monate. Ein Personalabbau ist dabei nicht vorgesehen. Ein wichtiger Punkt, denn die Luzerner Polizei ist personell unterbesetzt und kann trotz versprochener neuer Stellen nicht mit dem Bevölkerungswachstum mithalten.

Um die künstliche Intelligenz zu testen, arbeiten Ermittler der Luzerner Polizei an einem abgeschlossenen Fall. So ist ein Direktvergleich möglich: Wie viel einfacher werden die Ermittlungen dank künstlicher Intelligenz? «Das Ergebnis ist ernüchternd, der Aufwand hat sich nicht wesentlich reduziert. Allerdings haben wir durch den Test gelernt, dass für die Bearbeitung mittels Watson die Dokumente anders aufbereitet werden müssen», sagt Muther. Die Polizei hat beschlossen, die Testphase um drei Monate zu verlängern und einen zweiten Fall durchzuspielen.

Kantonspolizei Zürich: «Nutzen ist spürbar»

Bereits einen Schritt weiter ist die Kantonspolizei Zürich. Sie arbeitet seit 2016 mit demselben Programm und ist damit zufrieden, wie Mediensprecherin Carmen Surber sagt. «Das Programm erleichtert den Ermittlern ein zielorientiertes Vorgehen.» Wie viel Arbeitszeit diese einsparten, kann Surber nicht sagen. Das werde nicht erhoben. Dennoch: «Der Nutzen ist spürbar.» Das Hauptziel, grosse Textmengen in einzelnen Fällen strukturiert analysieren zu können, werde erreicht.

Ob auch die Luzerner Polizei das Programm definitiv einführen wird, entscheidet sich in ein paar Monaten. Frühestens im nächsten Jahr könnte «Kommissar Watson» die Menschen bei den Ermittlungen unterstützen. Und selbst wenn sich die Polizei gegen die Software entscheiden würde: Michael Muther wird die Entwicklung von künstlicher Intelligenz weiterhin genau verfolgen. Die Frage ist nicht mehr, ob die Polizei diese Technik nutzen wird – sondern wann.

Das wirft grundsätzliche Fragen auf. Zum Beispiel: Wer leitet künftig die polizeilichen Ermittlungen? Mensch oder Maschine? Die Antwort ist für Muther klar:

«Das System darf nicht die Kontrolle übernehmen. Die Ermittlungen führt der Mensch. Ihm kommt in der Welt der künstlichen Intelligenz die Rolle des Sicherheitsfaktors zu.»

Die Zürcher Polizeisprecherin Surber äussert sich ähnlich. Der Computer bleibe ein Hilfsmittel: «Es werden dem Ermittler keine Entscheidungen abgenommen

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