Natalie Ehrenzweig
Natalie Ehrenzweig
Fast 70 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Das ist eine Zahl, die vielen bekannt ist. Weniger bekannt sei den meisten, dass zwei Drittel der Flüchtlinge in ihren Herkunftsländern bleiben und dort als Vertriebene leben, erklärt Christoph Lichtin, Direktor des Historischen Museums Luzern. In der letzten Donnerstag eröffneten Ausstellung «Flucht» werden genau solche Fakten vermittelt.
Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt des Bundes sowie des Flüchtlingshochkommissariats der UNO (UNHCR).Der Einstieg in die Ausstellung erfolgt durch die Videoinstallation «Auf den Spuren von Flüchtlingen» von Mano Khalil, selbst ehemaliger Flüchtling. Wie nah geht man an die Katastrophe Krieg heran, wie brutal dürfen oder sollen Bilder sein, die gezeigt werden? Mano Khalil baut Vertrauen zu den Menschen auf, deshalb berühren deren Worte auch. Deshalb ist die Verzweiflung spürbar, wenn eine Frau unter Tränen sagt, dass sie nie in ihrem Leben ihre Heimat verlassen wollte, aber ihr durch den Krieg in Syrien alles genommen wurde. Und er zeigt, wie Menschen, wie du und ich, aus ihrem Alltag gerissen wurden und in einer Zeltstadt in einem Flüchtlingslager eine neue Normalität suchen. «Ich war ein Flüchtling, ich bleibe immer ein Flüchtling. Das ist wie eine Wunde, die nie ganz heilt, auch wenn ich jetzt sicher bin», betont der Regisseur. Diese Menschen bräuchten nicht ein Stück Brot und Wasser, sondern vor allem Sicherheit und Menschlichkeit. Er wolle zeigen, dass hinter den Zahlen Menschen mit Seelen stecken.
Das Dilemma des Befragers im Asylzentrum
Dieses Anliegen verfolgt auch die Ausstellung, in dem der Besucher fünf fiktiven aber exemplarischen Figuren von ihrer Heimat in die Schweiz folgt. Terror, Angst, Krieg, treibt sie auf die Flucht. Abwechslungsreich erzählt «Flucht» ihre Geschichten. Kurze Filmsequenzen zeigen Interviews, etwa mit dem Befrager in einem Aufnahmezentrum, der verrät, dass er dem Asylgesuchsteller zwar wohlwollend gegenübersitze, trotzdem aber dessen Erzählungen kritisch hinterfragen müsse. Beim Begleiten der Reise aus dem Herkunftsland in die Schweiz kann der Besucher einiges entdecken, wie zum Beispiel, dass die Karotte ursprünglich aus Afghanistan kommt. Die Neugier treibt uns dazu, die Schubladen zu öffnen. Themen wie Zwangsprostitution, Folter, Erniedrigung, Hunger oder Hoffnungslosigkeit werden in Zitaten oder Schubladenfacts angeschnitten und stossen eine Auseinandersetzung an.
Die Ausstellung hört aber inhaltlich dort auf, wenn die Flüchtlinge in der Schweiz angekommen sind. Die Integration hier und der Alltag, den die Menschen hier erleben, wird grösstenteils ausgelassen. «Das wäre auch eine spannende Geschichte, aber würde zu einer neuen Ausstellung gehören», findet Christoph Lichtin. Kürzlich hat das Historische Museum eine Ausstellung über den Aufenthalt der Queen Victoria in der Zentralschweiz gezeigt. «Das passt gut zu der jetzigen Ausstellung, denn es geht um unseren Umgang mit Fremden. Für mich ist klar, dass die aktuelle Flüchtlingssituation ein grosses historisches Phänomen ist. Und unser Museum muss gesellschaftliche Relevanz haben», sagt Lichtin.
Wie kann ich helfen?
Den lokalen Bezug schaffe man mit dem Rahmenprogramm und der Broschüre «Wie kann ich helfen?». Es sei wichtig gewesen, auch konkrete Unterstützung zum Handeln zu bieten. Dass «Flucht» ein Informationsbedürfnis deckt, davon ist Christoph Lichtin überzeugt: «Die Ausstellung trifft auf grosses Interesse an den Schulen. Aber auch Politiker aller Parteien sind sehr interessiert. Ausserdem habe ich noch nie auf eine Vernissage-Einladung so viel positives Feedback erhalten», betont Christoph Lichtin. Er wünscht sich, dass «Flucht» Offenheit und Empathie auslöst.
Die Ausstellung «Flucht» ist bis am 10. März 2019 im Historischen Museum Luzern zu sehen. www.historischesmuseum.lu.ch